Zurück. Fabian Vogt

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Zurück - Fabian Vogt

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kann, die mit mir in vorhergehenden Jahren Erfahrungen gemacht haben, aber ich gewöhne mich nicht daran, mit den fragenden und wiedererkennenden Blicken richtig umzugehen. Es ist mir peinlich, nicht reagieren zu können. Bisweilen schließt mich sogar ein strahlender Fremder in die Arme, weil er sich freut, mich wieder zu sehen, und ich versuche dann, aus seinen Worten herauszuhören, was wir gemeinsam in seiner Vergangenheit erlebt haben. Gleichzeitig sehne ich mich nach diesen bescheidenen Augenblicken, weil sie mir vermitteln, dass ich nicht ganz ohne Beziehungen lebe.

      Dass Van Dyck mir das Leben gerettet hat, war sicher die schönste Botschaft aus der Vergangenheit, die ich bisher erhalten habe. Meist vergessen die knurrigen und vor Dreck starrenden Bauarbeiter aber schnell, dass ich schon einmal einen Tag lang mit ihnen Arbeit und Nachtlager geteilt habe. Weggeschickt hat mich in all den Jahren jedenfalls noch keiner. Und wenn, dann wäre es auch nicht tragisch. Ein Kuriosum wie mich kann nichts mehr umwerfen. Schon gar nicht in London.

      Hier fühle ich mich wohl. Erstens tut es mir gut, endlich wieder einmal in einer Großstadt zu sein – 420 000 Einwohner findet man zu dieser Zeit nur selten –, und außerdem wird hier gebaut wie nie zuvor. Überall ragen die Gerippe halbfertiger Architektenträume aus dem Boden und schauen den Betrachter mit ihren hohlen Augen an. Nur die vielen herumwerkelnden Männer lassen hoffen, dass aus den Knochengerüsten bald mit Leben gefüllte Wesen werden. London erschafft sich neu. Da findet ein Tagelöhner leicht etwas zu essen und einen warmen Schlafplatz für die Nacht. Ganz gleich, wo man durch die Randgebiete dieser atmenden Stadt geht, man muss aufpassen, dass man nicht aus Versehen in eine Baugrube fällt. Erst nach dem September 1666, in dem 13 000 Holzhäuser und 73 Kirchen von einer Feuersbrunst vernichtet werden, wird London wieder einer solchen Baustelle gleichen.

      Mir bereitet es eine kleine Befriedigung, wenigstens für einen Tag im Jahr an etwas Bleibendem mitarbeiten zu können. Wenn mein Leben auf den Kopf gestellt ist, dann möchte ich zumindest in dem, was ich tue, Spuren hinterlassen. Darum höre ich sehr genau hin, was die Menschen erzählen, lausche, was sie beschäftigt und beeindruckt.

      So wie ich es bei meiner Ankunft im Hafen getan habe. Und eines flüstert man dort in jeder Spelunke: Der Earl von Bedford baut den ehemaligen Garten der Westminster Abbey, Covent Garden, zu einer exklusiven Wohngegend um. Ein ehemaliger Klostergarten verwandelt sich in ein Nobelviertel. Davon hatte ich bereits in Antwerpen einige Fachleute schwärmen hören und mich deswegen nach der Bestätigung vor Ort direkt dorthin gewandt. Jetzt helfe ich mit, Covent Garden zu bauen, den Stadtteil, den ich früher bei keinem Londonbesuch ausgelassen habe. Das Einzige, was mich deprimiert, wenn ich längere Zeit auf einer Baustelle arbeite, ist die Tatsache, dass ich jeden Tag mit ansehen muss, wie die fast fertigen Gebäude sich wieder in ihre Einzelteile verwandeln. Auch wenn ich im Jahr 2000 zeigen könnte, welchen Stein ich zu einem Palast beigetragen habe, bin ich zur Zeit nur Zeuge des Abbaus. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, ist die Arbeit eines ganzen Jahres ungeschehen gemacht worden, und ich blicke traurig auf die bedauernswerten Gebilde, die ich ja schon fast vollendet betrachten durfte. Und dann frage ich mich natürlich um so mehr, warum etwas mit mir passiert, das scheinbar keinen Sinn ergibt.

      Aber ich muss mehr über mich erzählen, sonst komme ich dem Geheimnis meiner Reise nicht auf die Spur. Leider weiß ich noch nicht, wie ich es anfangen soll. Am besten schreibe ich auf, was heute passiert ist, denn das ist ganz gewiss der erste Schritt gewesen.

