Ur-Praxis. Frank Viola
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noch weiter in die Zukunft blicken werden.
Vorwort
Seit ich über organische Gemeinde schreibe, werden mir immer wieder zwei Fragen gestellt. Erstens: „Wo finde ich die Art Gemeinde, von der Sie schreiben?“ Zweitens: „Wie gründet man eine organische Gemeinde?“ Mit diesem Buch versuche ich beide Fragen ausführlich zu beantworten.
Die hier vorgestellten Prinzipien stellen keine ungeprüften Theorien dar. Ich betreibe weder Stammtischphilosophie noch gebe ich in diesem Buch blutlose Abstraktionen zum Besten.
Die Grundsätze, die ich hier beschreibe, sind auf dem Amboss der Erfahrung geschmiedet worden – positiver wie negativer Erfahrungen. Sie sind das Ergebnis eines Lernprozesses mit vielen Fehlern (von denen eine ganze Reihe auf mein eigenes Konto gehen), verdanken sich aber auch manch glücklicher Fügung. Außerdem finden sie die Unterstützung der Heiligen Schrift.
Ich habe mich selbst oft als beobachtenden Biologen bezeichnet. Seit mehr als zwanzig Jahren studiere ich, wie organisches Gemeindeleben Wurzeln schlägt. Ich habe gesehen, wie es funktioniert, welche Faktoren es fördern und wodurch es erstickt wird.
Ich gebe unumwunden zu, dass ich nicht im Besitz sämtlicher Antworten bin. Noch immer bin ich am Lernen und Ausprobieren und beobachte die Höhen und Tiefen organischen Gemeindelebens. Ich glaube nicht, dass es auf diesem Gebiet Experten gibt – lediglich eine Liste von Erfolgen und Misserfolgen.
Mit diesem Buch versuche ich eine Theologie organischer Gemeindegründung vorzulegen, zusammen mit einigen praktischen Anregungen für alle, die diesen Weg einschlagen wollen.
Seit ich Christ bin, habe ich eine ganze Reihe von Beobachtungen zu den Problemen der heutigen Gemeinden gemacht – der traditionellen wie der nicht-traditionellen. Aus diesen Erfahrungen heraus bin ich zu folgenden Schlüssen gelangt:
1. Die meisten Gemeinden, darunter eine Vielzahl von Hauskirchen und einfachen Gemeinden, sind weit davon entfernt, das zu erleben, was Leib Christi ist. Schuld daran ist, dass wir großenteils außer Acht gelassen haben, was die Schrift zum Thema Gemeindegründung sagt.
2. Viele Grundprobleme sowohl traditioneller als auch nicht-traditioneller Gemeinden könnte man durch eine Rückkehr zum biblischen Muster für Gemeindegründung und -aufbau lösen.
Zugegeben: Meine Schlussfolgerungen basieren auf pragmatischen Beobachtungen, lassen sich aber auch biblisch begründen. Und sie sind der Anlass für das vorliegende Buch.
Ich habe vor diesem Buch vier weitere Titel über radikale Wiederherstellung von Gemeinde verfasst: Ur-Christen1 erzählt die Geschichte der neutestamentlichen Gemeinde in chronologischer Reihenfolge. In Heidnisches Christentum?2 untersuche ich (gemeinsam mit George Barna) die Ursprünge unserer modernen Gemeindepraxis und komme darin zu dem Ergebnis, dass die meisten unserer traditionellen Gemeindepraktiken jeder biblischen Grundlage entbehren und mit der organischen Natur von Gemeinde unvereinbar sind.
In Ur-Gemeinde3 zeichne ich ein buntes Bild neutestamentlichen Gemeindelebens für das einundzwanzigste Jahrhundert.4 Das Buch bietet eine zeitgemäße und ausführliche Theologie organischen Gemeindelebens. In Ur-Schrei5 beschäftige ich mich mit Gottes ewigem Ratschluss – jener großen Mission, die unser Gemeindeleben und unseren geistlichen Dienst prägen sollte. Ich entfalte darin das weitgreifende Epos von Gottes höchster Leidenschaft.
Das vorliegende Buch knüpft dort an, wo Ur-Schrei, Ur-Gemeinde, Heidnisches Christentum? und Ur-Christen aufhören. Es untersucht detailliert die Voraussetzungen für die Entstehung und Aufrechterhaltung organischer Gemeindeformen.
