Hannah und die Anderen. Adriana Stern
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Читать онлайн книгу Hannah und die Anderen - Adriana Stern страница 15
»Entschuldigung«, sagte Hannah, »ich hab gar nicht mitbekommen, dass ein Buch auf meinen Knien lag.«
»Das macht doch nichts«, sagte Janne und sah sie forschend an.
»Ist irgendwas?«, wollte Hannah wissen, die Jannes Blick nicht einordnen konnte. Sie überlegte fieberhaft, was eigentlich gerade passiert war. Hatten sie nicht eben noch in der Küche gesessen und leckere Spaghetti gegessen? Aber dann? Irgendetwas war passiert, aber sie wusste nicht, was. Jetzt jedenfalls saß sie im Wohnzimmer und Janne fachte offensichtlich gerade den Kamin an. Verwirrt und wie gelähmt beobachtete Hannah sie dabei. Sie hatte Janne doch gesagt, dass sie kein Kaminfeuer mochte!
Das Feuer brannte schon und Hannah versuchte panisch, woanders hinzusehen und das würgende Gefühl im Hals loszuwerden. Ihre Beine waren eingeschlafen und kribbelten unangenehm. Beim Strecken fiel etwas Blaues auf den Boden und sie bückte sich, um es aufzuheben. Als sie sah, was es war, vergaß sie für einen Augenblick ihre Angst.
»Och, der ist ja süß. Ist das deiner?«
Janne nickte. »Hannah, was ist los? Du siehst plötzlich so blass aus.«
Sie folgte Hannahs Blick, der wie gelähmt im Kamin festhing. Bevor Hannah ihre Panik in Worte fassen konnte, ging Janne zum Kamin und begann das Feuer zu ersticken.
»Oh, tut mir Leid, Hannah. Ich hatte vergessen, dass du Feuer nicht magst. Es ist gleich vorbei. Dauert nur einen Moment.«
Janne sah sie immer noch an, als hätte sie sie nie zuvor gesehen. Hannah zog sich misstrauisch in sich selbst zurück. Irgendetwas stimmte hier doch nicht. Verdammt, wieso kam sie nicht drauf? Sie spürte, dass sie etwas sagen musste. Sie wusste nur nicht, was und wie sie es anfangen sollte. Schließlich gab sie sich einen Ruck.
»Du willst mich bald loswerden, stimmt’s? Ich wachse dir irgendwie über den Kopf, wie es die Erwachsenen immer so schön ausdrücken.«
»Nein«, sagte Janne, »das ist es nicht. Ich hole mir einen Tee aus der Küche. Willst du auch einen?«
»Du bist irgendwie sauer auf mich, oder? Stimmt doch! Ich kann auch gehen. Du brauchst es nur zu sagen, dann bin ich in drei Sekunden weg.«
»Hannah, lass uns doch bitte gleich zusammen überlegen, wie es weitergehen kann, okay? Ich freue mich, dass du heute mein Besuch bist, und ich möchte wirklich gerne wissen, was du weiter machen willst.« Janne schien zu überlegen, dann sagte sie: »Ich will nicht, dass du ziellos durch die Straßen ziehst. Es gibt andere und viel bessere Möglichkeiten. Aber um darüber zu reden, brauche ich einen Tee und eine Zigarette. Das ist alles. Kannst du mir das glauben?«
»Ja, ja, ist schon okay. Ich will auch einen Tee und vielleicht sogar eine Zigarette und irgendwie habe ich immer noch Hunger.«
»Du hast auch fast gar nichts gegessen. Ich mache das Essen noch mal warm und bringe es dann mit. Dauert nur ein paar Minuten.«
»Ist gut, ich lese solange das Buch weiter, das du mir geschenkt hast.«
Hannah fand ihren Rucksack in dem kleinen Gästezimmer und setzte sich aufs Bett. Verdammt, was war in der Zwischenzeit geschehen? Wie war sie von der Küche ins Wohnzimmer geraten? Mit einem Buch auf den Knien, in eine Decke gewickelt, zusammen mit einem Plüschtier? Das ist doch total verrückt, dachte sie.
Sie hatte so sehr gehofft, dass ihr das nie wieder passieren würde, wenn sie erst von zu Hause weg war. Stattdessen war es sogar noch schlimmer geworden. Warum konnte sie mit niemandem darüber reden, dass immer wieder Zeit verging, ohne dass sie es merkte? Und warum sprach sonst niemand über dieses Phänomen? Vielleicht hatte ihre Mutter doch Recht damit, dass sie vollkommen durchgeknallt und verhaltensgestört war. Also lieber nicht nachfragen!
