Bilder der Levante. Michael Jansen
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Nach einem unglücklichen Start mit einer Iranerin, die jeden Morgen anderthalb Stunden zum Zurechtmachen brauchte, teilte ich mir ein Zimmer mit Sawsan, einer syrischen Archäologin. Sie hatte einen Sommerkurs belegt, ging die Dinge gemächlich an und stand spät auf. Ich musste derweil früh am Tor zur Medizinischen Fakultät stehen, um den UNRWA-Bus zu erwischen. Mein Frühstück bestand meist aus einem Käse-Tomaten-Sandwich oder Schokoladenkeks und einer Tasse Instantkaffee mit Milch aus der UNRWA-Kantine.
In jenem Sommer führte ich zwei Leben. In einem ging ich durch palästinensische Flüchtlingslager, um herauszufinden, welche Art von Berufsausbildung sich Palästinenserinnen in meinem Alter wünschten. Ich sprach kein Arabisch, war aber mit einheimischen Mitarbeitern unterwegs, die dolmetschten. Wir fuhren in Jeeps herum und liefen zwischen Rohbetonblocks – Flüchtlingsunterkünfte – durch Gassen gestampfter Erde, in der Mitte offene Abwasserkanäle. Von allen Seiten bedrängten uns Kinder, die neugierig mein kurzgeschnittenes Haar betrachteten. »Jeanne d’Arc«, sagten manche und dachten wohl an den Fünfziger-Jahre-Film Die heilige Johanna mit Jean Seberg. Die Erwachsenen waren ausnahmslos gastfreundlich und großzügig, kratzten die letzten Teeblätter aus ihrer Dose zusammen oder leerten ihre Zuckerdosen, um Tässchen türkischen Kaffees zuzubereiten.
Jerusalem, Juni 1961
Muhammad Jarallah holte mich mit dem Auto vom Flughafen in Amman ab, wir kauften im Zentrum im »Automatique« Sandwiches und machten uns auf den Weg in die Heilige Stadt. Muhammad war ein sehr großer Mann mit breitem Lächeln und grau geflecktem Haar und Bart, der UNRWA-Pressesprecher für Jordanien, das Westjordanland und Ostjerusalem. Als wir von der Hochebene ins Jordantal hinabfuhren, wurde die Luft, die durch die Autofenster hereinwehte, drückend heiß. Muhammad schlug vor, einen Zwischenstopp für ein Bad im Toten Meer einzulegen. Es ist der tiefste Punkt der Erdoberfläche; die Temperatur betrug über vierzig Grad Celsius, und im silberfarbenen, glatt-glitschigen Salzwasser war es nicht viel kühler. Wir liehen uns grobgestrickte Badekostüme von einem Stand und schwebten hoch auf der Wasseroberfläche, achtsam, kein Wasser in Augen, Ohren oder Mund zu bekommen.
Ich hatte ein Zimmer in der »Casa Nova« gebucht, einer franziskanischen Pilgerpension in der Altstadt, gleich bei der Grabeskirche. Das Zimmer war klein und schlicht. In einem schönen Refektorium gab es mittags an einer langen Tafel, an der lauter Mönche und Gäste Platz nahmen, Suppe und Brot. Nach dem Essen spazierte ich durch die Altstadt, blickte schüchtern in Geschäfte, die Gewürze, Süßigkeiten und Kleidung verkauften, und bewunderte reich bestickte traditionelle palästinensische Gewänder, die an Drähten quer über metallenen Ladentüren hingen. Bei diesem oder einem späteren Besuch kaufte ich ein altes Gewand aus einem goldfarbenen, satinartigen Stoff, verziert mit der besonderen Bethlehemer Plattstickerei. Die alte Ladenbesitzerin schenkte mir noch einen Kopfschmuck und ein Armband dazu, und ich zahlte sechs jordanische Dinar. Heute ist ein solches Gewand Hunderte wert.
Abends kam Muhammad mit einem Freund namens Aref vorbei, einem Journalisten, und wir fuhren nach Ramallah. Dort trafen wir uns mit Elise, einer Sekretärin im Beiruter UNRWA-Hauptsitz, die mich als Dolmetscherin auf meinen ersten Exkursionen begleiten sollte. Wir aßen in einem Gartenrestaurant unter Lichterketten Mezze von einem Dutzend kleiner Teller, und tranken dazu Bier und Arak – eine meiner ersten Begegnungen mit dem starken Anisschnaps. Als wir um Mitternacht nach Jerusalem zurückkehrten, waren die ersten Tore der Altstadt schon geschlossen, und wir mussten durch den Suk Khan al-Zeit waten, wo gerade das Kopfsteinpflaster gereinigt wurde. Die Tür der Casa Nova war verschlossen und der Pförtner wachte trotz allem Klingeln nicht auf.
Muhammad nahm mich mit ins Haus seiner Familie im Viertel Scheich Dscharrah. Er gab mir einen grün-weiß-gestreiften Pyjama und sein Zimmer, und ging selbst nach oben, um im Zimmer seiner Schwester zu schlafen. Ich lag lange wach und fürchtete mich vor der Missbilligung seines turbantragenden Vaters, einem ehemaligen Jerusalemer Mufti, der mich von einem Ölporträt an der gegenüberliegenden Wand unverwandt anstarrte.
