Augenzeugenbericht des Häftling Nr. 738 im KZ Buchenwald 1937–1945. Alfred Michael Andreas Bunzol

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Augenzeugenbericht des Häftling Nr. 738 im KZ Buchenwald 1937–1945 - Alfred Michael Andreas Bunzol

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und nun kommen wir zu mir. Warum schreibe ich diese Geschichte? Hätte mir jemand vor einem oder zwei Jahren gesagt, daß ich damit anfangen werde eine solche zu schreiben, ich hätte Ihn ausgelacht. Hätte gesagt, daß ich es gar nicht kann, geschweige will, es für unmöglich hielt. Ich bin ja von Haus aus Diplom-Informatiker, also fachfremd. Und das schon mein Arbeitsleben lang, bis zum heutigen Tag und mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zu meiner Rente. Mein Spezialgebiet sind eigentlich Bits und Bytes. Aber irgendetwas treibt mich dazu, wie eine, durch Berührung, durch Gesten, durch Zufall entstehende Liebe, die man nie mehr verlieren will. Es ist ein Verlangen, eine Sucht in mir entstanden, die man schwer erklären kann. Vielleicht wird sie auch von außen gesteuert und mir der Willen und die Fähigkeit gegeben, es zu tun! In meinem Gehirn werden nach Mutters Tod (sie starb am 3. 1. 2006, 19.35 Uhr im Katholischen Krankenhaus Erfurt im Alter von 86 Jahren) immer wieder Gedanken produziert, denen ich nachgehen und sie aufschreiben muß. Sie sind ganz einfach da, ob ich will oder nicht! Ich muss sie mir von der Seele schreiben. Auch mache ich nun etwas, was ich noch nie in meinem Leben getan habe: Ich lasse euch gerne, so fern ihr es lesen wollt, daran teilhaben. Die Erteilung zum „teilhaben“ habe ich mir aber nicht so einfach gemacht, schließlich ermöglichen sie auch persönliche, intime und voyeuristische Blicke in unserer Familiengeschichte.

      Anfangen werde ich mit dem Leben meines Vaters im 1. Teil der Geschichte. Erzählen werde ich Euch sein gequältes, gehetztes Leben, umrahmt von einer Überdosis Geschichte, einem Überschuss an Emotionen, die das menschliche Fassungsvermögen oft übersteigen. Von seinem Zuviel an extremen Ereignissen und tragischen Entwicklungen, Ängsten und lähmender Nüchternheit. Von seinem Übermaß an Erinnerungen, an enttäuschten Hoffnungen. Von seinem Schicksal, das in unserer Familie nicht seinesgleichen hat, das es ihn unmöglich zu machen schien, jemals ein gewöhnliches, normales Leben zu führen. Als Mensch, so wie du oder ich. Ich schreibe es aber auch gegen das Vergessen. Es ist ein Recht von mir, das ich als sein Sohn besitze und habe. Man möge beim lesen bedenken, daß ich kein Schriftsteller bin. Ich habe es so geschrieben wie ich es kann, aber Wahrheitsgetreu, versuche die Realität widerzuspiegeln. Die Geschichte Deutschlands, verpackt in unserer Familie, immer sachlich und ohne Scheuklappen zu sehen. Ansonsten hätte ich das Gefühl, das geschriebene hätte wenig Wert. Alles ist durch Recherchen, Dokumente und Aufzeichnungen untermauert. Bis auf den „Selbstmord“ von Vater, er ist von mir fiktiv gestellt, ich denke aber, so war sein Ende, alle Indizien deuten darauf hin. Der Leser möge sich aber darüber sein eigenes Urteil bilden. Aus juristischen Gründen habe ich lediglich die Namen der Zeugen geändert oder auch fiktiv handelnde Personen eingefügt. So zum Beispiel Major Kowulev vom NKWD, der in Rangsdorf wohnte. Das Schreiben hätte ich mir übrigens nicht so schwer vorgestellt. Vor allem die Gedanken, die man im Kopf hat, so auf Papier zu bringen, das sie dort für jedermann verständlich sagen was man will und denkt. Der gewählte Inhalt und die gewählte Form, ein Zusammenspiel von Dokumentation und Roman, realistisch bis zur Schmerzgrenze, ergaben sich einfach von Anfang an. Ich will nicht sagen wie von selbst, denn schließlich bin ich ja der Schreiberling und somit auch verantwortlich für Inhalt und Form. Doch genauso gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde die es einfach gibt, die aber schwer oder gar nicht zu erklären sind. Funktioniert nicht von Anfang an bei der Entstehung des Menschen auch alles wie von selbst. Wer ist hier eigentlich verantwortlich dafür? Für die Zeugung Mann und Frau und dann? Vielleicht ist in dieser Chronik nicht alles perfekt formuliert, ich bin ja auch kein perfekter Mensch. Aber wer ist dies schon? Denn schließlich gilt für uns alle: „nobody is perfect!“. Auch war es zu keinem Zeitpunkt meine Absicht aus der Geschichte unserer Familie einen Krimi oder ähnliches werden zulassen, womöglich dafür die geschichtlichen Fakten zu verlassen oder umzubasteln. Sie soll einfach nur unsere Familiengeschichte dokumentieren und zeigen. Ich denke aber, sie liest sich genau so spannend.

