Verrat verjährt nicht. Peter Gerdes

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Verrat verjährt nicht - Peter Gerdes

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dem weißen Riegel, der im Salzwasser schwamm, spießte ihn auf, hob ihn aus dem Bottich, ließ ihn abtropfen und beförderte ihn mit geübtem Schwung in den großen Einkochkessel auf dem Herd. Vorsichtig eintauchen lassen, darauf kam es an. Nicht mit der heißen Butter herumspritzen! Fettflecken gingen aus Oberhemd und Weste nur schwer heraus, und wenn man großes Pech hatte, konnte sich das Zeug am Stangenherd entzünden. Das wäre eine Katastrophe gewesen. Nicht nur wegen des Feuers.

      Während der Butterriegel schmolz, taxierte Erhard den Pegelstand des flüssigen Fetts. Reichte das schon? Zu viel war Verschwendung. Aber es durfte nachher auch nichts oben herausgucken.

      Vorne im Haus klapperte etwas. Mit drei schnellen Schritten war Erhard an der Küchentür, spähte in den langen Flur, Hand am Riegel. Das ganze Zeug lag ausgebreitet hinter ihm, der denkbar ungünstigste Zeitpunkt für ungebetenen Besuch! Seine Anweisung für diesen Fall lautete: Tür verbarrikadieren, raus durchs ebenerdige Fenster und ab durchs Grünkohlfeld. Weiter reichte der Plan nicht.

      An der Garderobe neben der Haustür pfiff jemand. Aha, das Horst-Wessel-Lied. Eindeutig Georg Zander. Puh! Erhard entspannte sich. Er ging zurück zum Stangenherd, der einen starken Torfrauchgeruch verbreitete, und kontrollierte den Buttertopf. Besser doch noch einen Riegel, sonst reichte es nachher nicht.

      Erhard Köhler ertappte sich dabei, dass er nun ebenfalls das Horst-Wessel-Lied vor sich hin summte. Pfui Teufel! Früher war es ein Kampflied der SA-Horden gewesen, das einen der ihren verherrlichte, einen kriminellen Zuhälter, dessen einziges Verdienst es war, von Linken erschossen worden zu sein und dadurch den Nazis als Märtyrer zu dienen. Damals, vor 1933, hatte Erhard sich manchen Tritt von diesen uniformierten Strolchen eingefangen. Inzwischen sah man die kinderkackebraune Kluft kaum noch auf den Straßen. Hitler befehligte inzwischen nicht nur die SS, sondern ganz offiziell Polizei und Reichswehr. Was brauchte er da noch seine Schlägertrupps von früher? Abgehakt und abgelegt. Das Horst-Wessel-Lied aber war zur zweiten deutschen Nationalhymne avanciert.

      Die Küchentür flog auf. Georg Zander bückte sich beim Eintreten, trotzdem berührte er mit dem Kopf den Türsturz. Seine schwarze Uniform schien alles Licht im Raum aufzusaugen. Sein langes, blasses Gesicht und sein hellblondes Haar bildeten dazu einen starken Kontrast. »Wie läuft es, mein kleiner Zigeunerfreund?«, rief er dröhnend laut. »Alles in Butter, wie ich sehe. Verschütte bloß nichts, Butter ist kostbar!« Er lachte schallend. »Die gute Horst-Wessel-Butter! Marschiert im Geist auf unseren Broten mit!«

      Erhard, der gerade den Einkochkessel mit der flüssigen Butter vom Herd heben wollte, hätte das schwere Gefäß beinahe aus den topflappengeschützten Händen rutschen lassen. »Mensch, Georg, leg dich bloß nicht mit Goebbels an!«, rief er erschrocken. »Kugelfest ist deine Uniform auch nicht.«

      Zander machte eine wegwerfende Handbewegung. »Hast du eine Ahnung«, schnaubte er. »Die SS ist die wahre Macht im Staate, gleich nach dem Führer und Heinrich Himmler. An uns würde sich sogar der kleine Klumpfuß die Zähne ausbeißen. Aber der ist schlau, darum versucht er es gar nicht erst.«

      Erhard Köhler verdrehte die Augen. Gleich zwei politische Witze über den Reichspropagandaminister hintereinander! Erst die Anspielung auf seine vor zwei Jahre verkündete Parole »Kanonen statt Butter«, dann die auf seine körperliche Missbildung. Jede davon konnte einem zehn Jahre Gefängnis einbringen. Oder KZ. Über diese Lager hörte man so einiges, meist hinter vorgehaltener Hand. Dort arbeiteten halb verhungerte Leute bis zum Umfallen, hieß es, Vernichtung durch Arbeit sei das Ziel. Es gab reichlich Nachschub an Arbeitskräften, denn irgendwer erzählte immer einen Witz. Viel zu viel Risiko für einen kurzen Lacher! Jetzt aber hieß es für ihn Konzentration, denn Zander schaute Erhard genau auf die Finger. Und Beeilung, sonst wurde das Butterfett wieder fest. Er trug den Kessel mit dem schwappenden Inhalt hinüber zu dem hölzernen Fass, in dem Rosenfelds Meißner Porzellan gestapelt war, ein historisches Service in kunstvollster Ausführung, mit verschnörkelten Rändern ohne Sprünge oder abgeplatzte Stellen, die Bemalung so leuchtend, als sei sie gestern erst aufgetragen worden. Alles war vollständig, von den großen Terrinen und Saucieren bis hin zu den kleinsten Tellerchen und Kännchen. Erhard hatte Stunden damit zugebracht, alles fein säuberlich in diesem Fass zu stapeln, sodass nirgendwo mehr Luft als nötig bleib, aber ohne dass irgendein Teil die Fassdauben berührte. Das Resultat war für sich genommen schon ein Kunstwerk. Das übergoss er nun mit der flüssigen Butter.

