Verrat verjährt nicht. Peter Gerdes
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Читать онлайн книгу Verrat verjährt nicht - Peter Gerdes страница 13
»Nee, nicht die Mensa«, korrigierte Schulte. »Aber die Studenten haben alle naselang wilde Feten gefeiert, selbst organisiert in den Räumen der alten Pädagogischen Hochschule. G-Trakt hieß das damals. Genau, wie G-Punkt, ich wusste, dass du grinsen würdest. Die Unileitung hat das erlaubt, vorausgesetzt, bis 7 Uhr morgens waren alle Spuren beseitigt. Diese Feten haben wir beliefert. Morgens die Reste und das Leergut abgeholt und gleich kassiert. Da kam manchmal ganz schön was zusammen, das kann ich dir sagen.«
»Studenten und organisieren!« Olivia schnaubte verächtlich. »Da ist doch bestimmt alles drunter und drüber gegangen.«
»Teils, teils.« Schulte grinste verschmitzt. »Das hing davon ab, welche Fachschaft die Fete gemanagt hat. Arbeitslehre zum Beispiel hatte mal morgens so viel Minus in der Kasse, dass die bei allen Helfern sammeln mussten für die Bierlieferung, weil sie selbst am meisten gesoffen hatten. Aber bei den Germanisten, diesen hochgeistigen Typen, hat es immer wunderbar geklappt. Die hatten auch immer den Hausmeister und die Putzfrauen auf ihrer Seite. Paar Pullen Schnaps und Apfelkorn und die Sache lief.«
»Was du nicht sagst.« Olivia gähnte demonstrativ. »Und bei welcher dieser Fachschaften war nun Heino Zander aktiv?«
»Der? Bei keiner natürlich. Da hätte er ja etwas tun müssen. Aber Zander war auf jeder Uni-Fete dabei. Bis kurz vor Schluss, wenn die Abschlepperei losging. Dafür war er bekannt. Manchmal hab’ ich ihn beobachtet, wie er noch dabei war, als ich schon kassieren kam.« Albert Schulte grinste anzüglich: »Der hat auch überhaupt nur deshalb ein Zimmer im Studentenheim gehabt, weil er dort leichter an die scharfen Miezen rankam. Finanziell hatte er das gar nicht nötig.«
»Lockeres Völkchen anscheinend, diese Studenten damals«, sagte Olivia. »Wann war das denn, 70er-Jahre? Die Pille schon allgemein verbreitet, aber Aids noch nicht erfunden? Und die 68er-Bewegung hatte die freie Liebe ausgerufen. Vermutlich kam damals das Bumsen gleich nach dem Moin. Quasi, um sich erst mal kennenzulernen.«
»Mensch, Mädchen, deine Vorurteile sind auch nicht von schlechten Eltern.« Schulte schüttelte seinen kugelrunden, nur noch spärlich und weiß behaarten Kopf. »Klar sind die jungen Leute damals gerne miteinander in die Kiste gegangen, warum auch nicht? Wenn man sich gegenseitig nett findet, warum sollte man es nicht probieren? Am Ende hat sowieso jeder bloß jemanden gesucht, mit dem man es eine Weile aushalten kann. Partnersuche. Ganz brav und bieder, vielleicht etwas weniger verklemmt als in der Zeit davor. Oder heute. Was du meinst, sind ein paar krasse Ausnahmen. Die gab es natürlich auch. Und einer davon war Heino Zander.«
»Na also«, triumphierte Olivia. »Wusste ich es doch. Ich kenne die Menschen.«
»Du kennst die Menschen?« Schulte erstarrte für einen Moment. Erschrocken sah Olivia, wie sich sein Gesicht von einer Sekunde auf die andere veränderte. Hatte er gerade noch wie ein fröhliches Lebkuchenmännlein ausgesehen, mit runden, rötlich schimmernden, stark geäderten Wangen und tief liegenden, fröhlich blitzenden braunen Rosinenaugen, so wirkte er plötzlich grau und verhärmt, seine Miene hart und hoffnungslos; seine Augen ließen etwas von dem Entsetzlichen ahnen, das sie gesehen hatten, und sein Blick deutete an, dass unter dieser Oberfläche noch sehr viel mehr davon war.
