Das Grimmingtor. Paula Grogger

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Das Grimmingtor - Paula Grogger

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an der alten Pestsäule vorbeibiegend, den beschwerlichen Weg zur Wallfahrtskirche hinanstiegen, erzählte ihnen der Göd eine seltsame kleine Legende:

      Vor vierhundert Jahren und weniges darüber ist die Enns ungewöhnlich weit über die Ufer getreten. Und die Regenbäche, von den Bergen schießend, und das Grundwasser aus den Mooren, Lehm und Schotter haben sich in der Talenge verklaust. Immer mehr Bäume mit Wipfel und Wurz, Hütten, Zäune, Bloche und Brücken kamen angeschwommen und spießten sich am Ausgange des Stausees, so daß schließlich mancher Turm und Hügel untertauchte. Auf dem Kulmberg, welchen der Göd itzt zu viert bestieg, hauste damals ein mageres Bäuerl und frug sich, jeden Morgen ausspähend, ob ihm der Herr beföhle, eine Arche zu bauen, oder ob er sölle ersaufen. Einmal nun überspülte die Sintflut schon das Kämmchen, welches ihn nach Nord mit den höhern Gebirgen verband. Und er mußte also glauben, daß aller Zuweg gegen die Almen würd abgeschnitten. Seine Augen bedeckend, kniete er lange vor dem Haustor, bis sein Weib ihn ermahnte und sein Kind ihn kosete. Er schaute auf und gewahrte nun, wie ein großes Trumm Holz in kurzen Zeitläuften immer wieder mit den Wellen anschlug. Der Bauer ging hinein und holte einen Feuerhaken, maßen er das Stück aufzufischen gedacht. Denn nahezu auf einer Insula lebend, wußt er nit, wie bald ihm das Brennholz ermangeln werde, vorausgesetzt, daß er solches überhaupt noch brauchte.

      Mit dem Instrumente tüchtig auslangend, zog er das Trumm heran, nachdem sein Eheweib und Kind ihm einen festen Strick um den Gurt gebunden und ihn beim Fensterkreuz angeseilt hatten, damit er in dem aufgeweichten Erdreich nit gleite und talab rutsche. Ein paar Hiebe trafen recht, aber das wilde Wasser entriß ihm die Beute. Letztlich aber faßte der Haken, und zu dritt zerrten sie das Bloch herauf. Die Bauersleute erkannten an der Form, trotzdem dieselbe von Schlamm und Unrat bedeckt war, daß sie etwas Besonderes vor sich hatten. Sie wuschen, wischten und putzten, bis sie zu ihrer Freude ein holdseliges Marienbildnis erblickten. Das Weib wollte es behalten.

      Der Mann aber, den Untergang seiner Keusche befürchtend, trug’s über den umspülten Höhenkamm, über Alm und Hochhalde zum Stift Admont hinab. Die Benediktiner, welche keine Stunde vor dem Durchbruch der Klause sicher waren, haben hinwiederum mancherlei Wertgegenstände über das Gebirge nach Liezen zurückbefördert. Ob die Statue darunter gewesen, vermag niemand zu sagen. Sicher ist, daß dieselbe am nächsten Morgen abermals auf den Kulmberg zugeschwummen kam und vom armen Bäuerl herausgefischt ward. Indem er sie nämlich von der Lethe reinigte, erkannte er neben dem frischen Hieb des Feuerhakens noch ältere im Mantel der Lieben Frau. Ungeachtet einer weit größeren Lebensgefahr trug er auch an diesem Tage das Bildnis zu den Admontern. Aber sieh da! Am dritten Morgen, als er mit Weib und Kind von jeglicher Zuflucht abgetrennt war und sie jammervoll wehklagten, schlug eine brausende Welle die Haustür ein und warf das hülzerne Kunstwerk auf den Boden. Von diesem Augenblick an verlief sich das Hochwasser langsam. Der Regen gab nach. Und wie durch ein Wunder zerbarst die Klause nicht, sondern trug sich von selber ab, so daß dem unteren Ennstal, insonderheit dem Stifte Admont, von Wassersgewalt nichts Schreckbares geschah. Der Abt Hartnid Gleußer erbaute aus Dankbarkeit für solch göttliche Fügung noch in ebendemselben Jahr auf dem Kulmberg eine Wallfahrtskirche. So geht die Legende …

      Indessen waren sie bis zur Kirche gelangt. Die Buben verhielten sich ehrfürchtig, strichen mit ihren Fingern die rauhen Fresken entlang, bestaunten das Steinmosaik, und als sie hinter dem Altar eine gotische Marienstatue entdeckten, frugen sie den Ennshofer, ob solche das angeschwemmte Bildnis wär.

      Das alte ursprüngliche Bildnis sei nicht mehr da, sagte der Göd. In den Türkenkriegen hab es der Sohn von jenem Bäuerl verschleppt und geborgen, man wisse nicht, wo, sagte der Göd, warf einen Taler in den Opferstock, kaufte alsdann in der Taverne für jedes Kind ein rundes Bräverl und einen Kreuzerwecken. Und es läutete schon Mittag, als sie wieder unten im Kalesch saßen und gen Liezen kutschierten.