Am nächsten Morgen frühstückten wir mit dem Untermieter der Familie, einem italienischen Ingenieur. Er arbeitete an der Renovierung des prächtigen Felsendoms auf dem muslimischen Gelände des Tempelbergs in der Altstadt, auf Arabisch al-haram asch-scharif, das edle Heiligtum. »Kommen Sie doch heute Nachmittag vorbei und schauen sich an, wie die Arbeit vorangeht«, sagte er. Auf dem Boden rund um das Heiligtum stapelten sich wunderbar bemalte iranische Kacheln, viele noch aus dem 16. Jahrhundert. Sie wurden durch neue Kacheln ersetzt, wie vom jordanischen König Hussein beauftragt, dem Hüter des Felsendoms, der al-Aksa-Moschee und anderer Gebäude auf dem Gelände. Der Ingenieur bot mir ein paar Kacheln an. Dummerweise lehnte ich ab, denn ich machte mir Sorgen, mein Gepäck könnte zu schwer für den Rückflug werden.
Im Jordantal, in den Hügeln über Jericho, besuchte ich das Flüchtlingslager Akbat Dschaber. 30’000 Menschen lebten dort. Ein älterer Mann in Kaftan und mit Kopfputz verwarf den Plan des UNRWA, Mädchen eine Berufsausbildung zu bieten. Er selbst hatte sieben Kinder, Jungen und Mädchen, alle mit Universitätsabschluss. Palästinensern galt Bildung als einziger Weg zu einem anständigen Leben.
Die meisten Bewohner des Lagers waren im heißen Sommer 1948 angekommen, als die israelische Untergrundarmee sie aus Dörfern nördlich von Haifa und aus den Städten Ramla und Lod vertrieben hatte, auf Befehl Jitzchak Rabins, damals Einsatzleiter der Eliteeinheit Palmach. Die Bewohner Ramlas wurden in Bussen bis an die arabischen Frontlinien transportiert, die unter der Kontrolle der jordanischen Arabischen Legion standen. Die Bevölkerung von Lod wurde Mitte Juni vertrieben und musste zu Fuß bis nach Jericho gehen, wo Anwohner erschöpfte Familien mit Trinkwasser und Nahrung versorgten. Viele Menschen starben auf dem Weg. Meine Studienfreundin Dyala Husseini, damals sieben oder acht Jahre alt, erzählte mir später von ihrer Ankunft. Es waren Tausende von Männern, Frauen und Kindern, wundgelaufen, dehydriert, mit Sonnenstich. Unterwegs hatten sie in Olivenhainen und auf Feldern geschlafen. Viele starben an Austrocknung oder Unterkühlung.
Damaskus, Syrien, Juli 1961
Mein anderes Leben verbrachte ich mit meinen neuen Freunden und Bekannten von der Universität. Sawsan hatte mich in ihren Freundeskreis eingeführt, zu dem auch Dyala Husseini gehörte. Wir gingen an den Strand, schwammen, aßen getoastete Schinken-Käse-Sandwiches aus arabischem Fladenbrot und tranken Bier mit Limonade. In dieser noch immer konservativen Gesellschaft gingen junge Frauen und Männer statt in Paaren stets zu dritt oder zu viert aus. Wir fühlten uns wohl ohne die Herausforderung eines Tête-à-Tête. Wir trugen Baumwollkleider mit schwingenden Röcken und Absatzschuhe, die an den Zehen drückten; die jungen Männer trugen Anzüge und Krawatten. Sie luden ein, und sie bezahlten. Wir gingen zu Fuß oder nahmen Taxis, bezahlten für eine Fahrt ins Zentrum 25 libanesische Piaster, eine Viertel-Lira (0,33 Dollar), und jeder, der unterwegs zustieg, beteiligte sich.
Eines Morgens nahm ich mit Sawsan ein Taxi nach Damaskus. Wir fegten die breite Schnellstraße ins Libanongebirge hinauf, durch Dörfer, in denen Libanesen und Ausländer vor der feuchten Beiruter Hitze Zuflucht suchten und den Sommer in pinienbeschatteten Villen verbrachten. Im Städtchen Chtaura im Bekaa-Tal hielten wir an der laiterie der ehemaligen Bauchtänzerin Badia Masabni und kauften zusammengerolltes Fladenbrot mit Labneh. An der Grenze wurde wegen Visa kein großes Aufheben gemacht; Libanon und Syrien waren – fast – ein Land. Kurz vor Damaskus, einer Oase mit dem Anspruch, die älteste Stadt der Welt zu sein, fuhren wir vorbei an Plantagen voller Aprikosen und Pfirsiche und an Hainen uralter Olivenbäume mit silbrig grünen Blättern.
Die Stadt selbst war ganz anders als Beirut. Damaskus war eine Metropole voller Alleen und schöner