Seufzend nahm sie das Buch und ging zurück ins Wohnzimmer. Sie hörte Janne in der Küche rumoren, und trotz ihrer plötzlichen Unsicherheit und einem schleichenden Gefühl von Angst fühlte sie sich geborgen und sicher in dem kleinen alten Häuschen.
Liebes Tagebuch
Donnerstag, den 24. November 1994
Liebe Klara,
heute habe ich es mal geschafft, sofort daran zu denken, mein Tagebuch an dich zu schreiben. Ist doch auch schon ein Fortschritt, oder?
Es gibt total viel zu berichten, so dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Das Wichtigste ist, glaube ich, dass ich mich mit jedem Tag total viel verändere. Ich weiß nicht so richtig, wie ich dir das in Worten beschreiben kann. Vor allem, weil es mir manchmal unheimlich ist, aber manchmal finde ich es auch toll.
Manchmal bin ich neuerdings in der Schule plötzlich so richtig offen und erzähle dann ganz viel von mir.
Mein Klassenlehrer hat letzte Woche in der Pause zu mir gesagt: »Mensch, Hannelore, du taust ja richtig auf. Geht es dir besser?« Wieso besser? Ich wusste gar nicht, dass es mir so schlecht ging. Na ja, da war dieses Gespräch mit der Vertrauenslehrerin. Wer weiß, vielleicht hat sie ja meinem Klassenlehrer was weitererzählt, obwohl ich das ehrlich gesagt nicht in Ordnung finde.
Mit dem vielen Reden, das ist mir oft schon richtig peinlich. Weißt du, die Worte kommen einfach so aus mir herausgepurzelt, ohne dass ich richtig darüber nachgedacht habe. Ich höre mich dann reden und bin selber über meine Gedanken erstaunt. Manchmal sind die sehr philosophisch, echt so richtig tiefgründig. Wusste gar nicht, dass ich so denken kann.
Und manchmal, da mache ich richtig gute Witze, so dass in der Klasse alle lachen, und echt scharfsinnige und witzige Kommentare, vor allem, wenn die Jungs blöde Sprüche über Mädchen machen.
Aber ich selbst sozusagen bin eigentlich gar nicht besonders schlagfertig oder witzig oder so etwas. Und ironisch, wie ich jetzt manchmal auch bin, bin ich schon gar nicht – von meiner Natur her würde ich mich eher als ruhigen, ernsten und traurigen Menschen beschreiben. Schon klug – also dumm kann man mich wirklich nicht nennen –, aber eigentlich total verschlossen, in mich selbst eingegraben. Richtig erzählen tue ich nur dir hier im Tagebuch, nur dir vertraue ich richtig. Und sage dir auch Sachen, die mir sehr, sehr schwer fallen und wegen denen ich mich auch schäme.
Ich finde, das muss sich wirklich ändern, diese Verschwiegenheit ist ja nicht zum Aushalten. Und das Leben ist doch viel zu kurz, um sich in seine eigene kleine Welt zurückzuziehen. Ich habe bloß so lange nichts gesagt, weil ich ganz genau weiß, dass Papa nicht will, dass wir was von zu Hause erzählen. Und wieso will er das nicht? Na, ist doch logisch. Aus Angst, was andere Menschen, zum Beispiel Frau Liesban oder unser Klassenlehrer Herr Kuck, wohl über die saubere Familie Merkum herausfinden könnten.
Ich finde, wir dürfen nicht schweigen! Wir müssen weg von zu Hause. Wieso freundet sich die blöde Miriam nicht endlich mit der Neuen an. Stephanie oder wie sie noch mal heißt. Ich trau mich das irgendwie nicht so richtig, weil sie doch ein Mädchen ist und so. Ich komme einfach besser mit Jungs klar. Zum Beispiel den Stephan, den finde ich echt superklasse. Endlich mal nicht so ein Hohlkopf, der nur an Mädchenärgern, Fußball und Rumprahlen denkt. Und Gitarre spielt der Typ – echt zum Verlieben! Aber das lass ich wohl lieber mal bleiben. Jedenfalls ist es spitzenmäßig, dass wir jetzt mit ihm zusammen in der Schülerzeitungsredaktion arbeiten. Das war die beste Idee des Jahrhunderts – ehrlich.
Und diese Jugendgruppe, die für ein unabhängiges Jugendzentrum kämpft,