Emmanuel Macron. Joseph de Weck
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Das Bild des unzufriedenen Franzosen ist natürlich vor allem auch eine Pariser Impression. Im Süden des Landes ist man ausgeglichener, im Westen geschäftiger, im Osten gemütlicher. Aber wo auch immer im Lande, der Gutgläubige kommt in der französischen Kulturgeschichte schlecht weg. Jeder Jugendliche liest in der Schule Voltaires Candide oder der Optimismus, in dem sich der Nationalautor dauernd über die Naivität und den Optimismus der Hauptperson seiner Novelle mokiert. Versöhnlich gestimmte Autoren werden in die Gattung livres de plage (Strandbücher) einsortiert: eine schöne Ablenkung beim Sonnenbaden an der Küste, keine ernsthafte Literatur.
Pessimismus und Kritik sind nicht bloß ein Beiwerk der intellektuellen Eitelkeit; sie erlauben es den Franzosen auch, Nähe herzustellen und Solidarität mit weniger Glücklicheren zu zeigen, meint Polonyi. Wer im Gespräch mit anderen Kritik übe, sei es am Wetter, sei es am Staat, sei es am Nachbarn, der im Treppenhaus nicht mal «bonjour» zugerufen habe, gebe sich als vulnerabel zu erkennen.
Bereits die Begrüßung ist der Auftakt eines Klagelieds. Man fragt leicht besorgt «ça va?» und erwartet durchaus ein Seufzen oder Lamento — während in Deutschland und erst recht in Großbritannien auf ein «Wie geht’s?» das obligate, unverbindliche «gut» folgt und jede andere Antwort irritieren würde. So ist das französische «Ach und Weh» ein Türöffner für Komplizenschaft in diesem Land, in dem der erste Kontakt oft distanziert oder unbeholfen ist. Eine gemeinsam erlittene Misere wirkt als einigende Kraft.
«Unglücklich das Land, das Helden nötig hat», schrieb Bertolt Brecht. Frankreich glaubt noch immer, Helden nötig zu haben. Und in der Tat ist der reale und gefühlte Abstieg Frankreichs das lange Prélude zu dem schnellen Aufstieg des Emmanuel Macron.
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