Mit intelligenten Kindern intelligent umgehen. Christa Rüssmann-Stöhr
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Bei unserem Thema herrscht Verwirrung wie beim Turmbau zu Babel:
• „Hochbegabung“
• „besondere Begabung“
• „Sonderbegabung“
• „überdurchschnittliche Begabung“
• „Hochleistungsdisposition“
• „potenzielle Hochbegabung“
• „allgemeine Hochbegabung“
• „spezifische Begabungen“
• „intellektuelle Hochbegabung“
• „intellektuelle Begabung“
• „nicht-intellektuelle Begabung“
• „besonderes Talent“
• „generelle Intelligenz“
• „emotionale Intelligenz“
• „soziale Intelligenz“
• „allgemeine Intelligenz“
• „multiple Intelligenzen“
• „mathematisch-räumliche Intelligenz“
• „sprachliche Intelligenz“
• „fluide und kristalline Intelligenz“
So lauten einige der gebräuchlichen Begriffe in diesem Zusammenhang. Sie meinen teilweise dasselbe, teilweise Unterschiedliches. Geradezu eine Inflation von Begabungen und Intelligenzen.
THEORIEVIELFALT
Vergleichbares gilt für den theoretischen Hintergrund. Theorien zur Hochbegabung gibt es seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Experten sind sich bis heute nicht einig. Es gibt nicht die einzige, unumstrittene Auffassung,
• was Hochbegabung oder besondere Begabung eigentlich ist,
• womit sie zusammenhängt,
• wie sie entsteht,
• wie man am besten mit ihr umgeht.
Einig sind sich alle Experten darin, dass Intelligenz nicht homogen ist, dass sich Intelligenz also aus mehreren Aspekten ergibt. Ein Modell geht von einer Vielzahl unabhängiger Faktoren aus. Andere Experten sehen einen generellen Grundfaktor und darüber hinaus einzelne Spezialfaktoren.
Eine weitere Unterscheidung, die Eingang in die Konstruktion von Testverfahren gefunden hat, ist die Differenzierung zwischen sogenannter fluider und kristalliner Intelligenz. Unter fluider Intelligenz (von lateinisch fließend) wird „Bewegliches“ verstanden, also Denkgeschwindigkeit, Gedankenvielfalt, Kreativität, Originalität, Gehen eigener Denkwege, Phantasie. Kristalline Intelligenz ist dagegen eher etwas „Festes“, wie alles Gelernte, unsere Erfahrungen, Bildung, Wissen. Kristalline Intelligenz nimmt mit den Jahren zu, fluide Intelligenz nimmt mit den Jahren eher ab.
Bekannte deutsche Forscher auf dem Gebiet sind C. Fischer, K. A. Heller, F. J. Mönks und D. H. Rost, von denen jeder sein eigenes Konzept vertritt.
Lassen wir die Diskussion in der Wissenschaft beiseite, denn sie hilft im Alltag – im Umgang mit besonders begabten Kindern – nicht viel weiter. Was nun ist mit Hochbegabung gemeint?
Hochbegabung gleich Einstein oder Beethoven?
Es geht nicht um spezielle Sonderbegabungen à la Mozart oder Beet-hoven auf einem bestimmten Gebiet, sei es die Musik, die Kunst oder der Sport. Hochbegabung bezieht sich auf grundlegende Faktoren, die Intelligenz ausmachen, wie z.B. Denkgeschwindigkeit, Aufmerksamkeitsspanne, Erkennen logischer Zusammenhänge und Regeln, neugieriges kreatives Finden, das Wissen darum, warum etwas so und nicht anders ist.
HOCHBEGABUNG = DENKSTRUKTUREN
Intellektuell hochbegabt ist jemand,
• der sich schnell und effektiv neues Wissen aneignen kann, landläufig schnelle Auffassungsgabe genannt;
• der neues Wissen, neue Erkenntnisse mit bereits vorher Eingespeichertem breit vernetzen kann;
• der sein Wissen in neuen Situationen gezielt einsetzen kann;
• der seine Denk- und Lösungsstrategien auf ungewohnte Fragestellungen zielsicher übertragen kann;
• der gut auch schwierige Probleme lösen kann.
Wie viel ist drei Viertel von 60?
Ein Beispiel für die Denkstrukturen Hochbegabter: Ein siebenjähriger Junge gab auf die Frage: „Wie viel ist drei Viertel von 60?“ die richtige Antwort: 45.
Da er Bruchrechnen nicht kannte, konnte er nicht den für uns üblichen Weg der Berechnung (60 : 4 x 3) beschritten haben. Wie er darauf gekommen ist? Er hat nicht geraten, sondern logisch abgeleitet: „Die Stunde hat 60 Minuten. Und eine Dreiviertelstunde hat 45 Minuten. Also muss es 45 sein.“
Wie viel ist 7 mal 7?
Ein Vorschüler, fünf Jahre alt, murmelt: „2 mal 7 ist 14, dann 28, 3 ... ist 48, dann muss ich noch eins dazu, raus kommt also 49.“ Was steckt hinter dieser kryptischen Äußerung? Der Gedankengang des Kleinen war offensichtlich folgender: 2 x 7 ist 14. Dann ist 4 x 7 das Doppelte, also 28. Dann müssen noch 3 x 7, also 21 dazu. Da nehme ich erst die glatte Zahl 20, da bin ich bei 48. Und dann bleibt noch eins, was dazu muss. Also ist das Ergebnis 49.
Wann hast du Geburtstag?
Und ein letztes Beispiel. Es geht um die Bestimmung des Geburtsdatums. Frage: „Wann hast du Geburtstag?“ Antwort eines Fünfjährigen: „Am 13. Februar.“ Nächste Frage: „Und in welchem Jahr?“ Erstaunte Antwort: „In jedem Jahr.“ Völlig korrekte Antwort auf die ihm gestellte schwammige Frage.
HOCHBEGABUNG GLEICH GUTE LEISTUNG? UND GLEICH GUTE SCHULNOTEN?
Begabung ist nicht gleich Leistung. Der Hochbegabte als Primus mit nur Einsen auf dem Zeugnis: Das ist ein Vorurteil, das muss ganz und gar nicht so sein. Die Meinung, dass besonders begabte Kinder aufgrund ihrer enormen Begabung schulische Anforderungen gut bewältigen, dass ihnen alles leicht(er) von der Hand geht, ist ein Mythos. Oder um es anders zu sagen: Lernen und üben müssen auch Hochbegabte. Viele Probleme mit besonders begabten Kindern ergeben sich daraus, dass sie das Üben, die Anstrengung und das Lernen nicht oder viel zu spät lernen. Nur ca. 20 bis 25 Prozent der Ursachen für gute Schulleistung sind auf die Intelligenz zurückzuführen, also weit mehr als zwei Drittel liegen an anderen Faktoren! Oder anders herum: Man muss keineswegs hochbegabt sein, um in Schule oder Beruf Erfolg zu haben. In Zahlen: Lediglich 15 Prozent der hochleistenden Schüler sind Hochbegabte. Die anderen 85 Prozent