Verrat verjährt nicht. Peter Gerdes

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Verrat verjährt nicht - Peter Gerdes

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Er schlurfte, aber seine Schritte waren flink.

      Sie prosteten sich zu; Olivia nahm einen langen Zug, Schulte nippte nur. »Und?«, fragte er dann. »Glaubst du immer noch, dass dieser Mord irgendwas mit dir zu tun hat? Vielleicht hat der Mörder nur die Gelegenheit genutzt, dass dein Liegeplatz gerade frei war. Wochentags sind doch die meisten Stegplätze besetzt.«

      »Ich stelle mir gerade vor, wie er sein Opfer den ganzen Steg entlang geschleppt hat.« Olivia verzog zweifelnd den Mund. »Ich glaube nicht, dass der Mann zu diesem Zeitpunkt gehen konnte, so wie er zugerichtet war. Und der Täter wäre gesehen worden. An der Slipanlage hingen zu der Zeit nämlich ein paar von unseren Grufties rum. Nach dem, was dieser Oberkommissar Venema als offizielles Statement rausgegeben hat, wollen die aber nichts bemerkt haben.«

      »Grufties, ja? Solche wie ich?« Schulte drohte ihr scherzhaft mit dem Zeigefinger. »Wie auch immer, es war dein Liegeplatz, und der Täter hat sich die Mühe gemacht, den Ertrinkenden an deinem Poller anzuleinen. Hätte ihn einfach ins Wasser stoßen können, dann wäre er auch gestorben und die Strömung hätte seine Leiche mitgenommen. Wäre vielleicht entdeckt worden, aber viel später. Absicht steckte also wirklich dahinter. Bloß welche? Gab es denn keinen Hinweis?«

      »Es gab das hier.« Olivia aktivierte ihr Smartphone, öffnete die Bildgalerie und präsentierte ihrem Nachbarn ein Foto von der Tätowierung des Toten. »Hier, hab’ ich aufgenommen, als gerade keiner hingeguckt hat. Soll eine KZ-Nummer sein. Z 3030, Zigeunerlager Auschwitz.«

      Schulte beugte sich vor. Seine Miene verhärtete sich. »Diese Nummer trägt der Tote auf dem Arm?«, fragte er heiser.

      Olivia nickte. »Kommt aber nicht hin, sagt der Gerichtsmediziner, weil das Opfer gar nicht das Alter hat, um jemals in einem KZ gesessen zu haben. Eindeutig nach dem Weltkrieg geboren. Er trägt die Nummer eines anderen. Die Frage ist, von wem?« Mit gelenkigem Daumen wischte sie durch die Bilder, die sie am Tatort gemacht hatte. »Ich habe mal gelesen, dass die Nazis über ihre Opfer akribisch Buch geführt haben. Gibt es vielleicht heute noch Verzeichnisse dieser Nummern? Kann man rauskriegen, welcher Name zu welcher Nummer gehörte?«

      »Gibt es«, sagte Schulte mit belegter Stimme. »Und kann man sicher.« Er räusperte sich. »Wenn du willst, höre ich mich mal um.«

      4.

      Spätsommer 1933

      »Kohle! He, Kohle, wo bleibst du denn?«, brüllte jemand draußen über den Hof. Erhard Köhler schwante Böses. Vorsichtig lugte er aus dem Fenster.

      Erich, sein älterer Bruder, schob sich rücklings unter dem Pritschenwagen hervor, Schmutz in den Augen, das ohnehin dunkle Gesicht dreckig von Öl, Rost und Ruß. »Wer schreit hier rum?«, blaffte er und blinzelte in die blendende Sonne. »Keine Zeit, ich muss fertig werden, gleich ist Fußball.«

      »Kohle, bist du bekloppt?« Ein blonder Hüne im ausgebeulten Trainingsanzug baute sich neben Erich auf. »Von wegen gleich! Jetzt ist Fußball, du Idiot!«

      Der Schatten des Hünen fiel auf das Gesicht des Liegenden. Der hatte seinen Mannschaftskameraden inzwischen an der Stimme erkannt. »Mensch, Georg, was sagst du da? Erhard wollte mir doch Bescheid geben.« Erich Köhler sprang auf und klopfte sich den Dreck von seinen Arbeitsklamotten. Eine rührende Geste, denn seine Sachen bestanden fast nur aus Dreck.

      »Hat er wohl gepennt, der kleine Rotzlöffel!« Georg Zander gab dem deutlich kleineren Erich einen derben Schubs. »Los, wasch dich, zieh dein Jersey an und dann los! Sonst spielen die ohne uns. Hasko hält den Schiedsrichter hin, solange es geht, aber ewig wartet der sicher nicht. Die Meute tobt schon.« Noch ein Schubser. Erich Köhler, halb blind von dem Schmutz und den Tränen in seinen Augen, stieß sich den Fuß an einer alten Felge. Aufjaulend und hinkend eilte er ins Haus.

