Verrat verjährt nicht. Peter Gerdes

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Verrat verjährt nicht - Peter Gerdes

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haben, so einen spielen zu lassen! Man schämt sich direkt, dass so was immer noch möglich ist.«

      Zwei Männer, von der Menschenmenge eingekeilt, standen an den Zaun gepresst. Den Sprecher hatte Erhard schon einmal bei einem Jugendspiel gesehen, vermutlich gehörte er zum Verein. Der andere trug eine Uniform, schwarz, mit SS-Runen an den Kragenspiegeln. »Nur keine jüdische Hast«, erwiderte er. »Schritt für Schritt, eins nach dem anderen. Immer mit Blick auf das Ausland. Deutschland ist noch nicht so weit. Aber das kommt schon, nur Geduld.« Sein Blick erfasste Erhard, der stehen geblieben war und die beiden anstarrte. »Was ist los, Bengel?«, schnauzte der Uniformierte. »Weitergehen, aber zackig! Hier werden keine langen Ohren gemacht.« Erhard machte sich davon, mit brennenden Ohrmuscheln und eingezogenem Kopf. »Auch einer von denen, sieht man bloß nicht gleich«, bekam er noch mit, ehe er außer Hörweite war.

      Erhard machte, dass er wegkam. Seine Wangen brannten. Zigeuner! Er hasste dieses Wort, er hasste es, so genannt zu werden. Herumziehende Gauner hieß das, was für eine Gemeinheit, das waren sie doch längst nicht mehr. Sein Vater gab sich alle Mühe, genauso deutsch zu sein wie alle anderen um sie herum. Penibel hielten sie sich an die Gesetze, und zu Hause wurde nur Hochdeutsch gesprochen, auch wenn ihrer Mutter immer wieder ein paar Sätze auf Romanes herausrutschten. Ihr sah der Babo das nach, aber die Kinder durften sich das nie erlauben. Einmal hatte er seine Schwester Chaia gerufen, Mädchen – schon hatte es eine schallende Ohrfeige gesetzt. Dafür musste Vater nicht aus der Rolle fallen, Erziehung durch Schläge war bei Deutschen wie bei Sinti oder Roma gleichermaßen üblich. Ihre Mutter dagegen war der Farbklecks in der Familie. Im Haus kleidete sie sich kunterbunt, trug riesige Ohrringe und glitzernden Schmuck. Bei jeder Gelegenheit sang oder tanzte sie. »Den Flamenco haben unsere Leute erfunden«, rief sie dann, schnippte mit den Fingern und stampfte rhythmisch, dass die Dielenbretter dröhnten und die Tassen im Schrank klirrten. Der Babo lachte dann, und die Kinder klatschten dazu. Sowie ihre Mutter jedoch einen Fuß aus dem Haus setzte, war es damit vorbei, das hatte Vater ihr eingeschärft. Nur nicht auffallen, immer anpassen! Waschechte Roma waren sie nur privat, zum Beispiel, wenn es etwas zu entscheiden oder einen Streit zu schlichten galt. Dann hielt man sich an uralte Überlieferungen. Nach außen aber waren die Köhlers deutscher als deutsch. Und trotzdem bekamen sie es bei jeder Gelegenheit zu hören: »Zigeunerpack!«

      Verspätet bemerkte Erhard, dass Regen eingesetzt hatte, ganz leicht zunächst, aber stetig zunehmend. Beim Anpfiff zur zweiten Spielhälfte fiel schon ein solider Landregen, der stärker wurde. Frisias Übungsleiter hatte seine Mannschaft umgestellt, Erich Köhler und Georg Zander blieben draußen, dafür verstärkten zwei echte Eisenfüße die Oldenburger Abwehr. Wieder rannte Pauli an, kam aber nicht mehr bis vors Tor. Der Boden wurde schnell weich und tief, die Stollen der matschverklebten Schuhe boten keinen Halt mehr, Furchen durchzogen den Rasen wie Narben, der Lederball sog sich mit Nässe voll, wurde schwerer und sprang unberechenbar. Das Spiel verlor seine Klasse, verkam zu einer plumpen Bolzerei. Der Schiedsrichter hatte alle Hände voll zu tun, stellte nach einer Keilerei je einen Hamburger und Oldenburger vom Platz und pfiff sich die Lunge aus dem Leib. Die Minuten aber verstrichen, der Sieg rückte für Frisia näher.

      Einige Minuten vor Schluss suchte Erhard nach seinem Bruder, um ihn zu beglückwünschen – in der Hoffnung, dass Erich die Sache mit dem Schuheputzen vergessen haben könnte. Er fand ihn unter dem Dachvorsprung der Umkleidebaracke, im Gespräch mit Georg Zander. Beide waren geduscht und umgezogen, Zander trug seine SS-Uniform, in der er noch imposanter aussah. Dem Spiel schenkten beide keine Aufmerksamkeit. Etwas anderes beschäftigte sie anscheinend weitaus mehr.

