Nicht nur Mütter waren schwanger. Группа авторов

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in Berlin besucht.1

      Unerfüllter Kinderwunsch oder Wunsch nach einem Leben mit Kind?

      Auf der Homepage familienplanung.de, die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung betrieben wird, steht zum Beispiel direkt unter der Überschrift „Kinderwunsch“ ein Link zu dem Artikel „Warten auf die Schwangerschaft“. Dort liest sich: „Lässt die Schwangerschaft eine gewisse Zeit auf sich warten, ist das durchaus normal. Viele komplexe Abläufe sind nötig, damit eine Frau schwanger werden kann. Unter bestimmten Bedingungen ist es jedoch sinnvoll, bald ärztlichen Rat zu suchen.“

      Der Begriff „Kinderwunsch“ wird unabhängig davon verwendet, wer ihn hat. Doch tatsächlich wird von der Norm des heterosexuellen Paares, also cis-Frau und cis-Mann mit den notwendigen biologischen Voraussetzungen, ausgegangen. Der Begriff „Kinderwunsch“ beschreibt eine nicht näher definierte „normale“ Zeit des Wartens, in welcher nicht in Frage steht, dass die Schwangerschaft kommt. „Unerfüllter Kinderwunsch“ steht für eine Zeit, in der das Warten an sich in Frage steht. Es steht in Frage, ob sich der Wunsch nach einem Kind überhaupt erfüllen kann. Die Konsequenz ist dann, sich an die Medizin zu wenden. Entgegen dieser normativen Vorstellung können auch Menschen, die nicht in heterosexuellen Liebesbeziehungen sind, nicht cis sind oder nicht die biologischen Voraussetzungen erfüllen, einen Kinderwunsch haben. Für sie ist Warten somit erst gar keine Option, damit sich ihr Wunsch erfüllt.

      So genannte Kinderwunschkliniken bieten Behandlungen der Reproduktionsmedizin an, also vor allem künstliche Befruchtung (auch assistierte Reproduktion genannt) und das Eizellen-Einfrieren (Social Freezing oder Kryokonservierung genannt). Mit ihrer Namensgebung implizieren die Kinderwunschkliniken die Erfüllung des Wunsches nach einem eigenen Kind. Dahinter steht eine riesige Industrie, die wächst und wächst. Mit Reproduktionsmedizin lässt sich viel Geld verdienen. Und auch Arbeitgeber*innen kommt es möglicherweise zugute, wenn die Reproduktionsmedizin ermöglicht, dass Personen erst später in ihrem Arbeitsleben schwanger werden. 2014 gab es eine riesige öffentliche Debatte, nachdem die Firmen facebook und Apple bekannt gaben, die Kosten zu übernehmen, wenn Mitarbeiter*innen Eizellen einfrieren lassen wollen.

      Auffällig ist, dass es bei dem Fachbegriff „Kinderwunsch“ um die biologische Schwangerschaft einer Person geht, die am Ende ihrer Schwangerschaft ein Kind gebärt, und mit diesem Begriff nicht zum Beispiel Adoption, Pflegekinder oder Zusammenleben mit Kindern verhandelt werden. Kinderwunsch als Begriff meint nicht den Wunsch nach einem Leben mit Kind. Stattdessen geht es um ein biologisches Kind, um die Weitergabe der Gene.

      Zu Besuch bei zwei Beratungsstellen

      Vor einem großbürgerlichen Altbau in Berlin-Schöneberg hängt das Schild des FFGZ schief am Zaun. Das FFGZ existiert seit 1974 und befindet sich seit Anfang der 80er Jahre an dem jetzigen Ort. Das FFGZ wendet sich explizit an „Frauen“, wobei insbesondere cis-Frauen angesprochen werden. Das FFGZ arbeitet mit dem Grundsatz der Parteilichkeit (immer auf der Seite der Frauen) und hinterfragt gesellschaftliche Zwänge, Machtstrukturen und Normierungen. Die Frauen sind hier selbst Expertinnen für ihren Körper.

