Die Kraft des Miteinander. Группа авторов

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Die Kraft des Miteinander - Группа авторов Systemische Therapie

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a. Kobayashi 2020).

      5Indigene Menschen auf der ganzen Welt haben »Talking Circles« (Isaacs 1999) und auch im Westen wurden bis zur Eroberung durch die Normannen (Van Ness a. Strong 2002) Verfahren angewandt, die wiedergutmachenden Charakter hatten. Die moderne »Restorative Justice«, um die es in diesem Beitrag geht, begann sich im Westen in den 1950er-Jahren zu entwickeln mit dem Werk von Albert Eglash in den USA, in den 1970erJahren Nile Christie in Norwegen und in den 1980er-Jahren Howard Zehr (Walker, Rodgers a. Umbreit 2018).

       3Der Familienrat und die Wiederherstellung von Familienidentität – Ein Vermächtnis der Maori für kultursensible Praxis und gemeinschaftliche Krisenbewältigung

       Erzsébet Roth

      Herr und Frau Özgür sind seit Jahren zerstritten. Sie haben drei gemeinsame Kinder, die bei Frau Özgür leben. Beide sind mittlerweile mit neuen Partnern liiert. Doch die Streitigkeiten nehmen kein Ende. Das Hilfesystem ist dabei aktiv mit eingebunden. Die Kollegin im Jugendamt erhält regelmäßige Beschwerdeanrufe des leiblichen Vaters: »Sie sollten mal überraschend zu Hause auftauchen. Was meinen Sie, wie es da zugeht. Es ist ja sonnenklar, sobald Sie sich anmelden, wird die Wohnung aufgeräumt, die Kinder hübsch angezogen und das ›Wir-sind-eine-gute-Familie-Gesicht‹ aufgesetzt. Gehen Sie mal überraschend hin, dann sehen Sie mal selbst die Zustände, die dort herrschen.«

      Regelmäßig schreibt Herr Özgür dem Jugendamt Briefe, in denen er die aktuelle Situation der Kinder anprangert. Nach einem Kennenlernen und einer Bedarfsfeststellung handelt das Jugendamt. Doch die Briefe und Anrufe setzen sich fort. Mit Anwalt wurde auch schon gedroht. Die zuständige Jugendamtskollegin möchte dem entgegenwirken – mit einem Familienrat: »Wissen Sie«, berichtet sie in einem Telefonat der für den Familienrat beauftragten Koordinatorin, »die Streitigkeiten sind wohl schon zum Beziehungsmuster geworden. Am Anfang haben wir den Vater auch ernst genommen und haben tatsächlich Handlungsbedarf gesehen, aber mittlerweile haben sich die Kinder und die Mutter so gut entwickelt, dass die Anrufe und Briefe keine Rechtfertigung mehr haben. Ich nehme an, dass ein Familienrat vor allem dem Vater das Gefühl gibt, ernst genommen zu werden. Er lebt jedoch mittlerweile in Österreich. Für den Familienrat müsste er in die Heimatstadt seiner Kinder kommen.« Die Koordinatorin versichert, zumindest in einem Telefongespräch zu versuchen, Herrn Özgür von einer Teilnahme zu überzeugen.

      Der Familienrat entspricht im englischen Sprachraum der Bezeichnung »Family Group Conferencing« (FGC). Er ist ein Hilfeplanungsverfahren, das in Neuseeland entwickelt wurde und mittlerweile weltweit verbreitet ist. Die grundlegende Philosophie des Familienrats besteht darin, dass die Familie und ihre Gemeinschaft selbst über die Souveränität verfügen, ihre eigene Hilfe zu entwerfen. Vor 1989 waren Kinder, die aus Maori-Familien stammten im Vergleich zu Nicht-Maori-Kindern häufiger in Kinderheimen und Gerichtsverfahren wiederzufinden. Beteiligte Pädagoginnen und Pädagogen sowie Richterinnen und Richter waren vor allem aus Europa zugewandert oder hatten einen europäischen Migrationshintergrund. Im Rahmen einer umfassenden Bürgerrechtsinitiative in Neuseeland wurden Veränderungen im Kinder- und Jugendhilfesystem vehement eingefordert, eben weil eine »kulturelle Invasion« der europäischen Familienwerte und Verwaltungsnormen erkannt wurde. Um für das Wohl und die Sicherheit eines Kindes zu sorgen, das besondere Unterstützung brauchte, kannte die traditionelle Gemeinschaft der Maori die Idee des mātua whāngai.6 Kinder, die auf Hilfe angewiesen waren, wurden im Kreis der erweiterten Familie versorgt. Der Familienrat hat in einer die ganze Familie einbeziehenden Whānau Conference 7, die die Maori in solchen Fällen durchführen, seine traditionellen Wurzeln. Erklärtes Ziel einer Empfehlung des Bürgerrechtskomitees war es, Prinzipien des mātua whāngai in das soziale System zu integrieren und somit den Fokus wieder mehr auf die kindliche Entwicklung und Erziehung mit Unterstützung seines familiären Umfeldes zu setzen (Ministerial Advisory Committee on a Maori Perspective for the Department of Social Welfare 1988).