      »Da ist Geld zu holen«, beschwor Zander den kleinen Stürmer, der sich den Rollkragen seines Pullovers übers Kinn gezogen hatte. »Und es wird mehr. Die ganz Schlauen sind schon letztes Jahr weg, aber die anderen merken erst so nach und nach, was die Uhr geschlagen hat. Jetzt wollen sie verkaufen, aber natürlich bekommen sie keine vernünftigen Angebote mehr. Ist klar, warum sollte man den Itzigs das Geld auch hinterhertragen, was? Und da kommen wir ins Spiel.«

      Erich schüttelte den Kopf. »Das ist nichts für mich«, lehnte er ab. »Ich halte den Kopf lieber unten. Du weißt doch, meine Leute und ich gehören zu den Unbeliebten. Ich will auf keinen Fall mit unter die Räder kommen.«

      So unauffällig wie möglich drückte sich Erhard neben seinem Bruder an die Holzwand. Das belauschte Gespräch von vorhin fiel ihm ein. Schritt für Schritt, eins nach dem anderen.

      »Erich, du brauchst dir doch keine Sorgen zu machen!« Georg Zander schlug seinem Mannschaftskameraden wuchtig auf die Schulter. »Ihr habt doch alle den reichsdeutschen Pass, oder? Na also! Juden seid ihr auch keine, das weiß ich, weil ich dich und deine Sippschaft schon in der Kirche gesehen habe. Was soll also passieren?« Er legte Erich den Arm um die Schulter, halb vertraulich, halb Schwitzkasten: »Außerdem, solange ich auf dich aufpasse, kann dir sowieso keiner etwas anhaben. Wer Arier ist, bestimmen wir, verstanden?«

      »Ist gut, Georg, ihr seid die Besten, ich weiß Bescheid.« Erich entwand sich dem Größeren, deutete spielerisch ein paar Boxhiebe an. »Und wenn schon. Von diesem Herbst an ziehen wir über die Jahrmärkte, meine Familie und ich, mein Vater mit seiner Schießbude, meine Mutter als Wahrsagerin. Vater sagt, ich soll den Zugwagen fahren. Bin der Einzige von uns, der das kann. Außerdem muss ich die Karre immer wieder zusammenflicken.« Bedauernd breitete er die Arme aus: »Du siehst, es geht nicht. Vater ist der Chef, und was der sagt, ist Befehl. Kennst du doch, kannste nichts machen.«

      »Mensch, Erich! Was kannst du denn dabei verdienen? Pfennige! Bei uns machst du das große Geld. Und als Mechaniker können wir dich auch sehr gut gebrauchen. Der Mercedes ist zwar neu, aber was wir sonst noch so im Fuhrpark haben …« Er rollte mit den Augen.

      »Einen Mechaniker wirst du doch wohl anderswo finden«, erwiderte Erich. »Beliebter Beruf heutzutage. Hier, guck dir Erhard an, der bastelt gerne an unserem Laster herum. Hat er richtig Begabung dafür.« Sein Blick huschte zwischen seinem Bruder und Georg Zander hin und her. »Rechnen kann er übrigens auch, besser als ich. Überhaupt ist er viel flinker im Kopf, ich hab’s mehr in den Beinen. Und guck mal, wie groß er schon ist. Also, wenn du jemanden suchst für dein Geschäft, wie wär’s denn mit ihm?«

      »Mit dem?« Georg Zander betrachtete den Jungen, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Mit der kleinen Kröte hier?« Abschätzig starrte er Erhard Köhler aus eisblauen Augen an. Erhard stellte sich kerzengerade hin und starrte zurück.

      5.

      Heute

      Stahnke warf die Zeitung vor sich auf den Konferenztisch. Am anderen Tischende tat Venema das Gleiche, nur ungleich heftiger. »Hat die Spottdrossel uns wieder ausgetrickst«, schimpfte der Oberkommissar. »Tatortfotos mit allen Details! Aus nächster Nähe! Das kann nur sie gewesen sein. Der Dame ist einfach nicht zu trauen. Klimpert einen treuherzig an mit ihren blauen Augen, und dann haut sie uns hinterrücks doch in die Pfanne.«

      »Mit den Wimpern«, korrigierte Stahnke. »Man klimpert mit den Wimpern. Augen klimpern nicht.«

      Venema erstarrte. Alle Gespräche im Raum erstarben. Es war plötzlich so still, dass das Gespräch zweier Kollegen unten auf dem Hof durchs offene Fenster Wort für Wort zu verstehen war. Oberkommissar Venema presste seine Lippen aufeinander, stampfte durch den Besprechungsraum und knallte das Fenster zu. Als er seinen Platz einnahm, hatte sich sein Gesicht gerötet.

      »Moin zusammen.« Stahnke setzte sich und blickte in die Runde. »Ich begrüße alle Mitglieder der Mordkommission Jachthafen zur ersten offiziellen Dienstbesprechung. Die meisten von uns sind schon seit gestern am Ball; bringen wir uns also gegenseitig auf den aktuellen Stand. Aktenführung macht Frau Wiemken.« Er nickte der grauhaarigen Beamtin zu, die gleich rechts von ihm saß. Nach ihm war sie die älteste Person in diesem Zimmer. Dienstrang Oberkommissarin, Vorname Sibylle. Hoffentlich bietet sie jetzt nicht das Du an, dachte

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