Rosaleen Norton. Nevill Drury
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Rosaleen drückte sich auf so vielen Ebenen und auf so viele Weisen aus, dass ihr Selbst, wie auch immer sie es zu einem beliebigen Zeitpunkt ihres Lebens hätte beschreiben wollen, stets über alles hinausging, was sich erkennen, beschreiben und wissen lässt. Doch dort wo Worte versagen, können Bilder erschüttern und erwecken. Die Bilder kommen von ihr – das Erleben ist unsere Sache.
Als ich in den frühen neunziger Jahren ein Exemplar von Nevill Drurys Pan’s Daughter. The Magical World of Rosaleen Norton erhielt, fühlte ich mich zutiefst erschüttert. Mogg Morgan hatte das Buch gerade neu aufgelegt und wollte wissen, was ich davon hielt. Die Frage erschien mir ein wenig sonderbar, denn wenn man auch nur einen kleinen Augenblick die ungeheure Kraft und Inspiration von Rosaleen Nortons Bildern erfühlt, erübrigt sich jeder Kommentar.
Pan’s Daughter ist ein erfrischendes, aber viel zu kurzes Buch. Im Gegensatz zu dem wunderschönen und wesentlich detaillierterem Buch, welches du jetzt in den Händen hältst, umschreibt Rosaleens Leben wie eine flüchtige Skizze. Viele bedeutsame Aspekte von Rosaleens Magie, wie z. B. ihre sexualmagischen Experimente, werden darin kaum erwähnt. Doch es war ein Anfang, ein bedeutender Anfang, und Nevill Drury hat seit dem viel Zeit damit verbracht, Rosaleen Norton weiter zu erforschen. Dem heutigen, deutschsprachigen Leser ist Drury möglicherweise nur wenig bekannt. Schon in den siebziger Jahren gehörte er zu den wichtigsten englischsprachigen Autoren, welche bemüht waren, über das klassische Okkultismus-Denken hinauszugehen und neue Perspektiven zu eröffnen. Damals gab es in Deutschland zum Glück noch eine lebendige Hippiekultur, die sich für die Schriften indischer und chinesischer Mystiker begeisterte, doch über die neuere magische Bewegung war herzlich wenig bekannt. Wenn ich ein paar gute Bücher wollte, musste ich nach London fahren, wo ich dann nächtelang im Regen auf dem Campingplatz hockte, um tagsüber die großartigen Buchhandlungen und Museen zu erforschen. Hierzulande gab es gerade mal ein paar extrem schlechte Crowley-Übersetzungen, während Fortune, Spare, Grant, Symonds, Regardie, Skinner und eben Drury praktisch unbekannt waren. Ich erwarb Drurys In Search of Abraxas von einem Vertreter der alten fossilen Ordenskultur, der, wie so viele seiner Generation, weder mit den Ideen noch der englischen Sprache klarkam. Es war ein finsteres Zeitalter. Als dann endlich im zurückgebliebenen Deutschland die ersten (und oft sehr fragwürdigen) Übersetzungen von Spare erschienen, kam es zu einem erstaunlichen Phänomen.
In der frischgebackenen deutschen Magiebewegung wurden Crowley und Spare als eine Polarität magischer Archetypen empfunden. Hier galt Crowley als extrovertiert und Spare als introvertiert; Crowley als weitgereist und Spare als heimatgebunden; Crowley als Gruppenmensch und Spare als Einsiedler. Auch ihre Lebensweise schien deutliche Gegensätze aufzuzeigen: wo Crowley sein Leben lang von ererbtem und anderer Leute Geld lebte (seine gesamte Erfahrung mit ‚Arbeit‘ beschränkte sich auf eine kurze Zeit als Journalist), kam Spare aus der Arbeiterklasse und kämpfte schon als Jugendlicher darum, von seiner Kunst existieren zu können. Während Crowley viele Menschen kannte und niemals enge Freunde hatte, beschränkte sich Spare auf einen kleinen Kreis echter Freunde, zu denen er bis ins Alter herzliche Beziehungen pflegte. Dafür hatte Crowley definitiv mehr Sex. Das ganze Bild war ausgesprochen simpel und unrealistisch, und es verleitete viele nicht sonderlich gut informierte Magier, sich selber der einen oder anderen ‚Seite‘ zuzuschreiben; als ob die beiden so zu Archetypen stilisierten Meistermagier die einzigen möglichen Formen spiritueller Lebensweise verkörperten. Vieles an diesem Bild entstand aus der reichlich einseitigen Informationslage. Crowley hatte sich selbst ja schon zu Lebzeiten zur Genüge gefeiert, und seine bizarren Erlebnisse mit vielen Übertreibungen und fiktiven Ereignissen ausgebessert. Spare hatte ähnlich viele Märchen erzählt. Ein Teil seiner Anekdoten geht auf ein ziemlich prägnantes Ereignis zurück: Als er von der deutschen Luftwaffe aus seinem Haus gebombt wurde, bekam er einen Balken an den Kopf, welcher eine monatelange Amnesie auslöste, in deren Folge er seine eigene Lebensgeschichte Stück für Stück wieder zusammensetzen musste. Dabei scheinen sich auch einige Episoden eingeschlichen zu haben, von denen er ursprünglich nur gelesen hatte. Während der junge Spare von den höheren Gesellschaftsschichten als ein Wunderkind gefeiert wurde, fühlte sich der ältere Spare mit den einfachen Menschen verbunden, mit denen er täglich in den Kneipen verkehrte. Gavin Semple erzählte mir, dass es in diesen Kreisen zu den typischen Pub-Ritualen gehört, haarsträubend unglaubwürdige Geschichten über sich selbst zu erzählen. Als Spare dann die jungen Grants kennenlernte, war dies eine wundervolle Gelegenheit für ihn, voll aufzudrehen und eine bizarre magische Geschichte nach der anderen zu erfinden. Dazu gehörte einige Mythen über Mrs. Paterson, seinen Aufenthalt in Ägypten (Spare verließ England nur einmal im Leben, nämlich als offizieller Kriegs-Künstler, um nach Ende des Kriegs in Frankreich die Schrecken der Schützengräben zu illustrieren) und sein angeblich so ausschweifendes Sexualleben (eigentlich war er sehr schüchtern). Kenneth Grant mag solchen Anekdoten geglaubt haben oder auch nicht, aber er nahm sie freudig in sein Tagebuch auf und vermittelte sie später einer wachsenden Zahl von Spare-Anhängern. Weder Spare noch Crowley hätte es nötig gehabt, sich mit solchen Mythen zu schmücken. Doch immerhin hatten ihre Geschichten hohen Unterhaltungswert und waren vielfach gute, surreale Kunst. Das bringt uns, auf verschlungenen Wegen, zu Rosaleen Norton zurück.
