Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille. Tobie Schmack
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Читать онлайн книгу Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille - Tobie Schmack страница 4
»Deine Deckung ist einfach miserabel, Henry!«, stochert Tacko in meinem Bottich aus definitiv verletztem Männerstolz herum und stupst meinen Oberarm mit seiner Bierflasche an. »Prost, du alte Hütte!«
Flasche gegen Flasche!
»Du mich auch!«, grinse ich so gut es geht zurück.
In diesem Moment bin ich dankbar, dass Clubs dieser Sorte nicht standardisiert mit Tageslichtlampen ausgestattet sind. Kaum jemand nimmt mehr Notiz von mir. Und der von mir eben noch als Behandlungsunterlage belegte Billardtisch wird von drei blutigen Anfängern mit Flaumbart beackert. Die sind vermutlich gerade mal fünfzehn und halten sich mit ihren Smartphones für schweinegeil. Dass die Dinger beim Spielen stören, ignorieren die gänzlich. Die suchen sicher eine App für die Spielregeln. Was’n Stress! Ich hatte in deren Alter lediglich einen gratis Flächenbrand an Pubertätspickeln – ein verdrängtes, unfreiwilliges Upgrade. Aber an jene Abende an der Sechs-Loch-Arena kann ich mich bestens erinnern. Da ist noch immer ein Gefühl, zwar schwach und leicht traurig, weil nur wir beide es sind, die noch nicht in die strahlende Zukunft jenseits der als touristisch idyllisch vermarkteten Landmasse an Mulde und Elbe geflohen sind. Während ich melancholisch ersaufe, begatten zwei der Irokesen den Tisch. Würde ich das nicht selbst mit meinen eigenen Augen sehen, ich würde es für vollkommen abwegig halten, dass so eine Aktion auch nur ansatzweise den Weg in ein Hirn findet. Der Dritte im Bund gibt mit seinem Smartphone den Starfotografen und lädt das soeben geschossene Billardtisch-Kamasutra hoch ins Netz. Dass beim Upload das Niveau so tief fallen kann! Das tut einfach weh! Prost!
Ein merkwürdig flaues Ziehen wandert plötzlich durch meinen Oberschenkel, versickert knapp unter meinen Schultern und hält gerade direkt über dem Halswirbel in meine Schädeldecke Einzug. Jetzt ist sie wieder ganz wach, die Kälte nach dem verräucherten Nachtsuff, dem Notlager auf Tackos Parkettboden und meinem Gang in Tackos Fitnesscenter am nächsten Tag. Mir blieben gerade mal jämmerliche sieben Tage und noch immer stiert mich der wichtigste Anstrich meiner inneren To-do-Liste eiskalt an: Freundin (wahlweise auch heißes Date; von mir aus auch Passantin von der Straße oder gar handgeschriebene Bleistift-Offerte vom Biete-Suche-Brett meiner Stammkaufhalle; Hauptsache: nicht allein!).
»Mann, Alter!«, reißt mich Tacko aus der Expedition ins Teenie-Reich von den Halbstarken in die muffige Kneipenaura am Tresen zurück. »Da biste einmal in der Muckibude weggekracht und machst jetzt ewig auf Memme.«
In seiner unnachahmlich unsensiblen Art steht mir Tacko bei.
»Keine Ahnung, was die dir da in den Shake gehauen haben, aber für so ’nen Trip muss ich in der Disse ordentlich was abdrücken.«
Mein »Ey, ich hatte ’nen Kreislaufkollaps, ich hätte abkacken können!« weckt kein Interesse mehr bei ihm. Gut, das hat er nun schon oft genug gehört. Und Klagelieder in Schiss-Moll werden durch Wiederholung einfach nicht chartverdächtiger. Leider sieht das mancher Radiosender mit den besten Hits der Achtziger, Neunziger und der bassverseuchten Discojaule heute anders. Aber was soll mein Gute-Laune-Kumpel auch anderes denken. Einer, der seit Jahren den höllischen Kern von Delia ausgemacht haben will und nun im Triumph seiner Prophezeiung noch der Exklusiv-Zeuge der Henry-Thomas-Home-alone-Story ist, einer Geschichte, nach der weder er und noch nicht mal ich gefragt hatte. Aber ich, Henry, bin nun mal die schillernde Hauptfigur. Ja, es ist meine Geschichte … ohne Besetzungscouch, in die ich völlig blind hineingeschlittert war. Eine Fußnote im Treiben meiner kleinen Welt, die rein gar nicht so gedacht war und irgendwie mit dem Rückflug aus Punta Cana ihren eisgekühlten Kamikazekurs genommen hat, um mich bis hierher auf den Erdboden zu schleudern. Es gibt Leute, bei denen passiert über Jahrzehnte rein gar nichts, die vegetieren einfach so nasebohrend und Bier vernichtend vor sich hin, bis mal das Schicksal freudig anklopft, worauf selbiges aber nur ein dumpfes »Wir koofen nüschts« kassiert. Ich dagegen habe wohl vor knappen zwei Wochen im Delia-Delirium mal zu heftig »Hier!« geschrien und werde seitdem von einem mittleren Fiasko zum nächsten Magentritt gescheucht. Und ich ahne, dass es das sicher noch nicht gewesen ist. Zwei Wochen, die ich hätte einfach versiffen sollen, die ich hätte gemütlich in Selbstmitleid ertrinken können, in meiner Altbaukammer – gut, ohne Möbel, aber das … oh, Mann, was hab ich mir hier nur eingefangen? Ach Kacke! Das fing alles schon so exzellent scheiße an, so scheiße wie der unbekannte Drink in meiner Hand.
