Das Grimmingtor. Paula Grogger
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»Liebe Pfarrkinder …«, begann er leise und sich räuspernd, » … ein reitender Kürassier hat die Kundschaft auf dem Schloß Stainach vermeldet, daß eine lange, blutige Schlacht ist vor sich gegangen in Aspern, welches Dorf einige Wegstunden von Wien entfernt liegt und siebenmal verloren und achtmal erobert worden ist. Karl, unser erlauchter Generalissimus, hat sich im entscheidenden Augenblick selber fürangestellt und hat füglich mit andern Ungenannten den glorreichen Sieg verdienet und unser armes zertretenes Österreich befreit. Lasset uns darum dem Herrgott danken, so ihnen hülfreich und gnädig war, und lasset uns andächtig beten für alle lebenden, leidenden und im Tode abgeschiedenen Helden …«
»Amen«, sprachen die Öblinger dumpf.
Bei diesem starken Laut hob der Berghammer den Kopf, nahm den seidenen Vespermantel, der am Speisgitter hing, legte ihn bedächtig um die Schultern des Pfarrers und trug diesem alsdann einen Schemel herbei, damit er das Tabernakulum erreiche.
Der Schulmeister saß zusammengeknickt auf dem Orgelchor. Er dachte in dieser Stunde an Kaiser und Vaterland. Er dachte aber noch mehr an seinen Buben und seine Mägdlein, an den Gemüsegarten, den Holzzaun, das rosafarbene Ferkel und die graue Geiß; er wischte mit dem Rockärmel einen blitzenden Tropfen von der Tastatur und intonierte inbrünstig das Tedeum. Die Eltern, Großeltern, Knechte, Dirnen und Einleger fühlten einen Schauer durch den Leib rinnen. Sie preßten die Lippen zu. Und wieder nur die tiefe Glocke ging, und nur die Kinder sangen:
»Großer Gott, wir loben dich!
Herr, wir preisen deine Stärke;
Vor dir neigt die Erde sich …«
Wie alle Dinge durch den Lauf der Zeit wandelbar und vergänglich werden, so war auch die Glückseligkeit der Öblinger nur von kurzem Bestand. Der siegreiche Ausgang des Kampfes bei Aspern, der sie wie ein Wunder Gottes neu belebt und mit ruhiger Hoffnung erfüllt hatte, bedeutete für die obersten Feldherren keineswegs das Ende. Ja, Erzherzog Karl, nicht beeinflußt und verwirrt durch die augenblickliche Gunst des Schicksals und die Lobreden des ganzen Reichs, äußerte sich in einem französischen Briefe, so geheim an Albertus Kasimir von Sachsen gerichtet war, daß man letzter, vergeblicher Opfer müsse gewärtig sein.
Das einfache Volk jedoch, welches treuherzig gab, was es zu geben hatte, schier unbedingt gehorchte und den Berufenen die Ehre, den Kampf, den Tod mit Selbstverständlichkeit überließ und vertrauensselig den sicheren Erfolg voraussah … das einfache Volk war anfänglich wie vom Blitz getroffen, als im Hochsommer die Post ins Gebirge heraufkam: es wäre alles verloren.
