Nicht nur Mütter waren schwanger. Группа авторов

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die Sorge in mir. Ich vergleiche die Größe des Knopfes auf dem Schwarzweißfoto mit den Wachstumstabellen: Gut 50 % unter dem Durchschnittswert für diese Schwangerschaftswoche. Ich fühle mich öfter etwas aufgebläht und mir wird schnell schlecht und schummrig. Am Donnerstag, circa zehn Tage nach dem Herzschlag auf dem Monitor, fühle ich körperlich, dass etwas nicht stimmt. Am Montag darauf, frühmorgens, kommt Katja mit zur Untersuchung. Die Ärztin will das Wachstum jetzt doch nochmal engmaschiger verfolgen.

      Katja steht neben mir, dort, wo Thomas zwei Wochen vorher gestanden hat. Ich freue mich darauf, dass sie jetzt endlich auch das kleine Wunder sehen wird. Auf dem Monitor das grau-schwarze Unterwasserbild. Und da die schwarze Höhle. Still und dunkel. „Kein Herzschlag“, sagt die Ärztin. „Ok“, höre ich mich sagen. Schaue auf Katja, drücke ihre Hand. Als wäre es jetzt einfach damit getan. Als müssten wir die Tatsachen akzeptieren und weitermachen.

      Die Ärztin ist sichtlich betroffen, sagt, sie hätte es nicht erwartet, auch wenn sie das verringerte Wachstum bei der vorherigen Untersuchung durchaus ernst genommen hatte. Sie beschreibt die verschiedenen Möglichkeiten, die es jetzt gibt: Eine Pille für Zuhause. Mit einer Blutung wird über ein bis zwei Tage alles ausgespült. Ich weiß von der Frau eines Freundes, dass sie dabei fürchterliche Schmerzen hatte. Ich fürchte mich vor dem Alleinsein zu Hause und dem blutigen Abort. Die zweite Möglichkeit ist, dass sie selbst unter Vollnarkose in einem ambulanten Eingriff die Überreste herausnimmt. Zu wissen, dass die Ärztin den Eingriff vornimmt, tröstet mich. Ein guter Abschluss für diese kurze Schwangerschaft.

      Am Morgen des Eingriffs klettern wir zu dritt in das eisige Auto. Ich bin dankbar, dass Katja und Thomas dabei sind. Ich fühle mich geborgen und gewappnet. Am Tag vorher gehen Thomas und ich zusammen shoppen. Abends essen wir zu dritt. Ich hatte mir ein Abschiedsritual gewünscht.

      Wir gehen an die Admiralbrücke am Kanal in der Nachbarschaft. Die Nacht ist kalt, windig und regnerisch. Wir haben Blüten dabei und geben sie in das Wasser. Unsere Wünsche, Hoffnungen und Trauer schaukeln auf dem langen Weg ins Meer. Der ewige Kreislauf des Lebens. Vier rote Grablichter spenden warmes Licht. Ich fühle mich seltsam abwesend. Kann nicht trauern, kann keinen Bezug zur Situation, der toten Materie in meinem Körper aufbauen.

      Trotzdem ist es gut, das zu tun. Es verbindet uns.

      Als wir gehen, blicke ich über die Schulter zurück. Die vier Grableuchten sind noch lange in der Dunkelheit sichtbar. Das Bild wird mich lange begleiten.

      Ich schlafe gut, habe keine Angst am nächsten Morgen. In der Zwischenzeit hat bereits eine Blutung eingesetzt. Mein Körper hat mit dem Abschiednehmen begonnen.

      Es ist OP-Tag in der Praxis. Die Sprechstundenhilfe bittet uns mit so viel Mitgefühl und Diskretion, wie ich es gar nicht erwartet hätte, herein. Wir sind früh dran. Die Praxis ist recht voll. Ein Mann sitzt hilflos stumm neben seiner Frau. Die beiden trennt ein Abgrund aus Trauer. Einer, der allein da ist, steht auf, als sein Name aufgerufen wird und geht in Richtung OP-Saal. Bevor Katja vom Einparken zurück ist, werde ich schon in den OP-Bereich gelotst. Ich bin leicht beschämt, komme mir fremd vor. Als Mann im Allerheiligsten der Frauen. Ich bekomme das Bett in der Ecke, versuche mich unsichtbar zu machen. Eine Frau weint in ihrem Bett. Der Narkosearzt schlampt etwas und ich sehe interessiert dem Blutfleck auf dem Laken zu, als er den Zugang legt.

      Ich komme in den OP. Die Ärztin lächelt. Cooles T-Shirt. „I l<3ve trans.“

      Ich lächle und bin weg.

      Vier Wochen nach dem Ende meiner ersten Schwangerschaft zerbricht die Familienkonstellation. Katja und ich streiten uns über unsere Lebensvorstellungen und ziehen so einen schnellen Schlussstrich. Thomas ist enttäuscht, versteht uns nicht, nimmt Abstand, reist durch die Welt. Noch von der Erfahrung der ersten, kurzen Schwangerschaft platt und betäubt, versetzt mich das Ende der Familienkonstellation in große Wut. Ich komme mir um meine Lebensplanung betrogen vor.