CHICKEN OR BASTA
Zwei Wochen zuvor … in 10.000 Metern Höhe.
Die Sonne sticht sich mühsam durch den winzigen Schlitz am Fenster. Unter uns liegt ein flauschig weicher Wolkenteppich. Die Motoren brummen, das ohrenbetäubende Rauschen im Kabinenraum ist mittlerweile akzeptiert und ich widme mich dem Bord-Journal. Nein, ich will nichts kaufen. Obwohl ich mir den Swarovski besetzten Kerzenständer mit dem Logo der Airline drauf super auf meinem Kaminsims vorstellen könnte, wenn ich einen Kamin hätte oder zumindest die günstig anmutenden fünfhundertfünfundneunzig Euro, die das Schmuckstück auf Seite vier rechts unten kosten soll. Da, wo die Freiheit angeblich so grenzenlos ist, düsen wir Richtung Heimat und mit jeder zurückgelassenen Wolkenherde drückt sich die Gewissheit eines gnadenlos kühl grinsenden Kontoauszuges in mein Bewusstsein. Hinter uns liegen unvergessliche Tage unter karibischer Sonne. Und ich bin müde, einfach nur todmüde.
* * *
All inclusive, nichts als all inclusive. Die Piña Colada auf den Shorts, Sand in der Kauleiste und der Zoff vom Frühstück im Genick. »Das Paradies ist nur das Paradies, wenn man das Zuhause daheim lässt«, hat schon mein Opa Walther gewusst, und der war nur in Stalingrad. Alles war lange bis ins letzte Detail geplant. Vier Wochen Jahresurlaub, unzählige Überstunden für den perfekten Ausgleich zum kleinkarierten Kleinstadtmief. Der Dispo war mit dem Segen der Sparkassen-Filiale Nord bis zur Schmerzgrenze ausgequetscht. Alles nur dafür, mit Delia allein zu sein. Ganz allein! Zu allein! Der Höhepunkt des Frühstücks, gleich am ersten Tag nach der Ankunft, war die Reklamation ihres Rühreis, das schlichtweg nicht deutsch genug schmeckte. Der Bacon war zu fettig, der Kaffee zu schwach und der einheimische Kellner offenkundig zu hässlich, um Trinkgeld zu ernten. Kein Wunder, dass sich die Tische um uns herum schnell leerten und auch trotz intensiver Aufbauarbeit meinerseits nicht wieder zufriedenstellend füllten. Schlechtes Karma! Sicher, der Hinflug war lang und die Hütte bei der Ankunft unter Wasser. Karibisches Wetter macht nun mal nicht vor den Behausungen deutscher Touristen Halt. Wetter kennt keine nationalen Macken. Die Luft in der Bude stand und der Schweiß lag triumphierend auf unserer Haut. Eigentlich hätten die Moskitos darin ertrinken müssen. An Schlaf war für mich ohnehin nicht zu denken – bei Delias Geschnarche, über das sie jede weitere Diskussion verbot. Aber auch so lag die ganze Zeit ein komisches Gefühl in mir hellwach. So nah beieinander unsere clubeigenen Strandliegen in den kommenden Tagen auch stehen würden, es lagen Welten zwischen uns, und kein Ufer würde sich aufmachen, eine allen Gewalten trotzende Brücke über das sich bewegende Meer an Lustlosigkeit zu legen.
Die Sonne brennt, die Wellen mühen sich, die Stille zwischen uns zu brechen. »Sonnencreme!« Zärtlich streichle ich Delias Nacken und fahre mit den Fingerspitzen um den rosinengroßen Leberfleck unter ihrer Schulter. Wunderschön!
»Wenn du weiter so langsam machst, hab ich Sonnenbrand am Po.« Schön! Das ist also der Hintern, den ich den Rest meines Lebens einschmieren werde. Ich Arsch! Langsam werde ich müde, lasse mich zur Seite sacken und strecke mich auf meiner Liege aus. Von schwermütigen Palmen umgeben blicke ich auf den traumhaft hellblauen Ozean. Jetskis peitschen gleich einem Höllenritt übers Wasser, eine monströse Banane schleppt Urlauber über den Wellenacker, um sie wenig später ins aufgebrachte Nass zu entsorgen.
Zwischen uns steht noch immer dieses ungebuchte, trostlose Schweigen, unterbrochen von vorbeiziehenden Einheimischen. Kaufen beschäftigt. Stimmt. Was ich mit der sogenannten Holzkunst, die sich mit jeder glattgehobelten