Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille. Tobie Schmack
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Читать онлайн книгу Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille - Tobie Schmack страница 8
»Mach ich das richtig so, Conrad?«, haucht Delia zum Doc, der überaus charmant auf ihre Blicke reagiert.
Ach, man ist bereits beim Vornamen und er sicher schon beim Sprung in ihren Vorbau, der wohl noch immer mir zusteht. Hallo!
»Ich wünschte, ich würde das immer so sanft erleben. Wissen Sie, Heilung beginnt mit Mitgefühl«, säuselt der Medizinmann in seinem Armani-Sweater zurück.
Hätte ich mein Hühnchen schon gegessen, es würde mir unerbittlich wieder hochschnellen. Was auch immer das hier vor meinen Augen ist, diese Soap muss ich umtexten. Zeit für einen eiskalten Stimmungsbruch.
»Und wo fliegen Sie hin?«, plauzt es überfallartig aus mir heraus.
»Zum Flughafen«, schallt es nüchtern zurück.
Das Lachen in Reihe neunzehn schwappt gleichmäßig bis zu den Lauschenden in zwölf und vierundzwanzig hinüber. Haha, ein echter Komiker! Heute halten sich wohl alle Weißkittel für Spaßgranaten. Gut, was frage ich auch so blöd. Um jede Fortführung einer gepflegten Verlegenheitskonversation meinerseits abzukürzen, legt der Herr generös Verbal-Holz nach.
»Passen Sie auf, wir landen alle in Frankfurt. So viel haben wir gerade noch gemeinsam. Danach geht’s nach Schönefeld. Mit ein bisschen Glück fährt die Bahn pünktlich. Wenn alles gut läuft, bin ich noch heute in meiner allein bewohnten Doppelhaushälfte.«
Bei »allein« meine ich ein leichtes Aufleuchten in Delias Gesicht zu sehen, während die Umsitzenden im engeren Kreis eifrig zischend ihre geschüttelten Mitleidsdosen aufreißen.
»Ooooohhh!«
Als er dann noch erwähnt, gerade mal zwanzig Autominuten von mir entfernt in unserem Kochstedt zu leben, dreht mein Kopfkino richtig auf. Das macht es für mich definitiv nicht besser. Was geht hier ab, Leute! Womöglich würde meine Herzdame gleich noch den Pik-König hier in unseren Shuttle einladen. Mann, das wird ja ’ne lustige Heimfahrt über die A 9. Ich mach doch hier nicht den Pflaume! So muss sich ein Winterreifen fühlen, wenn der Frühling naht. Huhu! Hier steht noch einer. Und der heißt Henry. Und der wird hier nicht treuhänderisch abgewickelt. Und schon gar nicht von diesem Schmalspur-Landarzt. Doppelhaushälfte!
»Für ein ganzes Haus hat die Praxisgebühr wohl nicht gereicht, hä!«, schießt es aus mir heraus.
Stille. Er schaut mich kurz an und widmet sich dann wieder dem bereits stattlich angewachsenen Verband des Anschlagsopfers. Also, ich fand’s lustig. Leider der Rest der Bordinsassen nicht, was mir neben dem Vortrag über die von den Kassen unterdrückten Provinzmediziner zusätzlich das verständnislose Kopfschütteln der glotzenden Passagiere einbringt. Wie lange braucht man eigentlich für ’ne Platzwunde! Keine Ahnung, aber die Sitzung hier dauert und dauert. Wenn alle Ärzte so bummeln, muss ich mich nicht wundern, warum die Warteräume aus allen Nähten platzen. Nach einer gefühlten Ewigkeit verzieht sich der Medizinmann wieder in die First-Class-Zone hinter dem tiefblauen Vorhang. Ein bitterer Beigeschmack bleibt mir als Andenken auf der Zunge zurück.
Das Flugzeug nimmt auf dem Anflug nach Frankfurt noch ein paar unterhaltsame Luftlöcher mit. Der Umstieg in den Luftshuttle nach Berlin bleibt zwischen mir und Delia dagegen äußerst ereignisarm. Wir sitzen wieder am Fenster, zusammen und doch auf dem Weg in verschiedene Welten.
