Sonnseitig. Schattseitig.. Anna Aldrian

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Sonnseitig. Schattseitig. - Anna Aldrian

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den am Waldrand aufgereihten, in mattem Plastik weißlich schimmernden Heuballen. Ein Bock war auch dabei. Es war so hell, dass Sigi die drei Sprossen an jeder Stange deutlich erkennen konnte. Er war kein Jäger. Dennoch hätte er in diesem Moment gerne eine Büchse in der Hand gehabt, um die Tiere mit einem Schuss aufzuschrecken. So ein Bock konnte mit seinen Krickerln viel Schaden anrichten, wenn er einen Heuballen aufschlitzte, um an Futter zu kommen. Der Ballen begann dann zu gären und war unbrauchbar. Sigi seufzte, nahm statt eines Gewehrs Besen und Schaufel vom Haken, kehrte bibbernd vor Kälte die Tonscherben im Hof zusammen und trug die Passionsblume, deren starke Wurzeln die Erde wie Krallen zusammenhielten, zur Kellertür.

      Prüfend ging sein Blick wieder zum Waldrand. War das ein Tier oder ein Mensch? Ein Schatten glitt vom Wald her hinter die aufgereihten Ballen. Die Rehe hielten inne und witterten. Jäh hetzten sie in großen Sprüngen talwärts.

      III

      Afra

      Sie trug ihre weißen Haare seit jeher zu Zöpfen geflochten und aufgesteckt. Die erste, die diese Frisur nach Jahrzehnten wieder salonfähig gemacht hatte, war eine ukrainische Ministerpräsidentin gewesen. Für Afra war das belanglos. In bodenlangen Röcken und festem Schuhwerk war sie tagtäglich unterwegs. Zu Fuß. Kam auf einer dieser schmalen Gemeindestraßen zwischen Weinbergen, Wiesenstücken und Wald ein Auto gefahren, wedelte sie mit ihrem langen, schwarzen Schirm. Kaum einer fuhr, ohne anzuhalten, vorbei. War es einer vom Dorf, der sie mitgenommen hatte, griff er nach ihrem Aussteigen routiniert nach dem Fichtenspray, um den unvermeidlichen Geruch nach Bockmist und Kräutern zu verdrängen. War es ein Fremder, dem es darum gegangen war, an einer alten Frau eine gute Tat zu vollbringen, versuchte er bald, grob oder verlegen, sie sich wieder vom Hals zu schaffen. Afra saß wie festgewachsen am Beifahrersitz: Mit geradem Rücken und erhobenem Haupt, den Korb auf dem Schoß umklammernd, ließ sie sich in die Bezirksstadt fahren. Vor einer Gründerzeitvilla deutete sie auf ihren Korb: Der Fahrer möge sie aussteigen lassen und auf sie warten, bis sie ihre Kräuter und ihren Ziegenkäse verkauft habe. Doch jeder dieser Samariter brauste erleichtert davon, sobald er die Frau losgeworden war. Ihre dubiose Ausdünstung blieb noch lange im Auto hängen.

      Jeder im Dorf kannte Afras windschiefe Keusche. Kaum einer gab zu, dort gewesen zu sein. Angeblich, weil der Gestank ihrer drei Ziegen – ein Bock war immer darunter – nur schwer aus Kleidern und Haaren herauszubringen war. Stieg man den unwegsamen Pfad am Rand des Sonnleitnerischen Weingartens abwärts bis an den Waldrand, tauchte das moosbewachsene Dach unvermutet zwischen den Stämmen auf. Man munkelte, die Alte halte ihre Hühner in dem einzigen Raum, wo sie kochte, aß, schlief und ihre Kräuter trocknete. Die Kammer quelle über von Stößen zusammengebettelter, dahinmodernder Zeitungen. Kam einer ins Gespräch mit ihr, merkte er, wie belesen sie war. Seit das Wissen um die Heilwirkung von Kräutern wieder in Mode gekommen war, begann man ihre Kenntnisse zu schätzen. In der Stadt. Die Frauen des Dorfes kamen nur heimlich – und immer seltener – in die Waldkeusche. Immer dann, wenn sie in einer ausweglosen Situation von Afras Gebräu Rettung erhofften. Verscherzen wollte es sich keiner mit der absonderlichen Alten. Auf geradezu magische Art wusste sie alles, was in den Höfen und Häusern des Dorfes vorging. Einzig Julia hatte immer ein freundliches Wort und ein Glas Wein für Afra übrig, wenn diese, außer Atem vom steilen Weg, auf der Bank vor dem Sonnleitnerhof verschnaufte. Im Winter bat Julia ihren Mann, den Steig zu Afras Keusche vom Schnee freizuschaufeln, Brennholz hinunterzuschaffen und manchmal einen Sack Mais für die Hühner vors Haus zu stellen.