      Ich sehe schon … nun aber genug gefaselt. Lest einfach den nachfolgenden Text, so wie ein neugieriges Kind und stellt euch Fragen, die ihr durch Nachforschungen im inneren und äußeren beantworten müsst. Auch lasst Vorurteile und scheinbare Argumente wie, die Menschheit ist halt so, das kann man doch nicht (so lange) geheim halten, das ist Zufall, das würden die doch nie machen, beiseite, denn sie dienen nur dazu, die Suche nach den wahren Zusammenhängen zu stören und zu stoppen. Für den Fall, dass ihr neugierig geworden seid, sollte man auf jeden Fall weiterlesen, zumindest es für sich im Auge behalten. Ich möchte euch jedoch, je nach Einstellung vorwarnen oder aufmuntern, man lernt fortan den Menschen in allen Formen und Auswüchsen kennen, als Bestie aber auch als Engel.

       Alfred Michael Andreas Bunzol

      Mutters Tod, der einen in Trauer zurückließ, hat am Anfang eine gewisse Ratlosigkeit in mir ausgelöst. Ratlosigkeit gegenüber den bisherigen Erzählungen aus ihrem Leben. Über die Geschichte der Familie, des Vaters. Nach Sichtung der von Ihr hinterlassenen Dokumente zeigten sich mir ganz andere Bilder, als die, die ich mir bis dahin vorgestellt und ausgemalt hatte. Es blieben nur wenige übrig. Vielleicht wollte oder konnte sie zu Lebzeiten nicht die wirkliche Wahrheit erzählen. Meiner anfänglichen Ratlosigkeit entgegenzuwirken begab ich mich auf eine Wanderschaft in die Geschichte. So wie „Hans im Glück“. Nicht um in ihr eine goldene Gans zu finden, nein, es wurde eine Suche nach den Lebenslinien unserer Familie, verpackt in eineinhalb Jahrhunderten. Was ich darin fand waren ihre Spuren und Schicksale enthalten in Berichten, Dokumenten, Zahlen, Briefen und Bildern. Ich sprach mit Zeitzeugen. Zum Ende der Wanderschaft begann ich das gewonnene Material zu sammeln, zu sortieren, zu verdichtet und die Schicksale wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Es war einfach wunderbar, solch ein ausgefallenes Puzzlespiel zusammensetzen zu dürfen. Alles roch förmlich nach Geschichte. Letztendlich war ich mehr als erstaunt über das Ergebnis, das sich mir Stück für Stück offenbarte. In den Biografien spiegelt sich das soziale und politische Leben einer Zeit voll großer Ideale und blutiger Kriege. Zeigte mir aber auch die andere Seite der Medaille. Die Liebe! Verdammt schön war es mit anzusehen wie sie es versteht, trotz allem Leid, trotz allem Schmerz, auf ihr Recht zu pochen, um es sich ganz einfach zu nehmen. Sie bestäubt uns nach ihren Spielregeln, ohne zu hinterfragen nach einem wann, warum, weshalb, wieso. Kommt und geht zu uns, wie sie es will. Alle Puzzelbausteine lieferten mir letztendlich die Menge an Material die ich brauchte, um eine Familiengeschichte zu schreiben. Denn unsere Familiengeschichte muß vor dem Vergessen gerettet und bewahrt werden! All das zu vergessen wäre dumm, verantwortungslos und undankbar. Leider vergisst der Mensch relativ schnell, es liegt ja in seiner Natur! Man bedenke! Als ich 1952 geboren wurde, also vor nicht einmal einem Menschenleben gab es noch keine Fernseher, Computer oder Handys. Ein Menschenleben weiter und es gab noch keine Elektrizitätsversorgung oder Flugzeuge. Zwei Menschenleben zuvor keine Dampfmaschinen, geschweige Autos. Drei Menschenleben weiter und wir sind schon im Mittelalter gelandet. Wir wissen, dass es so ist, und doch ist es immer wieder faszinierend, wie gründlich der Mensch vergisst. Wir leben in beschleunigten Zeiten, klar. Doch irgendwie bekommen wir das gar nicht richtig mit. Vor allem, weil wir uns einfach treiben lassen, ohne die uns umgebenden Strömungen zu hinterfragen. Vielleicht glauben wir ja zu wissen wohin für uns die Reise geht. Wenn wir uns da mal nicht irren.

      Wie schon gesagt, ein Grund zum schreiben der Familiengeschichte waren die gefundenen Unterlagen, Aufzeichnungen und Dokumente die ich im Nachlass von Mutter vorfand. Mutter redete auch immer davon, dass sie ein Buch schrieb. Ich fand aber nur ein ca. 20 Seiten umfassendes Skript. Es war für mich ein bisschen Ungewöhnlich, da sie ja schon seit ungefähr 15 Jahren davon sprach und daran schrieb? Egal, sie hat es als Rentnerin versucht, und interessant ist das Skript allemal. (Ich habe es natürlich mit in die Chronik eingebaut. Es ermöglicht dem Leser ein Einblick in Ihr Leben, welches sie zwischen ihrem 70. und 86. Lebensjahr so formulierte.) In all den gefundenen steckte der Ideenspeicher, das transportable Gedächtnis, die Keimzelle meiner Familie, des verstorbenen Vater mit seiner beeindruckenden Biografie. Gestehen muss ich euch aber, dass seine Vergangenheit, seine Geschichte, mich bis zu diesen Zeitpunkt nicht sonderlich interessierte. Irgendwie war er in unserer Familie immer ein gewisses Tabuthema, über das Mutter ungern sprach. Ich wuchs ohne Vater auf, es war eben so. Mein Vater war für mich seit ich denken kann Tod! Über ihn könnte ich niemals sagen. Vater, du hast mir so viel für mein Leben gegeben. Alles

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