Beutewelt V. Bürgerkrieg 2038. Alexander Merow
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Das Fahrzeug fuhr noch etwa eine Stunde über holprige Straßen und hielt dann irgendwann an. Der Gefangene war mittlerweile außer sich vor Entsetzen und noch immer zappelte er, als würde er an einem Angelhaken hängen. Schließlich schleiften ihn die drei Kollektivisten aus dem Fahrzeug, brachten ihn zu einem Gebäude mit vielen Fenstern und Frank landete in einem dunklen Kellerraum mit grauen Betonwänden.
Die KKG-Männer verschlossen eine dicke Stahltür hinter ihm. Er hörte, wie sie sich auf dem Gang unterhielten und lachten. Jetzt war er eingekerkert, irgendwo in Russland. Die bösartig glänzende Stahltür erinnerte ihn an die grauenhafte Zeit in der Holozelle. Heißer und heißer kochte die Panik in Franks Schädel. Er versuchte zu schreien, doch es blieb ihm versagt, Luft zu holen. Nicht einmal bewegen konnte sich der General, denn er war noch immer mit dicken Seilen verschnürt und sie hatten ihn hier einfach im Schmutz liegen lassen. Verzweifelt betrachtete er die graue Decke des Raumes und wälzte sich dann in eine Ecke. Einige Stunden lang geschah nichts. Irgendwann wurde die Stahltür jedoch wieder geöffnet.
Außenminister Wilden war für einige Tage nach Ivas gefahren und hatte sich heute schon den ganzen Tag in die geräumige Bibliothek seines Hauses zurückgezogen. Nachdenklich schritt er vor den mit alten Büchern vollgestellten Regalen auf und ab. Plötzlich hielt er für einige Sekunden inne und betrachtete ein verstaubtes Buch in der obersten Reihe. Der ältere Herr zog es zwischen den anderen Schriften heraus, wobei ihm der Geruch von vergilbtem Papier in die Nase stach.
Gedankenverloren blätterte er durch die Seiten und murmelte: „Dieses Büchlein habe ich meinem Frank einmal ausgeliehen …“
„Hast du etwas gesagt, Schatz?“, kam von seiner Frau Agatha aus dem Nebenraum.
Herr Wilden hob kurz seinen Blick an und schwenkte den Kopf verwirrt zur Seite.
„Nein, schon gut!“, antwortete er.
„Das Mittagessen ist gleich fertig, Thorsten!“, schallte es aus der Küche.
„Ja, ich komme sofort, Agatha!“
Der Außenminister vertiefte sich für einen Augenblick in das kleine Büchlein und las daraus leise einige Zeilen vor. Dann blätterte er ein paar Seiten weiter und betrachtete den vermoderten Einband.
„Friedrich Schiller! Ein Buch des berühmten Friedrich Schiller!“, wisperte er, nachdenklich zur Tür blickend.
Im Nebenraum hörte man das Klackern von Tellern und Tassen. Seine Ehefrau, die in den letzten Monaten ständig auf seine Anwesenheit hatte verzichten müssen, deckte den Mittagstisch.
„Und setzt ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein!“, zitierte Wilden aus dem Werk des großen Dichters in seiner Hand.
„Mit wem redest du denn da, Thorsten?“, rief Agatha ihrem Mann durch den Hausflur zu.
„Nichts! Mit niemandem!“, erwiderte der ältere Herr genervt.
„Diese klugen Verse habe ich meinem Frank gegeben und an ihm haben sich Schillers Weisheiten am Ende bewahrheitet. Jetzt ist er tot! Mein lieber Junge ist gefallen!“, flüsterte der Dorfchef traurig und legte das Buch zurück ins Regal.
Dann ging er zum Fenster, blickte schweigend hinaus auf den verregneten Garten hinter dem Haus und spürte, wie sich seine von Sorgenfalten umringten Augen mit Tränen füllten.
„Es ist auch meine Schuld. Ich hätte den Jungen nicht mit diesen ganzen Ideen von Revolution und Freiheitskampf verwirren dürfen. Ja, daran besteht kein Zweifel. An Franks Tod trage ich eine gehörige Mitschuld!“, sagte er kaum hörbar zu sich selbst. Wütend ballte Wilden seine knochige Faust und hätte sich diese am liebsten ins eigene Gesicht geschlagen.
