Verrat verjährt nicht. Peter Gerdes
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Читать онлайн книгу Verrat verjährt nicht - Peter Gerdes страница 15
»So, Herzversagen? Beileid.« Georg Zander war eindeutig nicht interessiert. »Kenne ich, solche Fälle. Kommt meistens von zu viel fettem Essen. Esst ihr Zigeuner nicht auch immer sehr fett?«
Erhard nickte. Das stimmte zwar nicht, Mutters Zigeunerpörkölt aus Rindfleisch und ein wenig Schweinespeck war auch nie fetter gewesen als der Sonntagsbraten der Nachbarn, nur schärfer und leckerer. Aber ihm behagte das Thema nicht, und Zustimmung verhinderte meist lange Erörterungen.
Diesmal klappte das nur annähernd. »Trotzdem, es ist jammerschade, wie Erich sein Talent verschleudert. Fahrer für einen Schießbudenbesitzer! Selbst wenn es euer eigener Vater ist, hör mal, das ist doch nichts.«
»Nebenbei hat er aber noch ein Boxerzelt«, nahm Erhard seinen Bruder in Schutz. »Da boxt er auch selbst! Immer gegen viel größere Gegner, sodass alle gegen ihn wetten. Aber er ist so schnell, dass keiner eine Chance gegen ihn hat.«
»Tja, schnell ist er. Wie ein Windhund. Und zäh wie Leder.« Wieder schüttelte Zander den Kopf. »Wenn er nur nicht so aussehen würde! Klein und dunkel. Könnte auch ›Zigeuner‹ auf der Stirn stehen haben.« Er klopfte Erhard Köhler auf die Schulter: »Sei froh, dass du anders aussiehst als Erich! Dich kann man schon eher mit einem Arier verwechseln. Auch wenn du im Fußball nicht einmal halb so gut bist wie dein Bruder.«
Erhard widersprach nur halbherzig. Sein Blick war auf die erstarrende Butter gerichtet, seine Gedanken waren bei seiner Familie. Je stärker er die Ablehnung der Deutschen spürte, desto mehr zog er sich gedanklich auf sein anderes, sein eigenes Volk zurück. Sie hatten sich doch einfügen wollen – warum ließ man sie denn nicht? Jedes Mal, wenn er einen von seinen Leuten traf, hörte er von neuen unerfreulichen Vorfällen. Skeptische Blicke und verletzende Bemerkungen waren sie schon lange gewohnt; nicht umsonst hielten sich Sinti und Roma überwiegend an ihresgleichen. Keinen Streit provozieren, damit war man lange Zeit gut gefahren. Auch nach der Machtübernahme der Nazis galt doch die allgemeine Feindseligkeit vor allem den Juden. »In deren Windschatten können wir ruhig segeln«, hatte sein Babo letztes Jahr noch verkündet. Dann hatten ihn ein paar junge Burschen beschuldigt, die Luftgewehre in seiner Schießbude präpariert zu haben, nur weil sie zu betrunken waren, etwas zu treffen. Sie hatten ihm mehrere Zähne ausgeschlagen, ohne dass jemand helfend eingegriffen hätte, nicht einmal die Kollegen von den Nachbarständen; Erich hatte es in seinem Boxzelt zu spät mitbekommen. Die Zeiten wurden rauer, das Leben wurde gefährlicher. Schritt für Schritt.
Erhard atmete tief durch. Nur gut, dass ich vorgesorgt habe, dachte er. Sehr gut vorgesorgt. Und dass niemand weiß, wie gut.
»Ist die Lieferung damit komplett?« Zander trat mit blank poliertem Stiefel gegen das frisch gefüllte Fass, dass es wackelte. Von drinnen war nichts zu hören, kein Klirren und kein Scheppern. Das kostbare Porzellan war unverrückbar und sicher eingebettet. Alles in Butter. Diese Transportsicherung stammte aus dem Mittelalter, ebenso wie die Redensart.