      Eigentlich war es mehr eine Hütte, niedrig und grau, von dichtem Buschwerk umgeben, als wollte es sich vor der Welt verstecken. Ein aussichtsloser Versuch, denn die städtischen Behörden waren längst aufmerksam geworden auf den hölzernen Bau, den einer von Erich und Erhard Köhlers Onkeln vor Jahren in dieser ungenutzten Sandkuhle am Stadtrand von Oldenburg illegal errichtet hatte. Hinter der Hütte standen die Planwagen der Familie, mit denen sie bis vor wenigen Jahren als fahrende Händler unterwegs gewesen waren. Die Köhlers hielten sie gut in Schuss. Wenn der Räumungsbefehl kam, würde man die Wagen bitter nötig haben.

      »Verletz dich nicht auch noch!«, brüllte Zander hinter Erich her. »Frisia braucht deine Tore. Dringend!« Etwas leiser knurrte er: »Und du brauchst sie auch. Vergiss das nicht.«

      Schuldbewusst versteckte sich Erhard hinter dem hohen Garderobenschrank. Erich humpelte in die Küche, tastete sich zum Spülstein, stellte eine Emailleschüssel unter die kupferne Pumpe und betätigte den Schwengel. Mit Zisternenwasser und Kernseife reinigte er Gesicht und Hände, zog sich Hemd und wollenen Bostrock vom Leib und wusch sich den Hals und die Achselhöhlen. Das musste reichen. Von draußen tönte schon wieder Georg Zanders befehlsgewohnte Stimme. Der Mannschaftskapitän stand kurz vor einem Tobsuchtsanfall.

      Einen Moment lang passte Erhard nicht auf; als Erich aus der Küche in den Flur stürzte, rasselte er mit ihm zusammen. Kommentarlos verpasste sein älterer Bruder ihm zwei saftige Ohrfeigen. Erhard taumelte gegen die Wand. Wie zur Abwehr hielt er die alte Taschenuhr ihres Vaters vor sein Gesicht. »Der Stundenzeiger ist wieder lose!«, rief er. »Der große Zeiger ist schon einmal öfter rum. Ich hab’s gerade erst gemerkt.«

      »Eine Stunde zu spät«, schimpfte Erich. Er riss sein Jersey mit der Nummer 10 aus dem Wäscheschrank und zwängte sich hinein. »Draußen steht Georg und macht mich zur Sau. Alles nur deinetwegen. Wehe, wenn die ohne mich spielen, dann kannst du was erleben.« Er stürmte aus dem Haus, Erhard in seinem Kielwasser.

      Draußen hatte Georg Zander seinen Wagen gewendet und wartete mit laufendem Motor. Auch er fuhr einen Leichtlastwagen, der aber von anderem Kaliber war als die alte Karre, an der Erich herumgeschraubt hatte. Ein Mercedes LO 2000 mit Dieselmotor, erst ein Jahr alt. Der braun lackierte Wagen beschleunigte schneller als mancher Personenwagen; Erich saß kaum auf dem Polster, als Georg Zander auch schon die Kupplung kommen ließ. Erhard konnte sich gerade noch mit ins Führerhaus ziehen. Er schlug die Beifahrertür hinter sich zu.

      »Was will die kleine Kröte denn hier?« Zanders Stimme übertönte den aufbrüllenden Motor. »Du spielst noch nicht mit, dich können wir nicht gebrauchen. Verpiss dich. Unsere Anlage platzt sowieso schon aus allen Nähten.«

      »Lass ihn doch.« Erich Köhler legte den Arm um seinen Bruder. Offenbar taten ihm die Ohrfeigen von vorhin schon wieder leid. So leicht er aufbrauste, so schnell beruhigte er sich auch wieder. »Er kann uns doch ein bisschen zur Hand gehen. Und nachher alle Schuhe putzen, was, Erhard?« Er knuffte dem 14-Jährigen in die ungedeckte Seite. »Dafür zeigen wir dir heute, wie man richtig Fußball spielt. Vielleicht lernst du es dann auch einmal.«

      »Da sagst du was, Kohle«, rief Georg Zander, der sein unbeladenes Fahrzeug mit höchstmöglichem Tempo durch die Schlaglöcher rumpeln und über Bahngleise holpern ließ. Grüne Bäume und graue Fassaden flitzten vorbei. »Heute muss es klappen! Der roten Brut werden wir zeigen, wo der Hammer hängt. Wann, wenn nicht jetzt!«

      Erich wackelte zweifelnd mit dem Kopf; ihm war eindeutig nicht wohl zumute. Auch Erhard hatte gehört, dass bei den Hamburgern aus dem verrufenen Stadtteil St. Pauli allerhand Hafenarbeiter mitspielten, handfeste Leute, mit denen nicht zu spaßen war. Vor Kurzem noch hatten viele von denen mit den Roten sympathisiert, mit den Sozis oder sogar mit den Kommunisten; die schreckten vor keiner Saal- oder Straßenschlacht zurück, prügelten sich bei jeder Gelegenheit mit der SA. Ob das immer noch so war? Seit Hitler Reichskanzler war, hatte sich einiges

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