Alkohol adé. Bernd Dr. med Guzek
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Warum dieses Buch entstand – oder: Mein morgendliches Murmeltier ist blau
Der Wecker klingelt, ich bin völlig gerädert. Die erste Nachthälfte verdient die Bezeichnung Schlaf nicht. Koma wäre treffender. Um drei Uhr knallwach, mit dem üblichen Herzrasen. Gedankenkarussell. Alltagsdinge pusten sich zu riesigen Angstgespenstern auf und sitzen als schwarze Krähen auf meinem Kopfkissen. Irgendwann verziehen sie sich wieder und ich schlafe ein. Zwei Stunden noch – dann muss ich raus.
Den Blick in den Spiegel beschränke ich schon lange auf einen Sekundenbruchteil. Das aufgequollene, müde Gesicht mag ich nicht sehen. Dabei ist die Fassade noch das Beste an mir. Grauer Gedankennebel umwabert meine Hirnzellen. Es reicht gerade, um die Brote für die Kids zu schmieren. Ein starker Kaffee muss her. Dringend. Mir ist schwindelig und übel. An Frühstück ist überhaupt nicht zu denken.
Verstohlener Blick in den Mülleimer. Wie viel war es denn gestern eigentlich wieder? Zu viel, so viel steht fest. Genauso fest steht: Das war es nun wirklich. Das geht so doch nicht weiter. Heute Abend trinke ich nichts mehr, das schwöre ich.
Dieser Schwur und ich, wir sind beste Freunde. Wir kennen uns schon seit Jahren. Alle 24 Stunden wiederhole ich ihn.
Natürlich habe ich die Lage völlig unter Kontrolle. Ich könnte jederzeit aufhören. Die Tage sind halt nur so anstrengend. Voll berufstätig, selbstständig, drei Kinder. Da braucht man abends schon mal was zur Entspannung. Aber auch ohne Stress gibt es immer einen Grund für einen Schluck. Im Urlaub beispielsweise, da lässt man es sich doch gut gehen. Ohne den Sundowner ist selbst der Sonnenuntergang von Santorin nur die halbe Miete. Dieses Bild habe ich heute noch auf meinem Handy: Die abendliche Märchenkulisse, meine Füße ragen aus dem privaten Pool unseres Appartements. Im Bildzentrum: ein gut gefülltes Weinglas. Der ultimative Wohlfühl-Beweis. Heute empfinde ich das Glas eher als Fotobombe. Die Caldera ertrinkt im Abendrot – ich im Rotwein. Erst Alkohol adelt die überirdische Schönheit dieses Fleckchens Erde.
Ich habe die Lage natürlich trotzdem voll im Griff, das ist sicher. Genauso sicher ist es noch niemandem aufgefallen, wie viel ich eigentlich wirklich trinke. Die Kinder merken zwar, dass ich viel zu oft schon um acht auf dem Sofa einschlafe, aber das ist ja auch plausibel. Ich arbeite halt viel und bin müde. Okay, mein Mann ist ein anderes Thema. Der reibt mir mein Pensum schon regelmäßig unter die Nase. Aber ich bin ja schlau und deshalb dazu übergegangen, mindestens eine Reserveflasche im Haus zu haben. Wenn die leer ist, habe ich so meine Tricks, sie unauffällig zu entsorgen. Genauso wie die Nachschub-Beschaffung. Man muss halt aufpassen, dass es in den Einkaufstüten nicht allzu laut klappert. Mitgenommene Geschirrtücher zum Einwickeln regeln das. Daheim schützt ein „Lass nur, Schatz, ich räum das schon ein“ vor unangenehmen Fragen.
Trinken wir nach dem Abendessen etwas, habe ich meistens schon vorher meinen Küchenwein gekippt. Das ist nichts Schlimmes, das hat Biolek auch immer gemacht. Aber nur eine Flasche zu zweit für den ganzen Abend, das reicht mir nicht. Alles nur zur Entspannung, klar. Deshalb macht sich die Zweitflasche ganz hinten im Küchenschrank doch gut. Im Laufe des Abends daraus noch was nebenbei und die Menge passt. Gehen wir abends aus, sind diese Extravorräte zum stillen Vorglühen praktisch. Dann kann man in etwa das Gleiche trinken wie der Rest der Runde, ohne groß aufzufallen.
Heute weiß ich, dass diese ach so schlau erdachten Geheimvorräte auch in Millionen anderer Küchenschränke stehen. Dabei hielt ich sie für eine absolut geniale, einzigartige Idee.