      IV

      Jahrtag

      Es war noch nicht richtig hell, als Julia übernächtig und viel zu schnell ihren Wagen Richtung Autobahn lenkte. Wie aus dem Boden herausgewachsen tauchte Afra am Straßenrand auf. Julia bremste scharf ab.

      „Du zitterst ja“, sagte Afra.

      „Ihr habt mich erschreckt“, murmelte Julia, „steigt ein!“ Seit ihrer Kinderzeit benutzte sie, wie sie es von ihrer Mutter gehört hatte, der Alten gegenüber das altertümliche „Ihr“ und „Enk“, mit dem man früher jede Respektsperson angeredet hatte.

      „Hast schlecht g’schlafen“, sagte Afra nachsichtig, „die Nacht war so hell.“

      „Ja, ist wahr.“ Julias Stimme klang nervös. „Und wo wollt Ihr hin?“

      „Nach Graz, ins Sozialamt. Wegen einer Gebührenbefreiung.

      Julia musste lächeln. Die Alte würde auch diese bekommen, letztlich tat man immer, was sie wollte, um sie und ihre ziegenduftgeschwängerte Aura loszuwerden.

      „Die Verena wohnt eh in der Näh.“

      „Jetzt glaub ich’s bald selber schon, dass Ihr hexen könnt. Wie wisst Ihr, wo ich hinwill?“ Afra schaute aus dem Fenster.

      „Und – wie geht’s Enk sonst?“, bemühte sich Julia den taktlosen Sager über das Hexen wiedergutzumachen. „Immer g’sund? Geht’s Enk eh guat?“

      „Mir schon, aber dir net, Julerl.“

      Afra nahm ihren Blick vom Fenster und ließ ihn mitleidig über Julia gleiten.

      „Heut ist Jahrtag“, sagte Afra. Julia nickte beklommen. „Fünf Jahr, seit der Luis tot ist. Fünf Jahr und du kannst ihn net vergessen. Ein G’frett is des, ein G’frett. Hast ihn gern gehabt, wie du den Sigi nie gern haben kannst. Armer Teufel, der Sigi.“

      Julia klammerte sich mit den Händen am Lenkrad fest, starrte beklommen geradeaus.

      „Und die Verena“, setzte Afra nach, „die wird sich’s nie verzeihen, dass sie mir ihren kranken Bruder aus die Händ’ genommen hat. Ich hätt’ ihn g’sund gemacht. War nicht ihre Schuld. Angezeigt bin ich worden. Vom Herrn Primar! Angezeigt wegen Kurpfuscherei.“

      Julia spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Beim nächsten Feldweg bog sie ein, hielt an.

      „Die sind auch net blöd im Spital, ich hab’s damals derfragt, dass alle gegen das Operieren waren. Nur er, der Aff, der g’schleckte, er hat ihn aufschneiden müssen, den Luis. Wegen dem Geld“, setzte Afra im monotonen Singsang nach. „Umgebracht hat er ihn, der Stückler, der Herr Primar. Den ganzen Bauch hat der ihm versaut und vergiftet. Beim Operieren. Verrecken hat er ihn lassen, deinen Luis.“

      Afra schwieg und wartete, bis das Zucken der Schultern neben ihr abgeebbt war.

      „Und jetzt? Jetzt ist er selber tot, der geldgierige Dokta, der alte Stückler, der Bauchaufschneider“, setzte sie gleichmütig fort.

      Julia nickte. Dann riss es sie hoch.

      „Was?!“

      „Kann passieren, dass so ein Heuballen ins Rollen kommt und einen erwischt und derdruckt. Kann passieren. Überhaupt, wenn der das verdient hat, der Mörder!“ Julia erstarrte.

      „Freilich, dass dann so a Leich mitpresst wird mit dem Heu, bis der leutselige Herr Dokta selber a Heuballen ist, und dass er dann noch wie a Mumie in Plastik eingewickelt wird, das passiert net an jeden.“

      Julia griff sich an den Hals, Grauen und Panik pressten ihr die Luft ab.

      Die Alte setzte nach: „Die Afra ist überall, sagen die Dorfleut, net wahr. Sie sieht alles, sag’n die Leut. Vor mir brauchst keine Angst net haben, du net. Die Verena auch net. Aber wegräumen müssts ihn. Den Heuballen. Gestern hat der Sechserbock

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