»Ja, das ist das letzte Collo.« Erhard wischte mit einem Lappen über eine haardünne Fuge zwischen zwei Dauben, wo etwas Butter ausgetreten und erstarrt war. »Passt alles zusammen auf den kleinen Pritschenwagen. Der ist schneller, dann schaffe ich es hin und zurück leicht an einem Tag.«
»Nimm trotzdem den großen Lastwagen«, ordnete Zander an. »Ich habe weitere Ware angenommen. Kisten mit Büchern für unsere Parteigenossen in den Niederlanden. Teilweise ins Niederländische übersetzt.« Er grinste: »›Mein Kampf‹ heißt bei denen ›Mijn Gevecht‹. Klingt witzig.«
Erhard Köhler stöhnte. »Bücherkisten! Kriege ich wenigstens einen Beifahrer? Oder soll ich die alle alleine schleppen?«
»Stell dich nicht so an, die Parteigenossen in Groningen werden dir schon helfen. Außerdem, Arbeit macht frei! Und stärkt die Glieder.«
»Ein bisschen wundert es mich schon, dass wir mit unseren Butterfässern nie Probleme haben an der Grenze«, sagte Erhard. »Bei uns ist Butter doch Mangelware, in den Niederlanden nicht. Warum also Butter von Deutschland nach Holland exportieren? Ist doch unlogisch.«
»Logisch muss es auch gar nicht sein«, schnarrte Zander. »Es ist nicht verboten, darauf kommt es an. Außerdem deklarieren wir den Inhalt nicht als Butter, sondern als Butterfett. Für Großbäckereien. Holländische Stroopwaffeltjes, weißte Bescheid? Die Dinger triefen doch von dem Zeug. So hat noch niemals jemand Verdacht geschöpft.«
Erhard nickte; das wusste er natürlich, die Zolldeklarationen fertigte er schließlich selbst aus. »Wieso bekommen wir so leicht Nachschub an Butter? Wo die doch so knapp ist?«
Georg Zander strich mit der Hand über die Knopfleisten seiner schwarzen Uniform. »Deswegen! Sagte ich nicht, dass die SS die wahre Macht im Staate ist? Aber auch, weil meine Familie aus Ostfriesland stammt. Kennst du Völlen? Das ist bei Papenburg. Vielleicht seid ihr dort mit eurer Jahrmarktsbude schon mal durchgekommen.«
Erhard Köhler zuckte mit den Schultern; mit den alten Zeiten hatte er abgeschlossen. »Da gibt es Butter im Überfluss?«, fragte er.
»Vor allem gibt es da Bauern«, gab Zander zurück. »Reiche Bauern. Gierige Bauern. Die lassen sich nicht gerne vorschreiben, wann sie wie viel zu schlachten und wem sie was zu liefern haben. Solche Bauern denken nicht an die Volksgemeinschaft, sondern nur an den eigenen Bauch. Die sind erst zufrieden, wenn sie Teppiche im Schweinestall liegen haben.«
Blanker Hass sprach aus Zanders Miene; Erhard zuckte erschrocken zurück. Natürlich wusste er, was die SS war und wofür sie stand. Schutzstaffel, von wegen! Aber zu ihm waren Georg und Hasko Zander immer nett gewesen. Herablassend, das ja, manchmal auch geringschätzig, aber meistens korrekt. Man arbeitete zusammen, man brauchte einander; in den letzten Jahren hatte Erhard sich für das gemeinsame Geschäft unentbehrlich gemacht. Er hatte sich trotzdem bemüht, nicht unvorsichtig zu werden, aber wirklich bedroht hatte er sich nie gefühlt. Jetzt aber hatte er einen Eindruck davon, wie sich das anfühlen konnte.
»Na, Bauern eben.« Zander hatte sich wieder im Griff. »Protzen gern mit dem, was sie haben. Aber wenn du sie wegen Gesetzesverstößen bei den Klöten hast, dann fangen die genauso an zu wimmern wie die Judenbengel.« Er lachte böse. »Dann sind die froh, wenn du nichts anderes von denen willst als ein paar Zentner Butter. Verstehst du? Mach den Leuten immer so viel Angst, dass sie denken, es geht ums Leben. Dann trennen sie sich ganz leicht von allem anderen.«
Erhard nickte schweigend. Genau das ist unser Geschäft, dachte er. Wenn Menschen um ihr Leben fürchten, dann geben sie alles andere leichter weg. Dann sind wir da, um es ihnen abzunehmen. Gegen ein Trinkgeld. Gerade so viel, dass sie in irgendein anderes Land kommen, wo sie sich sicher fühlen. Mit schwerem Herzen und leichtem Geldbeutel. Aber mit dem Kopf fest auf dem Hals.
»Was ist mit dem Schmuck?«, fragte Zander unvermittelt. »Wo ist der ganze Silberkram von Levy? Und wo hast du die goldenen Ringe und Ketten von Hammerschmidt hingetan? Pferdehändlers Notreserve, dass ich nicht lache! Als es drauf ankam, hat er sich nicht getraut, das Zeug über die Grenze zu schmuggeln. Feiges Judenpack!«
»Reservereifen«, sagte Erhard Köhler und seufzte. »Hatte ich schon für den Pritschenwagen fertig gemacht. Jetzt muss ich das Zeug natürlich umpacken. Dabei gehen die Lastwagenreifen so schwer von der Felge ab.«
»Da siehst du es mal wieder, blinder Eifer schadet nur. Bloß keine jüdische Hast.« Unvermittelt beugte sich Zander zu Erhard Köhler herab. »Und wie ist das mit den Diamanten ausgegangen?«, zischte er. »Los, ich will eine Erfolgsmeldung hören.«