Berlin gibt sich nassgrau und regnerisch. Willkommen in der Hauptstadt, da wo die Merkel lacht und das Volk arm, aber sexy logiert. Das Gepäckband in der Ankunftshalle wirkt trostlos. Einsam zieht ein bunter Koffer aus Thailand seine Bahnen. Durch eine Lautsprecheransage piepst eine Frauenstimme furchtbar freundlich, dass nun die Koffer unserer Maschine durch die kleine, mit Gummilamellen dekorierte Öffnung einmarschieren. Die Glatzwunde schnappt sich zwei mausgraue Schalenkoffer, seine Frau eine mattbraune Rolltasche. Als sie gehen, nehmen sie wenigstens auch ihre verächtlichen Blicke mit, mit denen sie mich die ganze Zeit dankbar bedacht haben. Völlig entnervt diskutiert Delia mit dem Rollband. Und als ob sie einen besonderen Draht zu ihm hätte, erscheint zu meinem Erstaunen Sekunden später ihr knallroter Koffer, der sich dem mir gewidmeten hingebungsvollen Ignoranzgehabe entsprechend genauso hartschalig gibt. Gerade als ich ihr gentlemanlike zur Hand gehen will, drückt sie mich seitlich weg und zieht ihr Gepäck herunter. Sie klappt den Griff aus, würdigt mich dabei keines Blickes und … geht. Ja, sie geht. Das macht sie doch nicht wirklich, oder?
»Delia! Jetzt komm schon. Wo willst du denn hin? Ich mein, du kannst uns doch nicht einfach so …!«
Ja, was eigentlich? Wegwerfen? Aufgeben? Abschreiben? Quatsch, Henry, locker bleiben! Die ist sicher nur sauer wegen der Nummer im Flieger. Ein Blick von ihr lässt mich erschauern und meine Gelassenheit direkt in die Luft jagen. Mann, das wird jetzt aber echt nicht nett. Die wird doch nicht …! Spinnt die jetzt? Junge, wenn du nicht gleich was tust, dann ist das die längste Zeit ein »Wir« gewesen. Ich muss sie rumkriegen. Natürlich muss ich das! Okay, was war das Highlight am Strand? Mach schon, Henry! Hier geht’s doch um Delia, dein Schnuckelschnäuzchen … einfach die bestimmt größte Liebe deines Lebens. Hey, was heißt bestimmt, ganz sicher. Na klar! Wir sind das Paar, für immer und ewig, wie man das eben so ist. Mann, wie billig und abgedroschen das alles klingt. Nein, das will und kann ich ihr so nicht servieren. Das muss krachen, ganz tief drinnen. Ich schließe meine Augen. Junge, mir muss doch was einfallen, bevor sie sich ihre Koffer schnappt und einfach auf und davon ist. Also! Komm schon! Und? Jetzt! Ein verzweifelter Schrei entweicht durch meine weit auseinandergerissenen Lippen.
»Was uns nicht umbringt, macht uns härter.«
Autsch! Das … war … nix! Japp! Blödester Spruch ever zum definitiv falschesten Moment. Langsam öffne ich meine Lider und starre direkt auf ihre Hand. Ihr Mittelfinger prangt deutlich vor meiner Nase und zeigt keine erwähnenswerte Regung. Willkommen zurück in Deutschland, wo das klare Wort triumphiert und der unattraktive Dödel ohne Tamtam aus dem Beziehungsamt gejagt werden kann. Der Copy-and-Paste-Minister, der hatte wenigstens noch seinen ganz öffentlichen Zapfenstreich, aber ich fürchte, dass ich das bald selbst wieder aber sowas von allein für mich feiern darf.
»Hey, Delia, was wird das denn jetzt? Hier? Mit uns?«, frage ich mitleiderregend, nicht ganz ohne provoziert jämmerliche Moll-Note, und muss mich dabei völlig bedeppert anhören.
Sie neigt ihren schmalen Kopf und schaut mir noch immer regungslos in die Augen, als sie sich anschickt, die Eiszeit über uns auszubreiten. »Schau auf meinen Status bei F...!«
»Was?«, falle ich ihr komplett orientierungslos ins Wort und bemerke dabei nicht, dass Sie weitergeht, während ich unter der Kälteglocke zu bibbern beginne.
Was soll ich machen? Das ist doch alles ein bekloppter Scherz. Kein »Komm schon, Henry, wir fahren heim«? Keine Umarmung? Kein »So, und nun sind wir alle mal wieder normal«? Ich soll mich an den Rechner schmeißen und nachlesen, woran ich bei ihr bin? Sag mal, geht’s noch! Scheiß auf das Fratzenbuch! Was haben bloß alle damit? Kann denn keine Sau mehr was sagen, wenn es angebracht ist? Direkt, ungepimpt, einfach analog, ohne dass die halbe Welt mitliest! Das Kofferband leert sich, doch mein Gepäck kann ich einfach nicht entdecken. Delia taucht gerade in eine Menschentraube ein, als ich ihr nochmals nachrufe.
»Delia!«