„Die jungen Leute sterben für die Ideen und Vorstellungen der alten Männer, wie ich einer bin. Ist das der richtige Weg, Thorsten?“, fragte er sich voller Reue und Gram.
Ein mittelgroßer KKG-Offizier in bräunlich-grüner Uniform und zwei weitere Männer betraten den Raum. Sie befreiten Frank von seinen Fesseln und einer der Kollektivisten hielt ihm die Mündung seiner Pistole vor das Gesicht.
„Er ist gefährlich!“, erklärte der Offizier seinen Leuten.
Dann beugte er sich zu Kohlhaas hinunter und grinste. Er hatte einen schwarzen Schnauzbart, eine lange Nase und braune Glubschaugen. Frank starrte ihn erschrocken an.
„General Frank Kohlhaas! Ich begrüße Sie! So etwas nenne ich wirklich einen Glückstreffer! Derart prominenten Besuch hatten wir bisher selten!“, bemerkte er kalt.
„Was wollt ihr von mir, ihr Dreckschweine?“, schrie ihn Frank an, bemüht, seine Furcht nicht nach außen dringen zu lassen.
Ein anderer KKG-Mann drückte ihm die Pistole an die Schläfe und zwang ihn zu Boden.
„Willst du hier die Schnauze aufmachen oder was?“, knurrte er ihm ins Ohr.
Der Offizier winkte ab und lächelte bösartig. „In Ihrer Situation sollten Sie etwas höflicher sein, Herr Kohlhaas. Was wir wollen? Wir wollen uns nur ein wenig mit Ihnen unterhalten. Mehr nicht!“
Die KKG-Soldaten gingen wieder aus dem Raum hinaus und der Gefangene hörte den Offizier noch sagen: „Angenehme Nachtruhe, Herr General! Morgen werden wir ein wenig plaudern!“
Mit einem lauten Knall wurde die Stahltür zugezogen und das grausame Geräusch eines einrastenden Schlosses bohrte sich in Franks Gehör.
Der Tag verabschiedete sich und die Sonnenstrahlen, die nur in geringer Zahl ihren Weg durch das kleine Fenster am oberen Ende der Wand gefunden hatten, verschwanden langsam. Zurück blieb eine unheimliche Dunkelheit, welche dem Gefangenen die Kehle zudrückte.
Er erinnerte sich an die furchtbaren, vollkommen lichtlosen Nächte in Big Eye, dem Umerziehungsgefängnis, das ihn acht Monate lang gequält hatte. Doch Frank hielt sich zurück, wollte nicht schreien und keine Angst zeigen. Es galt, sich keine Blöße und dem Gegner keinen Grund für ein teuflisches Lächeln zu geben.
Vor Verzweiflung biss er sich in den Arm – der Schmerz lenkte ab. Die schmutzige Uniformjacke zog Frank über den Kopf. So wirkte er wie ein Kleinkind, das hoffte, unter seiner Bettdecke vor den Schrecken in seinem Kopf sicher zu sein. Glücklicherweise zwang ihn die extreme Erschöpfung nach einigen Stunden doch einzuschlafen. Diesmal träumte er von nichts.
Julia hatte bereits vor ein paar Tagen angefangen, ihre Sachen in Pappkartons einzuräumen und gedachte, demnächst wieder nach Ivas zu ziehen und ihre Zweitwohnung in Minsk aufzugeben. Frank war tot, daran gab es kaum einen Zweifel, und nach endlosen Stunden der Trauer und Depression hatte sie beschlossen, der weißrussischen Hauptstadt den Rücken zu kehren, um wieder in ihr beschauliches Heimatdorf zurückzukehren. Ihr Pädagogikstudium an der Universität von Minsk hatte sie zunächst einmal auf Eis gelegt, denn die Zukunft war ungewiss und der drohende Bürgerkrieg ließ die Frage aufkommen, wie lange die weißrussische Hauptstadt überhaupt noch ein sicherer Ort war. Vielleicht würde sie irgendwann wieder in der kleinen Dorfschule von Ivas zu unterrichten anfangen, wenn sie den Schock über Franks Tod halbwegs überwunden hatte.
Die junge Frau hatte die Tragödie erst gar nicht fassen können. Frank Kohlhaas, dem schwierigen, vom Schicksal gezeichneten Menschen, hatte sie letztendlich