Salzburgsünde. Manfred Baumann
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Elvis Presley. Der totale Anmacher. Riesentyp! Endlich gibt es von ihm auch ein eigenes Album. Ein großes. Eben erschienen. Er hat es sich sofort besorgt. Zwölf Songs. Geile Scheibe! Scharfer Klopfer!
Well, you can knock me down, step in my face
Slander my name all over the place
Er singt mit, kennt jede Silbe des Textes. Die schwarze Scheibe dreht sich. Er hat sich den tragbaren Plattenspieler zu Weihnachten gewünscht und auch bekommen. Es ist für ihn jedes Mal saudufte, wenn er durch Schwenken des weißen Tonarms die Abspielung startet und dann vorsichtig die Nadel am äußersten Rand der Platte in die Rille setzt.
You can burn my house, steal my car …
Er schaut auf sein Handgelenk. Die Armbanduhr hat er zur Firmung bekommen. Von seinem Paten. Ziemlicher Bomber, Geschäftsfreund des Alten. Eine Rolex Precision. Wenn alle Stricke reißen, kann er auch die verscherbeln. Die bringt eine Menge Zaster ein, das weiß er. Kurz vor 16 Uhr. Herrje, schon so spät. Er muss sich beeilen.
Fünf Minuten später hetzt er durch die Straßen der Stadt. Er will nicht zu spät kommen. Er will sie nicht versäumen. Steile Sache. Meist verlässt sie gegen 16.30 Uhr das Haus. Nicht immer, aber zumindest jeden dritten Tag. Flotter Dampfer. Das weiß er.
Three to get ready now go, cat, go
But don’t you step on my blue suede shoes …
2
Sie stellte den Keramikbehälter mit den Schwarzbrotscheiben in die Mitte des kleinen Tisches. Dann hob sie den Deckel von der Suppenschüssel, griff zur Schöpfkelle und füllte ihm den Teller.
»Danke, Oma.« Er wartete, bis sie sich selbst eingeschenkt hatte, dann begann er zu essen. Köstlich. Zugleich mit dem hervorragenden Geschmack breitete sich eine wohltuende Wärme in ihm aus. Das vertraute Gefühl seiner Kindheit stieg in ihm hoch. Erneut tauchte er den Löffel in die Suppe.
Offenbar hatte die Großmutter dieses Mal Süßkartoffeln zu den üblichen Erdäpfeln hinzugefügt. Neben Karotten, Sellerie, Lauch und Brokkoli. Und dieses Gewürz, dessen Geschmack ein wenig hervorstach? Er blickte sie an.
»Thymian?«
Sie lächelte. »Ausgezeichnet, Herr Kommissar. Aus den vielen Fährten hast du sofort die richtige Spur herausgefiltert. Ein wenig Petersilie und Majoran, und eine gute Prise Thymian. Auch wenn der Winter heuer streng war, habe ich meinen Thymian bestens über die kalte Jahreszeit gebracht. Du weißt, Martin, ein wenig Fichtenreisig und das passende Stroh, und schon kann der Frost wenig ausrichten.«
Er wusste genau, wovon sie sprach. Er hatte schon als Kind von ihr die richtigen Handgriffe und passenden Tricks gelernt. Der Garten mit den Blumen, den Sträuchern und dem Zauberreich der Gewürze war immer schon eine ihrer großen Leidenschaften gewesen. Seine eher nicht. Er hatte sich zwar unter Großmutters Anleitung redlich bemüht, aber die große Begeisterung war nie in ihm aufgekommen. Aber immerhin. Den Thymian hatte er herausgeschmeckt. Sie lächelte ihn erneut an. Und wieder einmal wurde ihm bis tief in sein Innerstes bewusst, wie sehr er diese kleine weißhaarige Frau liebte. Sie war und blieb der wichtigste Mensch in seinem Leben.
