Schneeflöckchen, Mordsglöckchen. Susanne Rüster

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Schneeflöckchen, Mordsglöckchen - Susanne Rüster

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schüttelt den Kopf. »Morgen, Frau Lautermüller, morgen.«

      »Also gut, aber früh. Da ist man noch frisch. Da geht einem alles leichter von der Hand.« Frau Lautermüller tätschelt Ritas mahagonirotes Haar, das am Ansatz den gleichen Grauton wie ihres hat. Drei Monate hat Rita nicht nachgefärbt. Oder sind es vier?

      Unter halb geschlossen Lidern, durch die Scherben hindurch schaut Rita zum Fenster. Aus Auspuffhöhe fällt ein kobaltblaues Winterlicht zu ihr herunter.

      Sie hört, wie Frau Lautermüller ihre Wohnungstür, die sie vor ein paar Minuten – dreizehn oder fünfzehn – von innen geschlossen hat, wieder öffnet und von außen schließt. Leise.

      Bald darauf hört Rita ein zartes, ein beinahe liebevolles Hämmern. Es ist das Einhämmern von Reißzwecken, an denen Weihnachtskränze an Türen aufgehängt werden.

      Es ist schon fast dunkel, als Rita bei Frau Lautermüller klingelt. Das einzige Mal seit ihrem Einzug vor fast neun Jahren.

      Kauend öffnet Frau Lautermüller. Lächelnd schaut Rita auf den kauenden Mund mit den tiefen Mundwinkelfurchen und überreicht Frau Lautermüller eine Buttercremetorte mit Blaubeerfüllung.

      »Aber das wäre doch nicht nötig gewesen!« Frau Lautermüller verschlingt die Torte mit ihrem Blick, in dem dieses ungebrochene Flutlicht leuchtet.

      »Doch, absolut nötig. Ohne Sie hätte ich aufgegeben. Das ist mein Dankeschön.«

      Frau Lautermüller wischt sich eine Träne aus dem speckigen Augenwinkel.

      »Auch für den schönen Weihnachtskranz.« Rita wendet sich zum Gehen, dann dreht sie sich noch einmal um. »Morgen früh?« Sie zwinkert Frau Lautermüller zu.

      »Ich bringe den General Bergfrühling mit! Sie werden sehen, wir drei schaffen das.« Frau Lautermüller zwinkert zurück.

      Der General. Rita hätte schwören können, dass es Meister Propper ist.

      Wir schaffen das. Das hatte die Freundin damals auch gesagt, und dann zerbrach die Freundschaft. Genau gesagt, der Schädel der Freundin, als ein Schlag ihn traf.

      Zurück in ihrer Wohnung wäscht Rita die Backform ab und die Schüsseln mit den fetten Buttercremeresten. Den Rest Schmutzgeschirr rührt sie nicht an. Nur den Steinmörser nimmt sie sich noch vor. Vorsichtig spült sie ihn aus, sorgfältig, lässt viele Liter Wasser darüber laufen, bis keine Spur mehr übrig ist vom fein gemahlenen Staub von kobaltblauem Bleikristallglas.

      Reinhard Georg Starzner

      Leckermäulchen

      Eine Krähe kreist über dem Platz, krächzt rau in den bleigrauen Himmel, äugt nach abfallenden Leckerbissen. Zu früh noch: der Markt öffnet eben erst. Es ist Mittag, und die winterlichen Wolken türmen sich schwer über dem Schloss; in ein paar Stunden schon wird es wieder dunkel sein.

      Kapuste wickelt den heiligen Josef aus: echtes Schnitzwerk aus dem Erzgebirge, feines Kunstgewerbe, nicht das billige Zeug aus Fernost. Und während er eine weitere Figur, das Jesuskind dieses Mal, aus der Ummantelung aus altem Zeitungspapier befreit, entfaltet sich Wort für Wort die grausige Nachricht vom Dezember vergangenen Jahres:

      KLEINE LEONIE: GESCHÄNDET UND ERWÜRGT!

