Das Finanzkapital. Joseph Murray Patrick
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Der Handel mit dieser Sorte Reichtum, den das Finanzgewerbe betreibt, setzt zum andern voraus, dass die Verfügungsmacht über die Potenz des Geldes, seine eigene Vermehrung zu bewirken, auf Zeit erkauft gegen Zins, denselben Dienst tut wie Geld, das man hat. Denn das ist ja die erste eigentümliche Dienstleistung der Banken: Sie steigen nicht selber mit einem Vorschuss ins Geschäftsleben ein, sondern geben Geld in fremde Hände; für eine Frist, in der der Empfänger es auf eigene Verantwortung als Kapital zu verwenden und um Zinsen vermehrt zu erstatten hat. Sie lösen die Geldnöte der kapitalistischen Unternehmenswelt, indem sie diese fremdes Geldvermögen wie eigenes als Mittel ihrer Bereicherung benutzen lassen. Das ist zwar gewöhnlich, aber alles andere als selbstverständlich. Denn immerhin ist das Geld, das da in fremder Hand seine produktive Kommandomacht entfaltet, nichts anderes als die vergegenständlichte, dadurch verselbständigte und veräußerlich gemachte Macht des Eigentums. Und das ist schon ein wenig paradox: Als Bankkunde muss ein Unternehmer nicht Eigentümer sein, um die Macht des Eigentums für sich, nämlich für die Mehrung seines Eigentums wirken zu lassen.
Kleiner Exkurs zum Begriff des Eigentums
Zum Verständnis dieser Paradoxie ist es nützlich, sich den Begriff des Eigentums zu vergegenwärtigen, der – scheinbar absurderweise, tatsächlich aus gutem apologetischem Grund – ausgerechnet der Gesellschaft gar nicht geläufig ist, die ihre ganze Produktionsweise darauf aufbaut.
– Die bürgerliche Welt versteht unter Eigentum ein vom Staat zu schützendes ausschließendes Verfügungsrecht bzw. die Gegenstände, auf die dieses Recht sich bezieht. Mehr oder meist weniger deutlich darin enthalten ist die Auffassung, dass Eigentum im Prinzip nicht das Resultat willkürlicher Zuteilung durch eine übergeordnete Instanz ist, sondern durch eigene Leistung verdient ist oder jedenfalls sein muss. Die Verknüpfung von Eigentum mit produktiver Tätigkeit bleibt dabei eher vage. Explizit hergestellt wird sie – immerhin – ausgerechnet an solchen Produkten, bei denen der Ausschluss fremden Zugriffs der Natur der Sache widerspricht und entsprechend kunstreich vom Recht erst herbeigeführt werden muss, nämlich bei allgemein verwendbaren ‚Schöpfungen‘, die in die Kategorie des ‚geistigen Eigentums‘ fallen.
– Tatsächlich setzt das bürgerliche Eigentumsrecht die Herstellung einer Sache, rechtlich: die Vergegenständlichung der willentlichen Tätigkeit eines Rechtssubjekts in einem Produkt, als die erste Quelle des Eigentums voraus, wenn es – gemäß dem großen historischen Imperativ ‚Jedem das Seine!‘ – die exklusive Verfügungsmacht über eine Sache zum Grundrechtstatbestand erhebt. Mit diesem Rechtsgrundsatz bezieht sich der bürgerliche Staat aber schon nicht mehr auf den banalen – im Begriff des Eigentums als Voraussetzung enthaltenen – Umstand, dass willensbegabte Subjekte in ihrer produktiven Tätigkeit ein Stück – womöglich schon bearbeitete – Natur ihrem Bedürfnis gemäß zurechtmachen und in diesem materiellen Sinn sich aneignen. Der Staat leistet damit vielmehr seinen elementaren Ordnungsdienst an einer Ökonomie, die als Warenhandel vonstattengeht: Er stiftet Rechtssicherheit für eine Wirtschaftsweise, bei der Arbeitsprodukte nicht für den allgemeinen Nutzen, sondern einerseits als private Verfügungsmasse ihres Produzenten, andererseits als Güter nicht für dessen Bedarf, sondern für den Tausch gegen andere Produkte hergestellt werden. Nur insofern, also auf dem Weg der Veräußerung gegen fremdes Eigentum, ist das, was als Privateigentum produziert wurde, Teil der und Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtarbeit. Die ausschließende Verfügungsmacht, die die bürgerliche Rechtsordnung mit der Herstellung einer Sache verknüpft, bezieht sich auf diese ökonomische Zweckbestimmung des Produkts, nämlich als Mittel zum Tausch gegen andere Produkte zu fungieren. Das Recht schreibt also als den eigentlichen Sinn und Zweck des Eigentums den Erwerb fremden Eigentums fest.