      »Sehr gut.« Georg Zander beobachtete, wie der Flüssigkeitspegel langsam stieg, wie die heiße Butter alle Hohlräume füllte und schließlich bis über das oberste Deckelchen stieg, bis knapp unter den Rand des Fasses. Die Buttermenge war genau richtig kalkuliert, stellte Erhard zufrieden fest. Vom langen Halten des Kessels zitterten ihm die Arme; das leere Gefäß klapperte, als er es zurück auf den Stangenherd stellte.

      »Du musst mal mehr Sport treiben«, sagte Zander und kniff ihn in den Oberarm. »Nichts als Pudding! Da haben andere 18-Jährige aber mehr zu bieten, die sind nicht so schlapp wie du. Besonders groß bist du auch nicht. Wächst du eigentlich noch?«

      »So groß wie du will ich gar nicht werden, da stößt man sich bloß überall den Kopf«, sagte Erhard und wich flink einer angedeuteten Backpfeife des Älteren aus. »Mir reicht es, dass ich schon fast einen Kopf größer bin als Erich, mein großer Bruder. Und außerdem, was soll ich Sport treiben? Bringt doch kein Geld! Olympia war schon letztes Jahr.«

      »Da sagst du was«, knurrte Georg Zander. »Letztes Jahr hatten die Siegermächte uns scharf im Visier, da mussten wir zentnerweise Kreide fressen, selbst wenn irgendwelche Neger unsere arischen Männer im Wettkampf geschlagen haben. Und die Juden mussten wir auch eine Weile in Ruhe lassen, damit kein Ausländer mit dem Finger auf uns zeigte. Alles nur, weil wir noch nicht kriegsbereit waren. Aber das ändert sich jetzt, mein Junge, das ändert sich. Weniger Butter, mehr Kanonen. Und Panzer, Flugzeuge, U-Boote. Jeden Tag werden es mehr. Schritt für Schritt zum Endsieg!«

      Erhard lief ein kalter Schauer über den Rücken. Hatte er sich gerade eben überanstrengt? Besonders weit her war es wirklich nicht mit seiner körperlichen Konstitution. Seit er in Zanders Geschäft eingestiegen war, verbrachte er mehr Arbeitszeit am Schreibtisch als erwartet. Vor allem, seit Georg ihn zum Kompagnon gemacht hatte. Das brachte nicht nur mehr Geld, das erhöhte auch sein Sicherheitsgefühl. Aber es verstärkte auch den Erfolgsdruck.

      »Tingelt dein Bruder immer noch über die Jahrmärkte?«, fragte Zander. »Beim Fußball habe ich ihn seit damals kaum noch gesehen. Mann, das war vielleicht was, wie wir die Hamburger satt gemacht haben. Aber danach musste er ja für euren Vater den Fahrer spielen. Habt ihr immer noch die große Schießbude? Aber doch bestimmt nicht mehr diese gammelige Zugmaschine von damals.«

      »Den Protos haben wir längst abgestoßen«, antwortete Erhard mit Stolz in Stimme und Gesicht. »Erich fährt jetzt einen Cadillac! Große Kiste, drei Sitzbänke, und auf den Trittbrettern können auf jeder Seite vier Mann mitfahren, wenn es sein muss. Der Wagen zieht den großen Hänger mit der Schießbude wie nichts.«

      Zander schüttelte missbilligend den Kopf. »Ein Jammer, dass dein Bruder nicht mehr aus sich macht! Gib’s zu, den Wagen hast du ihm doch bezahlt, oder nicht? Finde ich gut, diesen Familiensinn, den ihr habt. Aber tritt deine Mutter immer noch als Wahrsagerin auf? Also mir wäre das peinlich.« Er rieb seinen Mützendeckel mit dem Unterarm ab und polierte den glänzenden Schirm. Dabei kam er ins Sinnieren: »Obwohl, unser Reichsführer SS Heinrich Himmler hat auch einen Hang zum Okkulten. Wer weiß, dem würde das vielleicht gefallen.«

      »Meine Mutter ist tot«, sagte Erhard leise. »Letztes Jahr verstorben. Ganz plötzlich, an Herzversagen.« Die Erinnerung versetzte ihm einen schmerzhaften Stich. So ein großes Herz, dachte er. Aber sie war das Herz unserer ganzen Familie. Das wäre auch für ein starkes Herz eine sehr große Aufgabe gewesen, und stark war ihres wohl nicht, wie der Doktor sagte, als es zu spät war. Sie hatten eine schöne Trauerfeier für sie gemacht, aber bei der Beerdigung

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