Dann lachte Albert Schulte, und plötzlich war alles wie vorher, als hätte er einen Schalter gedrückt. »Der Heino Zander, der war wirklich so, wie du denkst«, sagte er. »Ein Aufreißer und Abschlepper, aber einer von der fiesen Sorte. Der war nur solange freundlich und spendabel, bis er hatte, was er wollte. Mir kam er immer vor wie ein Trophäenjäger. Nur, dass er die Köpfe seiner Frauen nicht präpariert und auf Holzbretter geschraubt hat.«
»Was hat er denn mit ihnen gemacht? Gevögelt und ab dafür? Da kenne ich einige Leute, die es so machen. Nennt sich One-Night-Stand. Ist nicht direkt verboten.«
»Ich weiß«, sagte Schulte und nickte. »Schließlich bin ich dein Nachbar und stehe morgens früh auf. Habe schon so manchen von deinen Jungs nach Gebrauch abdampfen sehen. Wenigstens hatten sie keine verheulten Gesichter, und ein blaues Auge hast du bis jetzt auch keinem geschlagen. Soweit ich weiß.«
Olivia schnappte nach Luft. »So ein Blockwart bist du! Wenn ich das gewusst hätte.«
»Was dann? Hättest du dir anderswo ein Zimmer genommen?« Schultes Wangen schimmerten längst wieder rosig.
Olivia ging nicht darauf ein. »Blaue Augen. Verheulte Gesichter.« Sie stand auf, goss sich Kaffee nach. »Dieser Zander hat seine Mädels also richtig mies behandelt, sagst du? Und das mehr als einmal? Aber so was spricht sich herum. Von so einem Arsch lässt man als Frau doch die Finger!«
»An der Uni tauchen jedes halbe Jahr neue Studentinnen auf«, sagte Schulte. »Frischfleisch, wie Heino Zander zu sagen pflegte. Neues Spiel, neues Glück. Außerdem sah der Mann ziemlich gut aus. Sehr groß, schlank, blonde Haare. Gute Manieren, jedenfalls anfangs, und immer ein volles Portemonnaie. Da hat manche junge Frau auf die Gerüchte gepfiffen, die im Umlauf waren. Vermutlich dachte sowieso jede, ihr könnte so etwas nicht passieren.«
»Geld hatte er auch, sagst du? Vom Herrn Papa, nehme ich an. Unternehmersohn oder Adelsspross? Obwohl, dann hieße er wohl von Zander.«
»Dein erster Schuss lag näher am Ziel«, sagte Schulte. »Zander und Sohn, internationale Transporte. Später umbenannt in Intertrans. Sein Vater war quasi ein Kollege von mir. Allerdings einer mit dem goldenen Löffel im Mund. Woher der auch immer kam. Bei mir reichte es gerade eben zu Blech.« Er klapperte mit dem Löffel in seiner Tasse.
»Spediteure also.« Olivia legte ihre Stirn in Falten. »Und was will so einer mit dem Doktortitel?«
»Frag mich nicht. Ob er im Betrieb seines Vaters jemals mehr getan hat als die Hand aufzuhalten, weiß ich nicht. Irgendwann war er sowieso verschwunden. Seine Rolle auf den Uni-Feten haben andere Hengste übernommen.«
»Verschwunden? Nach deiner Schilderung war dieser Mann doch keiner von der unauffälligen Sorte. So einer verschwindet doch nicht.«
»Offenbar doch.« Schulte senkte den Kopf und schloss seine Augen, schien angestrengt nachzudenken. »Irgendetwas war damals. Aber ich komm’ nicht mehr drauf.« Er klopfte sich an die Stirn: »Doch schon zu viel Kalk da oben.«
»Mach dir keine Sorgen. Kalk bröckelt, irgendwann kommt alles wieder.« Olivia erhob sich. »So, jetzt muss ich aber los. Mein Kalkbergwerk heißt Redaktion. Ostfrieslandseiten zusammenkloppen.«
»Apropos Ostfriesland.« Schulte schnippte mit hornigen Fingern: »Hatte ich erwähnt, dass Zanders Vorfahren aus Ostfriesland stammten? Darauf schob er immer sein Aussehen, von wegen groß und blond. Manchmal erzählte er auch diesen blöden Witz, dass die Ostfriesen früher auf Oldenburgern zur Arbeit geritten wären. Weißt schon, wegen der Pferderasse. Dabei waren die Zanders längst selbst Oldenburger.«
»Schau an, wer so alles irgendwo herstammt.« Olivias Gedanken waren schon zur Tür hinaus. »Woher in Ostfriesland kamen die denn genau?«
»Aus Völlen«, antwortete Schulte.
7.
Frühjahr 1937
Erhard Köhler sang vor sich hin: »Alles in Butter, es ist alles in Butter.« Was für ein schwachsinniges Lied, dachte er dabei. Bloß gut, dass