Das Grimmingtor. Paula Grogger
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Mit seiner gewohnten Ruhe, aber der ihm eigenen Hartnäckigkeit besprach und beleuchtete der Stralz das Vorkommnis von allen Seiten; welches, so muß beigefügt werden, auch später nicht völlig enträtselt wurde. Erst durch die Dämmerung gemahnt, trat er den Rückweg an. Dieser war nicht so schön wie der Ausgang, denn das Gehörte beschäftigte seinen Geist und beeinflußte mißfarbig das Bild des blauen Abends … Später stieß er auf Schulbuben, die sich immer noch in den Wäldern des Mitterbergs herumtrieben, aber bereits zu fürchten begannen und ihm schüchtern bekannten, daß sie seit dem Elfuhrläuten auf der Franzosenpaß lägen. Dies erheiterte ihn. Er pfiff sie alle zusammen, und sie folgten ihm gern, schon wegen der guten Lebzelten, die er bei Gelegenheit austeilte.
Als Pater Gabriel durch die Schießscharte des Schloßgemäuers schaute, wunderte er sich nicht wenig über den seltsamen Zug, reichte sodann geistesgegenwärtig eine Laterne heraus, sie höflich zum Gebrauche anbietend. Und so. kam der Stralz mit einem Licht und etlichen Lausbuben bis auf die Dorfbrücke. Dortselbst ging gerade sein Bräuknecht, der Blasel, und ohne daß dem Herrn Vater die schreckliche Angst der Öblinger wißlich gewesen wär, machte er sich den Spaß und sagte:
»Hiaza kömmen s’!«
Der Bräuknecht schmunzelte und kraulte sich das Haar.
»Ah ja …«, brodelte er gemütlich. »Ah ja. Die Franzosen!«
Die Kinder vollführten ein großes Spektakel, allein der Stralz trieb sie auseinander, und beide Männer warteten, bis das letzte ins Dunkel geschlüpft war. Dann ging der eine wie der andere seines Weges …
Nach diesem Tage, welcher glimpflich mit dem Schrecken abgelaufen war, trat als dessen Folgeerscheinung eine gewisse Gleichgültigkeit bei den Öblingern hervor. Sie gewöhnten sich allmählich an die Gefahr, um so mehr, als sich tatsächlich kein Feind im Dorfe blicken ließ. Nur ihre Schätze und Lebensmittel bewahrten sie, soweit es anging, im Versteck, und ihre breden Kinder hielten sie mit der häufigen Drohung im Zaum, daß auf die Nacht schon ein wilder Franzos kommen würd und sie allesamt mitnähm.
Der Ennshofer erschien selten und wählte aus reiflichen Gründen die abseits gelegene Fahrstraße über Alt-Irdning und Nieder-Öblarn. Auch die Post blieb aus, und von den Studenten hörte man gar nichts. Die Frau Mutter dachte ihrer besorgt, während sie im Garten die abgestandenen Krautpflanzen auszog, Nagel, Feigel und Rosenstöcklein vom Geschirr in die Rabatten setzte und vom Mistbeet die Fenster nahm. Denn seit der Frühe streifte der Wind warm und milde, so daß ein wohltätiger Regen zu gewärtigen war. Noch aber trübte kein Wölkchen die Sonne. Mit strahlendem Duft öffneten sich die blauen und violetten Fliedertrauben. Der Jasmin knospete noch.
An der Berghamm-Lacke war’s dunkelgelb von Dotterblumen, und die Enns abwärts leuchtete es ganz weiß von Narzissen. Wo das hohe Schilf in den Sumpfwiesen überhandnahm, wuchsen die Schwertlilien auf schlankem Stengel, sich hin und wider neigend. Kleine Mädchen, welche den Fronleichnamstag schon ungeduldig herbeisehnten, gingen oftmals hinüber und schauten nach, ob die Blumen dieweil nicht gar würden oder verwelkten. Und da prellte es den Boden unter ihren Füßen und schreckte sie. Dann wieder kam ein dumpfes Rollen von irgendwo, so undeutlich, daß sie kaum wußten, ob sie überhaupt etwas vernommen hatten.
Auch die Frau Constantia im Garten horchte auf. Der Bader Gasteiger, welcher beim Grillen zur Krankenvisite gewesen, behauptete, auf der Höhe erkenne man solchen Schall als Kanonendonner, und nach einer Weile hörte jedermann, daß im Murboden bereits der Krieg war. Und längst bevor der optische Telegraph das zehn Stunden währende Gefecht dem Kaiserlich-Königlichen Hauptquartier angezeigt hatte und die Kuriere in gehetztem, todesmutigem Ritt das Land durchquerend, erraten ließen, daß der Feind wahrhaftig mit Blut und Feuer eingebrochen sei, wußten es die Leut, fühlten es mit eigenem geschärftem Sinn und wichen von ihrem Posten nicht. Der Tauernpaß bei Radstadt, welchen Jellacic hatte freigelegt, sintemalen er durch Erzherzog Johann nach Grätz abberufen worden, der Paß also war nunmehr von der Bürgermiliz und den Bauern wehrhaft besetzt. In der Sölk, bis Sankt Nikolai hinein spürte man wachsam jedem Lüftchen nach, so von Süden wehte. Desgleichen gab es auch zu Donnersbach-Wald und im Bayreuth ein Häuflein Jager und Wilddiebe, welche, von der Not und Heimatliebe gedrängt, gemeinsam ihre Stutzen auf die Achsel nahmen.