Auch Rosaleen kam aus Verhältnissen, die nur wenig Verständnis für ihr zutiefst magisches Wesen aufbrachten. Ihre ausgesprochen frühe Hingabe zur Magie scheint ein schönes Beispiel für die Wiedergeburt zu bieten. Denn wen auch immer Rosaleen Norton in ihren vielen Rollen und Bewusstseinszuständen verkörperte: Hier haben wir es mit einer alten und ausgesprochen spirituellen Seele zu tun. Wer hätte gedacht, dass es im zurückgebliebenen, spießigen Australien der vierziger und fünfziger Jahre eine selbsternannte Hexe gab, die es wert ist, in einem Atemzug mit Crowley und Spare genannt zu werden? Und ganz nebenbei: Wie wäre es mit Rosaleen als Rollenmodell für magisch aktive Frauen? Trotz aller männlicher Macht-, Hierarchie- und Territorial-Spiele hat die okkulte Bewegung ja schon sehr früh mutige, originelle und bemerkenswerte Frauen hervorgebracht. Blavatsky erfand eine verwirrende, überwältigende und inspirierende Weltanschauung, die mehrere Generationen von Okkultisten und Künstlern prägte. Ob wir von Frank Baum (‚Der Zauberer von Oz‘), Max Beckmann, Rudolf Steiner, Jiddu Krishnamurti oder von Thomas Mann reden: Hier eröffnete sich dem Westen eine ganz neue Denkweise. Oder denken wir an Dion Fortune, deren Bedeutung und Originalität immer noch unterschätzt wird. Doch Rosaleen war deutlich anders und wesentlich finsterer. Es wäre eine Versuchung, Fortune mit Mozart zu vergleichen, Blavatsky mit unverdaulicher Zwölf-Ton Musik und Rosaleen mit phantasievollem, romantischem Hardrock. Wie könnte man das Bedürfnis, mit einem schwarzen Leoparden zu vögeln, denn sonst vertonen? Was diese ungeheuer begabte und mutige Frau schuf, während sie ihr ganzes Leben am Rande der Gesellschaft verbrachte, wurde nicht nur gelebt, sondern auch mit Herzblut erkämpft. Rosaleens Geschichte ist die einer hingebungsvollen Pionierin. Sie war ihrer Zeit und Kultur um viele Jahrzehnte voraus. Und genau wie alle anderen Mutanten hatte sie es mit einer ausgesprochen feindlichen Umwelt zu tun. Auch bei ihr erleben wir den Zwang zur Mythologisierung der eigenen Person. Genau wie Crowley und Spare umgab sich Rosaleen mit einer Aura des Geheimnisvollen, ohne sich dabei immer an die eigentlich profanen Tatsachen zu halten. Die junge Rosaleen wurde von Presse und Mitmenschen zur Hexe abgestempelt, und beugte sich dieser Mehrheitsentscheidung, indem sie den erwarteten Klischees entsprach. Sie machte einen Kult aus ihrem Ruf und schwelgte in dunkler, samtener Romantik. Ob sie dies wirklich nötig hatte sei hier dahin gestellt. Schließlich werden Menschen nicht zu Hexen, indem sie sich als solche verkleiden, sondern indem sie ganz spontan und natürlich ihrer tiefsten Selbstnatur folgen; egal in welche dunklen und geheimnisvollen Winkel des Inneren Multiversums es sie führen mag. Magie, Kunst und Wissenschaft verlangen volle Hingabe. Lange, bevor sie ihren zweifelhaften Ruf erwarb, praktizierte Rosaleen eine ausgesprochen ‚hexenhafte‘ Lebensweise, ohne ihre Praktiken mit solchen Begriffen zu beschreiben oder einzuschränken. In ihren frühen Beschreibungen spricht sie von Selbsthypnose und Trance-Experimenten. Dabei ging sie viel weiter als es die meisten heutigen Hexen tun. Und auch ihre zahlreichen frühen Trance-Erfahrungen entstanden aus einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit heraus. Bei der Recherche nach den magischen Praktiken von Rosaleen Norton hat Nevill Drury hervorragende Arbeit