      Nebenan schließt Stechow seine Süßigkeitenbude auf. Kapuste wedelt mit der Zeitung: »Morjn … haben die das Schwein damals eigentlich gefasst?«

      »Nix mehr von gehört«, knurrt Stechow und fängt an, die Gläser mit den Bonbons auf dem Verkaufstresen aufzureihen.

      »Eigentlich unfassbar … mitten im Park, am Nachmittag. Man denkt, da müssten die Leute doch was mitkriegen.«

      Stechow poliert ein Glas mit roten Himbeerdrops. Er blickt mit zusammengekniffenen Augen hinüber zum grau verhangenen Schlossgarten.

      »Denkst du? Auf jeden Fall können wir ein bisschen aufpassen. Wär’ schlimm, wenn noch mal was passiert …«

      »Ich bin die Königin, und ich wohne im Schloss, und …«

      »Tust du nicht!«

      »Wohl!«

      »Nicht!«

      »Wirst ja sehen …«

      »Luise, Sophie … warum streitet ihr schon wieder?«

      Luise holt tief Luft. »Sophie sagt, sie ist die Königin, und dass sie im Schloss wohnt …«

      Alma lächelt nachsichtig. »Sophie, du bist also die Königin? Okay. – Luise? Erinnerst du dich, wie du letzte Woche Räuberhauptfrau warst? Siehst du, deshalb darf Sophie heute auch Königin sein …«

      Alma arbeitet gerne bei den Leckermäulern. Die Kinder kommen aus gut situierten Familien. Luise, Sophie, Ruben und Co.: allesamt pflegeleichter als Melanie, Vanessa, Mohammed und die anderen in der Moabiter Kita, wo Alma ihre Anstellung sehr bald gekündigt hatte.

      Heute allerdings sind die Leckermäuler völlig überdreht – und Alma hat Kopfschmerzen. Wie so oft fühlt sie alle Verantwortung auf sich lasten. Karin hat ihre Tage, die ist gerade zu gar nichts zu gebrauchen, und Jens, der Zivi – gut, er bemüht sich, aber er ist oft unaufmerksam. Letzten Freitag zum Beispiel, auf dem Weg zum Spielplatz, da hat er übersehen, dass Linus und Ruben nicht zur Gruppe aufgeschlossen hatten …

      Johanna zupft sie am Ärmel. »Alma, treffen wir den Weihnachtsmann?«

      »Mal sehen, ich denke schon … Dreierreihe und Fertigmachen zum Abmarsch! Bruno, du hast ja noch immer nicht deine Jacke an? Karin, würdest du mal …«

      »Der Weihnachtsmann kommt zu mir in mein Schloss!« kräht Sophie.

      Luise tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn, und Jens kann gerade noch verhindern, dass Sophie ihren rosa Lillifee-Rucksack nach Luise schleudert.

      Alma zählt die Gruppe durch, tastet nach den Aspirintabletten in ihrer Manteltasche.

      Kapuste und Stechow beobachten, wie sich der Schlossvorplatz allmählich mit Besuchern füllt. Die ersten Rostbratwürste werden gewendet, ein Sack Maronen wird auf auf einem heißen Ofenblech ausgeschüttet, der Weihnachtsmann zupft prüfend an seinem weißen Polyesterbart.

      Kapuste streckt den Kopf zwischen seinen Krippenfiguren hervor. »Wie viele von denen sind dieses Jahr eigentlich unterwegs?«

      »Voriges Jahr waren es zwei, glaub ich. Wechselschicht«, sagt Stechow.

      Kapuste wirft dem rot kostümierten jungen Mann einem kritischen Blick zu. »Den da hab’ ich hier noch nie gesehen!«

      Stechow hört nicht mehr hin, er hat einen Kunden zu bedienen – eine kleine Hand mit einem Fünfzig-Cent-Stück streckt sich über den Tresen nach oben. »Einmal von den blauen …«

      Stechow beugt sich zu dem Knirps nach vorne. »Gibt’s nur tütenweise, junger Mann«, sagt er.

      »Für

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