      Die Luft ging träge und warm. Sie brachte den Geruch von Moorerde. Unzählige Birkenstämme leuchteten weiß und wiegten ihr zerfranstes, liebliches Krönlein. An der Berglehne wehte das Korn golden, und die sonnichten Wiesen standen schon saftig im zweiten Futter …

      Bei den Weißenbäcker Wänden machten sie einen kurzen Halt, weil dortselbst, nur dem scharfen Auge erkennbar, ein Gams kletterte. Da äußerten sich die Buben gesprächig über Wild, Wald und Weide, über die Ortschaften und Schanzbauten, welche sie unterwegs gesehen hatten, und der Ennshofer fand verwundert, daß sie lange nicht so dumm waren, wie sie ausschauten.

      Von Wörschach an, wo die Pferde schon den heimischen Stall witterten, ging es in noblichem Trab, und der Roßknecht hatte bei den vielen Büheln gerade genug zu tun mit dem Ein- und Ausdrehen der Schleife. Die drei hülzernen Koffer prellte es, und der feiste Ennshofer rutschte bei einer Kurve manchmal gröblich gegen den Matthäus; aber der Lackel hielt es schon aus.

      Zwischen drei und vier Uhr erreichten sie Stainach, wo sie nach ausgiebigem Mahle, einer erbaulichen Lehr und kurzem Abschied ihrem Schicksal überlassen wurden. Mit dem Ältesten voran … so schritten die Brüder zum Posthalter Vasold und frugen nach einer Gelegenheit.

      »Jawohl«, antwortete dieser schnaufend und aufgeregt, sie möchten nur warten, in einer schwachen halben Stund führen zwei Kutschen vor, sie sollten alsdann in die zweite einsteigen, maßen die erste für einen hocherlauchten Herrn bestimmt sei, welcher inkognito vom Markte Aussee nach Öblarn reise.

      Die Buben setzten ihre Koffer zur Erde, zahlten 36 Kreuzer für die Fahrt, soffen nachher tüchtig aus dem Brunn und langten, als es niemand sah, ein paar feste Pröpstlinge zwischen den Zaunstaketen herfür. Indieweil sie sich derart angenehm die Zeit vertrieben, kam richtig eine Postkutsche, kaisergelb bemalt, mit roten Felgen, aus der Einfahrt. Zwei Hengste mit prächtig geziertem Kummet und gezopftem Schweif waren vorgespannt. Kein Kotspritzer, kein Stäubchen versehrte die Fenstergläser. Der Türgriff blitzte ganz golden.

      »Da steigen wir ein«, schrie Matthäus. »Der fahrt nach Öbling.«

      »Ich trau mich nit«, sagte Lukas.

      »No, fahrst halt du im zweiten. Nachher wird dich der Schwager beim Moarbühel wohl hinausbugsieren, und du magst zu Fuß um den Mitterberg zaschen.« So sagte Markus und schupfte keck die drei Koffer auf das Dach.

      Der Knecht, welcher die ungeduldigen Pferde hielt, schimpfte mächtig. Wie aber dieses nicht half, grölte er, es würde schon der hohe Herr kömmen und sie hinausschmeißen. Und kaum war’s gesagt, erschien in der Torfahrt eine Mannsperson, welche einen scharlachroten, weitschößigen Frack und gelbe Rehlederhosen anhatte, welche einen schwarzen Zweispitz auf dem Kopfe und Stulpstiefel aus Lack an den Füßen trug. Besonders augenfällig waren die reichen Silberborten und die dukatenfarbenen Knöpf. Lukas schaute gar scheu und ehrfurchtsvoll, drückte sich ins dunkle Wageneck, und hätte er seine großen Brüder nicht gehabt, er wäre auf und davon geloffen. Er studierte bänglich, ob es der Kaiser Franz oder der Kaiser Napoleon wär und ob selbiger zuerst ihn oder den Markus beim Krawattel packen werde. Für den starken Matthäus hatte er in seiner lieben Unschuld weniger Angst.

      Der hocherlauchte Herr schaute aber zum Glück gar nicht in die Kutsche, sondern sprang mit einem Satz auf den Bock, und Lukas bemerkte, durchs Fensterchen spähend, welches die Wand hinter seinem Rücken durchbrach, daß er ein wunderbares Horn von seiner Brust nahm und es, fürsichtig probierend, an den Mund brachte.

      Kein Wort wagte das Kind zu sprechen, und die Brüder schwiegen weislich, damit sie niemand vor der Zeit ablade. In der Einfahrt, welche gegen die Sommerschwüle feucht und dunkel abstach, erschien itzt auch der Postmeister mit zwei Mannsbildern, die mochten sonach des Kaisers Roßknecht und Jager sein. Und in der Tat; es setzte sich der eine auf den luftigen Bock, der andere herentgegen mußte wohl oder übel in den heißen Kotter hinein. Er trat, vom Vasold geleitet, an das Türchen, fast gleichzeitig erblickten die beiden den fremden Ballast auf dem Dache, und den Hauswirt traf fast der Schlag. Trotzdessen er mit einem Jagdgewehr, Stiegelstecken und Buckelsack vollends beladen war,

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