      Ich war heute Morgen sehr neugierig, wie und wann ich Van Dyck treffen würde, und zum ersten Mal seit langer Zeit lief ich wieder aufgeregt umher. Schon beim Frühstück, bei dem wir alle in der muffigen Bauhütte einen körnigen Brei hinunterschlangen, lehnte sich der Werkmeister, ein ungepflegter Kerl mit glasigen Augen, plötzlich mit einem triumphierenden Lächeln zurück und schlug mit einem Löffel gegen seine tönerne Schale: „Es wäre schön, wenn ihr faulen Säcke heute ausnahmsweise mal fleißig ausseht. Mister Jones kommt zu Besuch!“

      Lautes Stöhnen ertönte. Ein Steinmetz, den ich aus den folgenden Jahren kannte, lachte künstlich und knurrte: „Es wird genauso ablaufen wie immer: Unserem Bau-Meister ist doch ohnehin alles zu verspielt, was wir machen. Es kotzt mich an. Erinnert ihr euch an das letzte Mal, als er die Ehre hatte, uns zu visitieren:, Ich wünsche schlichtere Formen, klar, streng und nobel. Nicht diese katholische Überfrachtung.‘ Und dann erzählt er wieder stundenlang von Palladio., Lasst es uns machen wie Palladio!‘ Palladio holladio! Ich kann es nicht mehr hören. Palladio, der große Wiederentdecker der alten Formen. Palladio hier, Palladio da. Warum ist Mister Jones nicht in Venedig oder Rom geblieben, wenn ihm der antike Kram der Vorgeschichte besser gefällt als die künstlerischen Formen unserer Zeit!“

      Der Werkmeister rülpste genüsslich, und man sah ihm an, dass er die Meinung des aufgebrachten Handwerkers zwar teilte, aber schon kannte. In diesem Moment öffnete sich der mit groben Latten versperrte Eingang ein Stück und Van Dyck blickte in den Raum. Er rümpfte die Nase und blieb in der halboffenen Tür stehen, sodass der Wind ungehindert durch den Raum ziehen konnte. Herrisch fragte er: „Ist Inigo Jones schon hier gewesen?“

      Der Werkmeister sprang auf, wischte sich die Hände an der Hose ab und machte einen Schritt auf den Maler zu, was diesen unwillkürlich zurückweichen ließ.

      „Er wird jeden Augenblick hier sein, Sir!“

      „Wenn er kommt, sag ihm, dass ich vor dem Kirchenportal auf ihn warte!“

      „Gerne, Sir, äh, Sir …“ Der diensteifrige Vorarbeiter öffnete überraschend den Mund zu einem breiten Grinsen, bei dem eine Reihe abgebrochener Zähne sichtbar wurde. „Man sagt, Ihr macht nicht nur religiöse Bilder, sondern seid auch ein Meister der erotischen Malerei. Könntet Ihr nicht einmal eine unverhüllte Schönheit auf die Wand unserer kleinen Hütte hier malen? Eine mit großen … na, Ihr wisst schon. Warum guckt Ihr denn so? Eine keusche Jungfrau natürlich!“

      Die Männer krümmten sich vor Lachen, während Van Dyck rot anlief und wortlos die Tür hinter sich zuschlug. Der Werkmeister prustete: „Na, das geschieht ihm recht, dem eingebildeten Laffen. Dem Ritter im feinen Zwirn. Habt ihr sein Gesicht gesehen? Wie ein Pferd mit Durchfall.“

      Wieder grölten die Männer, und es gelang mir, mich durch die derbe Heiterkeit nach draußen zu schleichen. Van Dyck stand neben dem kleinen Verschlag mit den Werkzeugen, puderte sich erregt die Nase und blickte mit verspanntem Hals in die Ferne.

      Da er mir an Bord der „Marian“ erzählt hatte, wie das Bild aussah, das er von mir malen würde, sprach ich ihn vorsichtig an: „Entschuldigt meine Unverfrorenheit, Sir, aber ich würde mich gerne als Modell zur Verfügung stellen.“

      Er musterte mich von oben bis unten und verzog dann den Mund zu einem verächtlichen Grinsen: „Wofür? Für den Esel in einem Krippenbild?“

      Idiot, dachte ich. „Nein, Sir, für irgendein Bild eben!“

      Er hustete in ein spitzenbesetztes weißes Taschentuch und sagte dann mit drohendem Unterton: „Hör zu. Die eine Hälfte Londons möchte von mir gemalt werden und wartet darauf, dass ich für sie Zeit habe. Die andere Hälfte möchte das auch, kann es aber nicht bezahlen. Ich werde also für einen Habenichts wie dich keine Leinwand verschwenden. Und jetzt lass mich in Ruhe.“

      Er drehte sich demonstrativ um und sah nach einer halben Minute erstaunt in meine Richtung, weil ich immer noch am gleichen Fleck stand.

      „Ich habe gesagt, du sollst verschwinden!“

      „Ich kann in die Zukunft sehen!“

      „Ach! Und die Erde ist eine Kugel, die um die Sonne fliegt! Gibt es eigentlich überall nur noch Verrückte?“

      Er blickte mich verächtlich an und ging Richtung Baustelle davon. Mir wurde mulmig. Eigentlich war ich immer bemüht gewesen,

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