      Monika Fränznick arbeitet als Coach und berät Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch, dabei insbesondere cis-Frauen in heterosexuellen Partnerschaften und alleinstehende cis-Frauen. Lesbische Frauen werden von einer Kollegin beraten. Dieses Angebot werde jedoch nicht mehr so häufig in Anspruch genommen, so Fränznick, da es inzwischen eine Vielzahl weiterer Beratungsstellen gebe. Fränznick informiert und berät. Dabei geht es um biologische Themen, zum Beispiel: Wie funktioniert Fruchtbarkeit genau, oder: Was macht die Reproduktionsmedizin. Vor allem jedoch geht es um eine Wiederaneignung des Körpers. Wenn eine Frau mit unerfülltem Kinderwunsch zu Fränznick in die Beratung kommt, überlegen sie gemeinsam Strategien, um den Druck rauszunehmen, der häufig enorm ist. Das Ziel der Beratung sei, dass die Frauen wieder in eine aktive Rolle kommen und informierte Entscheidungen treffen. Die Reproduktionsmedizin wendet sich zumeist an Paare, was für alleinstehende Frauen sehr schwer ist, erzählt Fränznick. Am FFGZ geht es um die Frauen, ob in Beziehung oder nicht. Themen wie Spannungen in der Beziehung können hier thematisiert werden. „Es kann alles da sein, was bei den Frauen da ist.“ Fränznick rät keiner Frau davon ab, die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin, also zum Beispiel künstliche Befruchtung, in Anspruch zu nehmen, doch sie sieht die Reproduktionsmedizin auch kritisch. Fränznick erzählt von gezielter Misinformation. Zum Beispiel, wenn von einer 15-30% Erfolgsrate geredet wird und tatsächlich nur eine 10-15% „baby-take-home-Rate“ besteht, die Prozente sich auf erfolgreich befruchtete Eizellen beziehen und nicht darauf, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass es zur Geburt eines Kindes kommt. Fränznick legt dar, dass Frauen sich häufig der Medizin „ausgeliefert“ fühlten. „Es geht darum, dass die Frauen entscheiden können und nicht in so eine Dynamik, einen Sog reinkommen.“

      Fränznick spricht von einer „Gesellschaft der Machbarkeit“, die sie als problematisch ansieht. Diese Vorstellung stehe im Widerspruch dazu, dass Schwangerschaft etwas Schicksalhaftes habe. Fränznick warnt auch vor einem Fokus auf psychische Blockaden. In diesem Zusammenhang werde auch von Eltern berichtet, die adoptieren und anschließend wird die Frau auf natürliche Weise schwanger. Obwohl sich Druck tatsächlich niederschlage und sich auf Hormone auswirke, sei die eigentliche Herausforderung zu akzeptieren, dass nicht alles machbar sei. Selbst wenn die Frau irgendwelche Blockaden bei sich lösen könne, hieße das nicht, dass sie auf jeden Fall schwanger wird. „Vielleicht klappt es, vielleicht klappt es nicht. Es ist etwas Schicksalhaftes.“

      Ein weiterer Aspekt von Fränznicks Beratungen ist, das Ziel des unerfüllten Kinderwunsches zu hinterfragen. Der Kinderwunsch enthalte immer ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Zum Beispiel könne dies ein Familienleben sein, bei dem man abends zusammen sitzt. Fränznick stellt in ihren Beratungen die Frage: „Welche Bedürfnisse kann ich auch ohne Kind stillen?“ Als anderes Beispiel nennt sie eine Frau, die sich gern zurückziehen möchte, anstatt immer etwas erleben zu müssen. Ein Kind erscheint ihr als eine Möglichkeit, dies legitimerweise zu tun. Wenn Frauen nicht schwanger werden, werde dies häufig als persönliches Versagen erfahren. Fränznick verurteilt niemanden. Sie entwickelt konkrete Vorstellungen mit den Frauen. „Es geht um meinen Körper und um mein Glücklichsein und nicht um dieses Kind, unbedingt.“ Frau Fränznick betont in ihren Beratungen, dass die Möglichkeit besteht, dass es nicht zu einem Kind kommt. Es sei wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, sagt sie, und empfiehlt mir Bücher dazu.

      Vom FFGZ ist es nicht weit zu pro familia. Das Berliner Beratungszentrum des Bundesverbands sitzt auch in Berlin-Schöneberg. Der Neubau liegt gut versteckt. Pro familia berät alle, unabhängig von Alter, Geschlecht und religiöser, kultureller, politischer oder sexueller Orientierung. Der Verein führt auch Untersuchungen durch, insbesondere bei denjenigen, die nicht in der normalen Regelversorgung Platz finden.

      Die Frauenärztin Jutta Pliefke hat 25 Jahre Erfahrung. Sie erzählt, wie sich die Einstellung zu unerfülltem Kinderwunsch extrem gewandelt hat, und spricht von einem konservativen Rückschwung. Das Modell der Kleinfamilie sei wieder für eine große Mehrheit erstrebenswert. Es gäbe weniger alternative Familien- und Lebensentwürfe, in denen zum Beispiel Kinderlosigkeit als etwas Attraktives gilt. In den 70er-Jahren hätte es diesbezüglich ein größeres Selbstbewusstsein gegeben. Kinderlose Frauen fänden sich heute schnell in einer Rechtfertigungsposition wieder.

      Pliefke berät unter anderem zu unerfülltem Kinderwunsch, cis-Frauen und heterosexuelle Paare, zum Teil auch lesbische Paare. Letztere leitet sie häufig an das Regenbogenfamilienzentrum des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg weiter, die auch eine gute rechtliche Beratung anbieten, oder hilft ihnen mit Adressen von Samenbanken. Laut Pliefke wird heutzutage der Kinderwunsch häufig sehr starr geplant. Bei unerfülltem Kinderwunsch von cis-Frauen in Hetero-Beziehungen schlägt sie je nach Alter und Länge des Wartens medizinische Diagnostik vor. Als erstes schlage sie vor,

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