Die Meisterin des Bullshit-Bingo
Alkoholiker-Bullshit-Bingo ist das dämlichste Spiel der Weltgeschichte: Es gibt nur einen Mitspieler, trotzdem dauert es Jahre, manchmal Jahrzehnte. Noch blöder: Niemand hat es je gewonnen. Ich spielte es schon in der Meisterklasse. Natürlich wusste jeder, dass ich zu viel trinke. Und natürlich hatte ich das alles nicht mehr im Griff. Es hat lange gedauert, bis ich das endlich akzeptierte. Ich bin keine Alkoholikerin. Ich doch nicht. Ich bin glücklich, habe eine wunderbare Familie, ein gutes Einkommen, bin beruflich erfolgreich.
Alkoholiker? Das sind die zusammengesunkenen Gestalten vor dem Hauptbahnhof. Sie waren meine morgendliche Bestätigung, wenn ich den ersten ICE erwischen musste, um rechtzeitig zum Termin in Frankfurt zu sein. Egal, wie miserabel ich mich fühlte, wie sehr mein Kopf auch hämmerte und wie verquollen die Augen waren – mit den Menschen, die dort saßen, hatte ich nichts gemein. Ich eilte ja mit einer schicken Laptop-Tasche auf Pfennigabsätzen zum Geschäftstermin. Auf dem Rückweg war ein Besuch im Bordbistro Standard. Zur Entspannung. Die Alkoholiker saßen abends immer noch vor dem Haupteingang. Gott sei Dank hatte das ja alles nichts mit mir zu tun. Ich war das, was man einen funktionierenden Alkoholiker nennt. Aber das habe ich erst viel später herausgefunden.
Beim Thema Alkohol klafft eine Riesenlücke zwischen den gängigen Klischees und den harten Fakten. Über 10 Millionen Menschen allein im deutschsprachigen Raum haben ein Alkoholproblem. Zahlenmäßig sind das die Einwohner der Städte Berlin, Köln, Hamburg, München, Wien, Salzburg, Zürich und Basel zusammen.
Alkoholiker sind intelligent, erfolgreich und einkommensstark
Die meisten Alkoholiker sind intelligent, haben ein gutes bis sehr gutes Einkommen und einen gehobenen Sozialstatus. So steht es im „Alkoholatlas“, den die deutsche Bundesregierung erstellen ließ. Immerhin: Allein war ich also nicht.
Ähnliche Erhebungen gibt es aus anderen Ländern, im Prinzip gilt dies für die gesamte westliche Welt. Ein Engländer beispielsweise, der 40.000 Pfund pro Jahr verdient, trinkt mit einer doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit zu viel Alkohol wie jemand aus unteren Einkommensschichten. Von einzelnen Berufsgruppen weiß man, dass ihre Vertreter besonders oft zur Flasche greifen. Ganz vorn dabei: Ärzte und Lehrer.
Der Engländer Craig Beck hält Seminare zum Alkoholausstieg. Über 100.000 Menschen haben ihm bereits zugehört. Er stellt fest: „Jeder Einzelne von ihnen war intelligent. Jeder, den ich treffe, ist hochfunktional und höchst erfolgreich. Ich habe Millionäre getroffen. Menschen, die mit mehreren eigenen Unternehmen erfolgreich sind, ich habe Arbeitgeber getroffen, die mehrere Zehntausend Menschen beschäftigen. Alle hatten dasselbe Problem: Sie kamen einfach nicht mehr vom Alkohol los.“
Ich habe mich auch auf YouTube umgesehen. Ich habe Videos über Menschen jeden Alters gefunden. Unternehmer, Sport- und Fernsehpromis, Hausfrauen oder Handwerker. Alle sprechen vor der Kamera offen über ihre Alkoholprobleme. Auf unserer Website www.alkohol-ade.com/videos haben wir Ihnen einige Links dazu zusammengestellt.
Eines schönen Tages googelte ich dann das erste Mal. Nur so ganz unverbindlich. Wollte ja nur mal schauen. „Habe ich ein A…?“ Den Rest brauchte ich nicht mal mehr zu tippen. Scheint ein paar mehr Leute zu interessieren, ob sie ein Alkoholproblem haben. Die Suche landet deutlich vor „Habe ich ein Abo auf dem Handy?“. Bei „bin ich A…?“ rätseln allerdings offenbar noch mehr Menschen: „Bin ich attraktiv?“ Kann man ja auch verstehen. Fraglich allerdings, ob Google darauf die Antwort kennt.
Anders als auf die Frage, ob man ein Alkoholproblem hat. Die Antwort fiel für mich leider ziemlich eindeutig aus. Das Gute ist aber: Es gibt im Internet unendlich viele Selbst-Tests. Auf der Suche nach dem Persilschein kann man so lange suchen, bis man den passenden findet.
Als Wissenschaftsjournalistin fand ich es allerdings frappierend, dass es offenbar keine handfesten Kriterien für