Martin Merana war bei seiner Großmutter aufgewachsen. Er war neun Jahre alt, als seine Mutter unter tragischen Umständen starb. Hier im Haus der Großmutter war er herangereift, groß geworden. Erst nach der Matura war er ausgezogen, um in der Stadt Salzburg zu studieren. Das Studium hatte er nicht beendet. Die Gelegenheit, in den Exekutivdienst zu treten und Kriminalpolizist in Salzburg zu werden, war ihm dazwischengekommen. Seine Arbeit war inzwischen sehr aufwendig. Als Kripochef war er mit den vielfältigsten Aufgaben eingedeckt. Freie Zeit blieb ihm wenig. Aber wann immer er es sich irgendwie einrichten konnte, hielt er Kontakt zu seiner Großmutter. Gelegentlich besuchte er sie sogar in seiner ehemaligen Heimatgemeinde im Oberpinzgau. So auch dieses Mal. Er war gestern, am Gründonnerstag, angekommen. Er hatte Urlaub bis Dienstag nach Ostern. Bis zum frühen Ostermontag wollte er die Zeit zusammen mit der Großmutter verbringen. Ursprünglich hatte er geplant, zusammen mit Jennifer ein paar Tage ins Friaul zu reisen. Doch der unvorhergesehene, aber wichtige Besuch eines Geschäftspartners aus Asien brachte Jennifers Pläne durcheinander. Und so musste sie die Ostertage für eine Reihe von Meetings zu Hause in Hamburg verbringen.
»Und wie deiner feinen Zunge sicherlich aufgefallen ist, Martin, habe ich dieses Mal Knollenwinden dazugegeben. Die habe ich zwar nicht im Garten. Aber der Haspinger hat sie mir empfohlen.« Der Haspinger war der Leiter des kleinen Gemischtwarenladens, der sich im Dorf gehalten hatte, trotz der Konkurrenz durch zahlreiche Großmärkte in der näheren Umgebung. Knollenwinde war ein anderer Name für Süßkartoffel. Da hatte Merana also richtig getippt.
»Und wie du weißt, Martin, gebe ich manchmal Speck in die Gemüsesuppe. Aber natürlich nicht heute.«
Natürlich nicht. Heute war Karfreitag. Da aß man kein Fleisch. Die Großmutter konnte mit vielen Vorschriften der katholischen Kirche eher wenig anfangen. Das wusste er. Von der Ehelosigkeit der Priester und der amtskirchlichen immer noch kuriosen Haltung zur Stellung der Frau hielt sie so gut wie gar nichts. Aber manches aus der christlichen Lehre passte gut zu ihrem Verständnis von Gemeinschaft. Und es harmonierte mit ihrer eigenen Sicht auf die lebensbestärkenden Seiten des Daseins. Deshalb fand sie die Empfehlungen für die Fastenzeit sinnvoll. »Das kannst du in allen Kulturen finden, Martin, nicht nur in der christlich-abendländischen«, hatte sie ihm schon als Kind beigebracht. »Dadurch nehmen wir uns besser aus der Hektik des Alltags zurück. Unerwartete Freiräume tun sich auf, in denen wir uns selbst näherkommen können. Wir reduzieren dabei vieles, nicht nur das Essen.«
Aber das auch. Und so hielt sie sich eben auch an die traditionelle Praxis während der Karwoche. Noch ein wenig mehr fasten. Und kein Fleisch am Karfreitag. Wenig essen am Karfreitag und am Karsamstag, das hatte ihm schon als Kind nie etwas ausgemacht, ihm sogar gutgetan. Er hatte sich dadurch sogar noch mehr auf die Osternacht gefreut. Die kirchliche Osternachtsfeier hatte oft stundenlang gedauert, wie er sich heute noch erinnern konnte. Ihm hatte sie dennoch gefallen.
Anfangs war das Gotteshaus verdunkelt. Es kam zum Einzug.
Lumen Christi! Wie eine helle, nahezu antike Säule hatte der Pfarrer die große Osterkerze vorangetragen. Er selbst hatte immer kräftig mitgesungen. Deo gratias!
Und wie viele andere hatte auch er einen Korb getragen. In dem befanden sich die Speisen. Ostereier, Schinken, Butter, ein von der Großmutter gebackenes Brot in Form eines Osterlamms. Dazu Butter, Salz und frische Kräuter. Und diese Köstlichkeiten wurden noch in der Osternacht feierlich geweiht und am Ostersonntag zum Frühstück verspeist.
»Darf ich dir noch ein wenig Suppe geben, Martin? Es bleibt genug Zeit, bis Salzburg heute beginnt.« Er nahm dankend an. Salzburg heute war die regionale TV-Nachrichtensendung. Er war am frühen Nachmittag mit der Großmutter auf dem Platz zwischen Kirche und Pfarrhof gewesen. Die Ministranten hatten dort ihre selbst produzierten Karfreitagsratschen präsentiert. Auch er hatte sich in seiner Kindheit an diesem weit verbreiteten Brauch beteiligt. Und das mit Begeisterung. Ab dem Abendgottesdienst des Gründonnerstags bis zum Gloria der Osternacht schwiegen die Glocken. Also brauchte es für diesen Zeitraum entsprechenden Ersatz.