      Die Orientierung an dieser Tradition für eine bedarfsorientierte Reform des Hilfesystems dient hier als herausragendes Beispiel für eine realisierbare Kooperation zwischen Regierungsbehörden und einer bestehenden, lebensweltlichen Gemeinschaft. 1988 wurde vom Department of Social Welfare unter Berücksichtigung des Sachverständigenberichts der Expertenkommission das Modell des mātua whāngai in Form des Family Group Conferencing gesetzlich verankert (Ministerial Advisory Committee 1988). Außerdem wurde durch das Festhalten des Ablaufs, der Durchführung und der Rolle der Koordination eines Familienrats im vorliegenden Gesetz das Hilfesystem dazu verpflichtet, im Falle des Kinderschutzes und in der Jugendgerichtshilfe den Kreis der Betroffenen zu erweitern und in die Lösungsfindung miteinzubeziehen.

       Die Koordinatorin eines Familienrats beginnt ihre Arbeit

      Im Rahmen der Vorbereitungsphase verabredet sich die Koordinatorin mit der Mutter (siehe Abb. 1). »Die Kinder sollten auch dabei sein, wenn es möglich ist«, empfiehlt sie am Telefon. Sie wird von der Mutter an der Wohnungstür begrüßt. Eine stattliche brünette Frau mit modernem Kurzhaarschnitt, gemütlichem Outfit und rotlackierten Fingernägeln. Mit einem Lächeln lässt sie die Koordinatorin in ihre Wohnung treten: »Kommen Sie herein.« Diese folgt der Mutter durch den engen Flur in das Wohnzimmer. Neben einer alten Zweier- und einer Dreisitzer-Couch findet ein großer PC-Tisch mit einem 17-Zoll-Bildschirm Platz. Davor sitzt der neue Ehemann, dreht sich auf einem Bürostuhl um und lächelt freundlich: »Guten Tag, ich bin der Mann von Frau Özgür.« Er streckt der Koordinatorin eine Hand entgegen, während die andere Hand hastig seine Zigarette zum Mund führt, um gierig daran zu ziehen. Er scheint etwas nervös zu sein.

      Gegenüber der größeren Couch befindet sich ein riesiger Fernseher. Stumm flimmert eine der aktuellen Nachmittagssoaps über den Bildschirm. Die Luft ist getränkt von frischem Zigarettenrauch und die Geräuschkulisse erinnert, dank dem PC aus den 1990ern, an einen Heizungskeller. Die Wohnung könnte etwas Weiß vertragen – Tapeten und Gardinen haben die Farbe des Nikotins angenommen. Die Mutter ruft nach den Kindern und prompt stehen Yunus (8), Adam (12) und Ali (16), der Älteste, im Wohnzimmer und nehmen nach einem »Hallo!« auf dem Boden Platz. Ein Smalltalk beginnt, wie es dem Paar denn die Woche so erging. Die Koordinatorin versucht das Gespräch auf den Familienrat zu lenken: »Die Mitarbeiterin vom Jugendamt berichtete Ihnen ja schon vom Familienrat und sie teilte mir mit, dass Sie dafür bereit wären?« Frau Özgür erwidert: »Glauben Sie mir, wir tun alles, um den Vater loszuwerden.« Sie lacht verlegen: »Der Vater ist ja auch gar nicht das Problem. Eher die neue Partnerin. Seitdem er mit ihr zusammenlebt, hetzt sie ihn gegen uns auf. Andauernd beschwert er sich, dass die Kinder nicht gepflegt genug wären. Oder sie zu viel Fernsehen schauen. Wir sind zu allem bereit, damit das aufhört. Obwohl ich nicht so recht daran glaube, dass das was ändern könnte.«

      Das Jugendamt möchte den Familienrat vor allem für den Vater und so fährt die Koordinatorin fort: »Nun gut. Für einen Versuch wären Sie doch bereit, oder?« Die Mutter nickt und versichert, dass es ja vor allem um die Kinder gehe. Auch die Kinder werden gefragt. Yunus und Adam sind mittlerweile mit dem Handy beschäftigt, der Älteste antwortet für alle drei: »Also wir sind bei allem dabei, sodass Mama und Papa nicht mehr so viel streiten.« Die Koordinatorin erklärt, wie die Vorbereitung auf den Familienrat ablaufen wird. »Wir könnten heute schon eine Netzwerkkarte erstellen. Da Sie ja insgesamt fünf Personen sind, würde ich vorschlagen, dass ich heute mit Ihnen, Frau Özgür, und Ihrem Mann die Netzwerkkarte mache, und ich vereinbare einen zweiten Termin mit Ihren Kindern, wäre das in Ordnung?«. Die Mutter zögert: »Okay, aber das sollte bitte nicht länger als eine Stunde dauern.« Die Kinder ergreifen die Chance und ziehen sich in ihre Räume zurück. Auch aus den Kinderzimmern dröhnen die Ventilatoren weiterer Computer.

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