Die Mutter Stralzin horchte in den nächsten Tagen beständig, ob kein unheimlicher Laut übers Tal zitterte, sinnierte und studierte hin und her … bis ihr solches zu dumm wurde und sie die Furcht gleich wie einen schweren Traumzustand abschüttelte; es gab ihr auf ja und nein einen Ruck. Sie kämmte mit nassem Kamm ihr goldblondes Haar zurück, band eine frische Schürze um und kaufte bei der Veitkramerin drei Wachskerzen, mit dickem blauem Vergißmeinnicht gar lieblich geziert; steckte sie in die Leuchter am Frauenaltar und, alsdann die Dochte entzündend, betete sie inbrünstig drei Vaterunser für die himmlische Gnade, welche ihr Gottvater, Gottsohn und Heiliger Geist erzeigt, als er das Benediktinergymnasium noch rechtzeitig von Leoben nach Admont versetzt hatte.
Der Stralz aber fand nichts Wunderbares im Hinblick auf seine Söhne. Er versuchte vielmehr, die Unklarheit der Zustände aufzudecken, und weil ihm der Marsch bekannt war, so General Jellacic sich durch das Ennstal oft zur Nachtzeit und auf Schleichwegen erzwungen hatte, mutmaßte er ganz richtig, daß dieser gegen die Palten und Liesing abgewichen und an dem Kampfe beteiligt gewesen sei. Er wußte freilich nicht, wie sehr; indem dessen Fähnlein nämlich, bei Sankt Michael gegen die Heere des italienischen Vizekönigs stoßend, fast aufgerieben worden war und so den Weg nach Wien hatte freigeben müssen …
Wie die Zeit also weit draußen dahinraste und einer den andern fragend ansah, hielt es der Veitkramer nicht länger mehr im Dorfe aus, packte in sein Buckeltuch just nicht das Wertvollste und ging hausieren, trotzdem sein Eheweib bei allen heiligen Nothelfern prophezeite, daß man ihn noch als Spion verdächtigen und strangulieren werde.
Es geschah ihm aber gar nichts. Nein, binnen zweier Tage kam er wohlbehalten wieder, noch dazu in der Kalesche des Herrn Matthäus Ennshofer, Moar zu Stainach. Das blaue Tuch, welches beim Ausgang vollgepfropft und beschwerlich gewesen war, lag gefältelt neben ihm auf dem Sitz. Er sprach nur hie und da ein feierliches Wort aus. Und der Moar zu seiner Rechten sagte überhaupt nichts. Jeder Öblinger, welcher die beiden anfahren sah, wußte, daß etwas geschehen sei, und machte sich ergeben und bereit für das Gute oder Böse, was zu vernehmen war.
Vor dem Torbäcken stieg der Veitkramer ab, inmaßen Matthäus Ennshofer nicht wie gewöhnlich zum Stralzen ins innere Dörfel fuhr, sondern das Roß an eine Planke band, im Verabschieden des Fahrgastes Hand drückte und beim Dank sagte, es wäre schon gut. Sodann schritt der Moar zum Pfarrhof, schellte an, daß es mächtig durch das Haus klang. Und als wieder ein Weilchen verflossen war, trat er hinein.
Der gute Michael Praßthofer, vulgo Veitkramer, den seine geschmierte Zunge selten im Stich ließ, wußte sich in dieser Stunde nicht zu helfen. War er zufolge seines Hausierhandels doch mehr mit Welt und Menschen, Leid und Kriegsjammer vertraut als mancher andere und darum auch zutiefst erschüttert. Er mühte sich nun vergeblich nach einer würdigen und dem Ereignis angemessenen Rede. Und als die Öblinger, kaum daß er seinen Laden betreten, von Neugier gelockt dortselbst sich einfanden und, einen Bettel kaufend, geduldig stehenblieben, bis ihm endlich der Mund aufginge, da verdroß es sein Eheweib, und sie sagte spitz:
»Gelt, Michael, hast nix Neues erfragt?«
Da blickte er sie insgesamt sehr ernsthaft an. Die Ergriffenheit würgte in seinem Hals. Die Hände zitterten, indem er sie auf die Budel legte. Alsdann sprach er mit einem Schnaufer:
»Guat ist’s gegangen, nix ist geschehen.«
Sie sollten das Nähere bald erfahren. Denn auf einmal