Zusammen mit diesem Buch empfehle ich unbedingt die Lektüre der vier oben genannten Titel, weil sie viele Fragen zu organischer Gemeinde bereits im Vorfeld klären. Dieses Werk bildet das fünfte in der Reihe.
Ich verwende die Begriffe Gemeindegründer, Apostel, christlicher Arbeiter, reisender Arbeiter und apostolischer (Mit)arbeiter in diesem Buch synonym. Warum ich das tue, erkläre ich später. Wenn ich von Aposteln spreche, dann sage ich der Einfachheit halber „er“ – nicht weil ich der Ansicht wäre, nur Männer kämen für diesen Dienst in Frage, sondern weil es einfacher ist, „er“ statt ständig „er oder sie“ zu schreiben. (Ich habe kein Problem mit der Auffassung, dass sich auch Frauen am apostolischen Werk beteiligen. Wir lesen in Römer 16,7 von Junia als weiblichem Apostel, und auch Priscilla und Phöbe waren dem apostolischen Dienst von Paulus von großer Hilfe.)6
So viel dazu. Dieses Buch habe ich für drei verschiedene Lesergruppen geschrieben:
Zunächst richtet es sich an jene, die den Wunsch haben, sich in organischer Weise zu versammeln und sich dazu einige praktische Tipps wünschen.
Zweitens spreche ich eine Vielzahl von Menschen in missionalen, inkarnatorischen und relationalen (beziehungsorientierten) Gemeinden sowie sogenannten „emerging churches“7, Hauskirchen, einfachen und sogar organischen Gemeinden an. (Diese Begriffe bedeuten nicht das Gleiche, unterscheiden sie sich doch voneinander.)
Drittens richte ich mich an jeden, der sich berufen fühlt, selbst eine Gemeinde (egal welchen Typs) zu gründen.
Das Buch gliedert sich in vier Teile. Teil 1 untersucht die geistlichen Prinzipien, die der neutestamentlichen Gemeindegründung zugrunde liegen. Teil 2 geht auf allgemeine Einwände ein, die aufgrund meiner Ausführungen in Teil 1 vorgebracht werden. Teil 3 ist eine praktische Anleitung zur Gründung einer organischen Gemeinde, und in Teil 4 geht es schließlich um Fragen der Gesundheit und Entwicklung organischer Gemeinden. Die Fußnoten bieten neben Quellenangaben detaillierte und weiterführende Informationen zu meinen Schlussfolgerungen. Ich bin mir durchaus bewusst, dass der Paradigmenwechsel, zu dem dieses Buch auffordert, für viele Vertreter des traditionellen Denkens schwer zu verdauen sein wird. Ich berufe mich aber auf die Heilige Schrift, auf die Erfahrung und auf die neutestamentliche Wissenschaft, um meine Sichtweise zu stützen. Dabei hoffe ich, dass sich der Leser ernsthaft mit meinen Ausführungen auseinandersetzen wird.
In diesem Zusammenhang bin ich davon überzeugt, dass die meisten Christen in den vorherrschenden Paradigmen gefangen sind, die das religiöse Denken heute dominieren.8 Lassen Sie mich dies anhand eines geschichtlichen Beispiels veranschaulichen.
Bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hatten sich die Schweizer Uhrmacher den größten Weltmarktanteil für Armbanduhren gesichert. Das änderte sich, als einer ihrer eigenen Landsleute einen revolutionären Einfall hatte: Die Quarzuhr.
Die Vorstellung dieser Erfindung konnte den Schweizer Uhrenherstellern lediglich ein abschätziges Lächeln entlocken. Sie meinten, eine solche Uhr könne niemals funktionieren, und weigerten sich, die Idee zu patentieren. Anders dagegen die japanische Seiko-Uhrenmanufaktur: Sie sah sich den Vorschlag genauer an – der Rest ist Geschichte.
Die Schweizer Uhrmacher waren so sehr von dem traditionellen Paradigma beherrscht, dass sie das neue Konzept einer Quarz-Armbanduhr einfach nicht begriffen. Weil die Quarzuhr keine Zahnräder, keine Antriebsfeder und dergleichen hatte, lehnte