      Mit einer Beraterin rapple ich mich wieder auf. Begegne der erschreckenden Frage: War das jetzt mit 37 meine letzte Chance ein Kind zu bekommen, mit einem eigenen Kind zu leben? Ich habe das Gefühl, keine Zeit mehr zu haben. Keine Zeit, eine neue Konstellation zu finden, Vertrauen aufzubauen, und nach drei Jahren erneut festzustellen, dass es doch nicht passt und dann die jetztaber-wirklich-allerletzte Chance verpasst zu haben. Zeitgleich versuche ich, mit dem Verlust und der Trauer über das zu frühe Ende der ersten Schwangerschaft fertig zu werden. Ich nenne es ganz bewusst erste Schwangerschaft, weil ich will, dass es noch weitere, mindestens eine weitere gibt, die neun Monate dauert. Die Ärztin ist verständnisvoll und optimistisch: „Versuchen Sie es ruhig wieder, sobald Sie sich dazu in der Lage fühlen. Jetzt wissen wir ja, dass es klappt, dass Sie schwanger werden können.“ In meinem Kopf versuche mich zu ermahnen: Ich habe unser erstes Kind nicht verloren. Erstens, war es noch kein Kind. Dafür war es noch zu klein. Und zweitens, habe ich es nicht „verloren“ – verlieren klingt, als hätte ich versagt, etwas falsch gemacht. Stattdessen will ich lieber sagen: Es hat nicht gehalten.

      Die bedrohliche Vorstellung, alleinerziehender Vater zu sein, ist auf einmal die realistischste Option. Ich wäge Für und Wider ab, lege lange Listen meiner Ängste und Sorgen an und wie ich ihnen jeweils ganz pragmatisch begegnen kann. Spreche mit Freund_ innen. Ja, sie sind bereit, eine verbindliche Rolle im Leben meines Kindes zu spielen und mich zu unterstützen. Das gibt mir Ruhe und Sicherheit. Ich will es wagen. „Ok. Dann mach ich das jetzt!“ Und zwar allein. Ich will und kann mich auf niemand anderen verlassen, wenn es ums Kinderkriegen und -großziehen geht. Und ein Kind will ich durchaus noch! So erschreckend der Gedanke auch ist, alleinerziehend zu sein. Es gibt nach wie vor für mich keine Alternative zu der Vorstellung, in Zukunft mit Kindern, meinen Kindern, zu leben. Die Frau, mit der ich in der Zeit liiert bin, fragt, ob ich denn nicht gegen meine Natur handeln würde. So als Mann schwanger werden zu wollen.

      Ein Kinderwunsch ist weder weiblich noch männlich, sondern menschlich.

      Es kränkt mich, dass sie das fragt. Aber ihre Angst in eine Co-Mutterrolle gedrängt zu werden, ohne ein Mitspracherecht bei der ganzen Sache zu haben, finde ich durchaus nachvollziehbar. Die Liaison hält nicht lange.

      Bevor der Sommer vorbei ist, habe ich mich entschieden, es wieder zu versuchen. Aus dem Freund_innenkreis sagte Peter sofort zu, Patentunte aka Samenspender zu werden. Nach einer neuen Runde ärztlicher Tests und neuem Vertrag sind wir soweit.

      Ich bin diesmal merklich abgeklärter. Die Angst, wieder irgendwann auf einen toten Bildschirm starren zu müssen, schwingt immer mit. Ich habe mir Beratung speziell zum Familienthema gesucht, um Unterstützung an meiner Seite zu wissen. Ich habe eine Scheißangst, aber ich ziehe das jetzt durch.

       Warten auf Schwangerschaft

       Beratungen bei unerfülltem Kinderwunsch

      Johanna Montanari

      Die normative gesellschaftliche Vorstellung verbindet Weiblichkeit mit Gebärfähigkeit. Innerhalb dieser Vorstellung wird eine Person, die als Frau gelesen wird, einfach so, ohne viel Überlegen schwanger: Dadurch dass sie die entsprechenden biologischen Voraussetzungen erfüllt, in einer heterosexuellen Beziehung ist und unverhüteten Penetrationssex hat. „Kinderwunsch“ und „unerfüllter Kinderwunsch“ sind Fachbegriffe, die in Medizin und Psychologie verwendet werden. Was bedeuten diese Begriffe genau und was implizieren sie? Wie wird denen, die sich ein Kind wünschen, aber nicht „auf natürlichem Weg“ schwanger werden und deswegen unter enormem Druck stehen, geholfen und welche gesellschaftlichen Vorstellungen hängen damit zusammen? Ich habe Interviews mit zwei Beraterinnen, die sich vor

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