– Diese ökonomische Zweckbestimmung des Eigentums wird im Geld, das die Subjekte dieser Ökonomie als Tauschmittel verwenden, zu einer eigenen, dinglich existierenden Größe getrennt von der Herstellung der Produkte und selbständig neben den Gütern, deren Herstellung das Eigentum an ihnen begründet. Indem der Staat den Warenhandel samt Geldverkehr unter seinen Schutz stellt, fixiert und sanktioniert er dieses Paradox einer privaten Verfügungsmacht verselbständigt gegen den Produktionsprozess, dem diese Macht entspringt: Eigentum als handhabbare Sache unabhängig von seinem Entstehungsprozess und dessen materiellem Ergebnis, nämlich als quantitativ bestimmte, an einer staatlich definierten Geldmaterie haftende Zugriffsmacht auf alle käuflichen Produkte.
– Die im Geld verselbständigte Verfügungsgewalt entfaltet ihre eigentliche Produktivkraft im rechtsstaatlich geschützten, marktwirtschaftlich produzierenden Gemeinwesen auf der Basis der Eigentumslosigkeit der großen Masse der Gesellschaft, ihrer eigentumsrechtlichen Trennung von den Mitteln der Produktion materiellen Reichtums, und komplementär dazu der Monopolisierung dieser Mittel und des Geldes zu ihrer Beschaffung im Eigentum einer Minderheit. In Form eines staatlich als rechtens anerkannten Tausches von Geld gegen Dienstleistungen wird den Massen ohne produktiv einsetzbares Eigentum die Verfügung über ihre Fähigkeit, produktiv tätig zu werden, abgekauft. Mit der Zugriffsmacht seines Geldes übernimmt der Eigentümer der Produktionsmittel als ‚Arbeitgeber‘ das Kommando über seine ‚Arbeitnehmer‘, betätigt sich als das bestimmende zwecksetzende Subjekt der von denen verrichteten Arbeit, macht sich also zu dem Urheber der Produktion, dem alle Produkte rechtlich als sein Werk und folglich als sein rechtmäßiges Eigentum zuzurechnen sind. Die bezahlten Leute reproduzieren in ‚ihrem‘ Betrieb die Zugriffsmacht, die über sie verfügt.
– Auf dieser Grundlage erbringt das Bankgewerbe seine eigentümliche Leistung: Es trennt die Zugriffsmacht auf Arbeitsprodukte und die Kommandomacht über produktive Tätigkeit, die dem Geld als der Verselbständigung des Eigentums gegen dessen Schaffung innewohnt, auch noch vom Eigentum selbst, das im Geld verselbständigt existiert; es überträgt dieses Gewaltverhältnis auf seine Kunden – auf Zeit, und um ein Geld zurückzubekommen, das nunmehr das vom Schuldner tatsächlich geschaffene größere Eigentum repräsentiert. So löst sich das Paradox der Produktivkraft des verliehenen Eigentums am Ende auf: Sie tut für beide Seiten ihren Dienst.
Zusatz
Die Leistung des Bankgewerbes im Dienst am Geldbedarf der kapitalistischen Unternehmenswelt geht weit hinaus über die Erleichterungen, die Industrielle und Kaufleute selber schon erfunden und praktiziert haben, um die Umschlagszeit ihres Kapitals zu verkürzen und die Kontinuität ihres Geschäftsgangs sicherzustellen.
Die haben erstens die Gewohnheit entwickelt, Warenlieferung und Zahlung zeitlich zu trennen und einander Zahlungsfristen zu gewähren. Das macht es allen ein bisschen leichter, über die Durststrecke zwischen dem Einsatz benötigter Produktionsmittel und dem Gelderwerb für deren Bezahlung durch Verkauf des Produzierten hinwegzukommen. In das harte Geschäftsleben ist damit ein erstes Moment von Vertrauen eingeführt: wechselseitiges Vertrauen in die Dauerhaftigkeit der Geschäfte und in die Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft ihrer Betreiber.
Darüber hinaus haben die Profis des Marktes den Handelswechsel erfunden: die Technik, dem Käufer einer Ware statt prompter Zahlung ein terminiertes Zahlungsversprechen abzunehmen, das der Empfänger seinerseits als Zahlungsmittel an seine Lieferanten weiterreicht, für dessen Erfüllung er dann allerdings auch seinerseits haftet. Die Macht des Geldes, auf Ware in fremdem Eigentum zuzugreifen, wird so – befristet, aber wirksam – von seinem Vorhandensein abgelöst; ersetzt durch eine Willensbekundung, mit der das Eigentum an Waren unwiderruflich übertragen wird. Ihre Bindung an die Herstellung von werthaltigem Eigentum und dessen Verselbständigung in verdientem Geld wird diese auf bloßer Zusicherung beruhende Zugriffsmacht natürlich nicht los: Nach Ablauf der Frist, für die das Zahlungsversprechen als Zahlungsmittel gilt und fungieren