»Was ist noch zu sagen …?« notierte Vater Stralz, eine leere Seite nach den Ausführungen betreffs des glücklichen Sieges übergehend …, »den Ennshofer und mich tut es bedauern. Wir hätten dem Generalissimus Karl einen Dank vergunnt, statt dessen nimbt er sein Abschied. Aber der Moar hatt dem Pfleger ausdrücklich seine Meinung gesaget, nämlich daß nur der Erzherzog Johann die Schuld traget an der gantzen Schinterey, indem daß er ist nach Wagram zu spat komen. Und mein Schwäher der Zedler hatt seine Faust wacker auf den Biertisch gewichst, daß die Krügel sind gehupfet. Item, der Veitkramer, so sich auch schon einen Rausch angetrunken, gab die alte Geschicht von Prohaska zum Besten. Jeder verschimpft ein andern. Aber heut, wo sie nüchtern sind, bemerken sie mit Genugthuhung, daß von denselbigen welche Österreich habent in Händen gehalten, nur Kaiser Franz und Fürst Metternich ist überblieben. Auf Gunst und Glück ist kein Verlaß nit. Es sollten Einen die Fehlschläg baß nicht Wundern, denn wohlgemerkt, es sind nur Menschen, denen wir uns anheimgestellt; so ihren Fahlern, nene Trutz, Ergeitz, Starrsinn und Kurtzsichtigkeit untherworfen, es sind oft warmblüthige Leuth, welche zu Folge ihres Mitgefühles oder Vätterlicher Lieb vor der Entscheidung und That schwach werdent, wankelmütig und unbrauchbar. Ob solches eine Schuld ist? Ob über den Zänkereyen der Welt vileicht die Ewige Ordnung der Dinge es unbegreiflich gebothen hatt? Mir wöllen nicht richten …«
Am Tage, als Vater Stralz diese Zeilen in sein Notizbuch schrieb, waren die drei Buben auf der Heimreise in die Sommervakanz. Der Herr Göd hatte sich mit seinem Landauer im Stifte eingefunden und bei einer Rücksprache mit Gotthardus und dem Präfekten Verschiedenes in Erfahrung gebracht. Erstens nämlich, daß Matthäus sich eines Nachts aus dem dritten Stockwerk entfernt, wie, das wüßt man nicht, und mit zwei kecken Jagern gegen Röthelstein gepürscht, daselbst kampiert habe und in grausiger Morgenfrühe auf einen Wolf losgegangen sei. Die Weidmänner, noch schlaftrunken und steif, hatten ihm assistiert und schon gemeint, es werde fehlschlagen. Allein durch Gottes Beihülf wär der Bursch an Leib und Leben bewahrt geblieben und trüge weiters keine Spuren als einen noch schwürigen Schurf am rechten Oberarm, so das Biest mit dem schäumenden blutigen Maul verursacht … Zweitens ging die Klag über den Markus, daß er ein verstockter Kerl, stinkfaul und indolent wäre, und obzwar er nie und niemandem einen positiven Schaden anrichte, im großen und ganzen jeder Verfeinerung sich begebe.
»Und der Lukas?«
»Ja …«, meinte Gotthardus, er habe sich erzählen lassen, vom Rektor sowie mehreren Scholaren, daß Lukas ein ausgezeichneter Rechenkünstler gewesen bis zur Stund, wo er plötzlich keinen Stift und Griffel mehr angerührt, bleich und verbissen herumgeschlichen und sodann nach Tag und Wochen im Refektorium hingesunken wär.
In aller Heiligen Nam! Was das bedeute? frug der Göd.
Item, so berichtete Gotthardus, es habe nunmehr schleunigst der Medikus hermüssen, und dieser sei durch ein peinliches Verhör mit viel Kreuz- und Querfragen draufgekommen, daß Lukas beim Läuten sich am Glockenstrang aufgezogen und im Schwunge an die Mauer geschleudert worden war. Solch heftiger Anprall hatte ihm das Schlüsselbein entzweigesprengt und das Übel wäre alsbald in Brand ausgeartet, wenn der Bub es nicht durch seine Ohnmacht verraten hätte. Jetzt sei er völlig in Genesung, trage aber vorsichtshalber den Arm noch in der Schlinge. Ganz merkwürdig …, schloß der Abt, ganz auffallend gestalte sich seit jenem Unfalle das häusliche Pensum der Brüder, schier … als wäre mit dem Schlüsselbein deren ergötzliche Eigenart aus dem Leim gegangen. Hiebei blickte er sie nachdenklich, ja mit leiser Ironie an, zeigend, daß er ein erfahrener Mann und wohl auch ein Menschenkenner war.
Der Ennshofer, wenig vertraut mit solcherlei Gedankenschlüssen, nickte nur, um sein Bedauern kundzugeben, dankte den beiden Ordensherren für ihre Obsorg, nahm die Rechnung in Empfang und bezahlte die Hälfte im Hinblick auf seine Gevatterspflicht, wobei er sich jedoch der Bemerkung nicht enthalten konnte, daß an den Stralzenkindern leider Chrysam und Tauf verloren wäre. Sodann befahl er seinen durch die Kirche Schutzbefohlenen, welche der ganzen Verhandlung stumm beigewohnt und ihre Blicke über die Stuckfiguren der Decke hatten wandern lassen, vom Hochwürdigen Prälaten sowie dem Herrn Präfekten sich zu beurlauben und deren Hand zu bussen.
Die Buben gehorchten. Matthäus, welcher mit seinen siebzehn Jahren die Männer an Größe schon überragte, bog ungeschickt und sehr flüchtig den Rücken, und seine Lippen küßten in die Luft. Gleichwohl war der Druck seiner derben Finger von verschämter Innigkeit, denn er fühlte, es geschah zum letztenmal.
Auf