Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille. Tobie Schmack
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Читать онлайн книгу Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille - Tobie Schmack страница 9
Das Gepäckrollband bleibt leer und steht nun still. Langsam sacke ich auf der Metallkante ab und rutsche zu Boden. Ich habe doch immer gewusst, was ich wollte. Ich wollte sie, irgendwie bei mir, das musste doch so sein. Das war doch schon immer so. Sie kann jetzt nicht einfach hinschmeißen, sich selbst auf den Markt werfen und mich als Ladenhüter zurücklassen. Das ist sie mir schuldig. Ich meine, alles war klar und wir beide … zusammen und glücklich … aber sowas von zusammen glücklich … mit all unseren Träumen von Haus, Kind und … na eben Pipapo. Glücklich. Glücklich? – Natürlich … glücklich! Na ja, eben was man so erträumt. Mit jeder stummen Wiederholung auf meinen trockenen Lippen wird es blasser, unwirklicher, kälter. Aber es ist doch das, was ich will. Was jeder will. Natürlich nach und nach und wohlüberlegt, nicht überstürzt. All das soll jetzt nicht mehr sein wegen einer lächerlichen Frage nach Chicken or Pasta? Wegen eines blassen Karibikurlaubs und einer klaffenden Platzwunde. Sie hat sich entschieden – allein entschieden. Ich bot ihr blass durchgekochtes Chicken, aber sie verlangte wohl nach unbekannter Pasta. Basta! Mit einem Spontananfall an verletztem Stolz blicke ich ihr verächtlich hinterher. Soll sie doch glücklich werden. Mit mir war sie es wohl nicht. Und ich? War ich es je gewesen? Mein Gepäck hockt in diesem Augenblick, so soll ich später erfahren, übrigens noch in Amsterdam. Meine Klamotten sind also noch kiffen und mich beschleicht ein beschissenes Gefühl, dass nicht nur meine dreckige Wäsche völlig vom Kurs abgekommen ist, sondern auch ich mich gründlich verflogen habe.
Ich könnte jetzt also gehen und Delia wäre mein persönlicher Hans-Dietrich Genscher, der heute nun zu mir gekommen ist, um mir mitzuteilen, dass meine Ausreise – bei mir will kein frenetischer Jubel einsetzen – aus ihrem Leben bewilligt ist. Da stehe ich also, am Flughafen, ohne Koffer, ohne Freundin und ohne eine Ahnung, was ich eigentlich verloren habe. Mein altes Ich ist noch immer in Punta Cana und schlürft Piña Colada. Mein altes Ich hatte einen klar durchdachten Lebensplan, der wie ein Bordcracker im Nichts zerkrümelt ist.
BLANKGEZOGEN
Die Fahrt von Schönefeld nach Hause vergeht wie in Trance. Es ist völlig egal, wann ich daheim ankommen werde. Delia hat wohl schon beim Passieren des Ortschildes unserer in sich selbst zerrissenen Doppelstadt den Landarzt im Social Net gesucht, gefunden und sicherlich zehn Minuten später durchgedated. Und ich würde die Reste aus meinem übersichtlich bestückten Kühlschrank vernichten wollen, nur mager fündig werden und bei bestellter Pizza und Bier vor der inhaltsarmen Glotze versacken. Nein, ich habe es wahrlich nicht eilig und der Shuttle-Chauffeur sicherlich auch nicht. Immerhin habe ich ihm fünfzig Euro extra in die Hand versprochen, wenn er die Klappe halten und einfach über die Autobahn juckeln würde.
»Willkommen im Land der Frühaufsteher! Ja, ihr mich auch, Leute! Ihr mich auch.«
Ja, wir in Sachsen-Anhalt stehen früher auf, weil die guten Tage einfach kürzer sind. Allein für diesen Slogan lohnte sich schon die Flucht in den Westen. Noch immer sind es siebenundvierzig Kilometer bis Dessau. Siebenundvierzig Kilometer Abstand vom Heute ohne sie.
Als ich die Wohnungstür – bepackt mit fälligen Rechnungen und Werbeblättern – mit leisem Knarren öffne, kommt mir nicht der erwartete Duft von verfaulten Zimmerpflanzen und Partymief entgegen. Wann immer ich für längere Zeit nicht zuhause bin, gebe ich Tacko die Schlüssel, damit er sich ums Grün kümmert. Und bisher hatte er nicht den Hauch einer Ahnung, dass jene im Baumarkt günstig erkämpften Fauna-Trophäen auch jämmerlich ersaufen, wenn man es darauf anlegt. Vielleicht ist es ihm auch einfach egal.
»Hey, guck mal an, DSL wird billiger«, murmele ich vor mich hin, als ich nebenbei einen der Umschläge sichte und plötzlich eine Einladung in die Vergangenheit in der Hand halte: Ehemaligentreffen Abschlussjahrgang ’97? Schon Anfang September, am Ersten!
»Na super! Was soll ich denn da? Und ausgerechnet jetzt. Feiern? Weltkriegsbeginn sicher nicht, obwohl ich ja gerade genug frische Trümmer ins Haus schleppe. Danke, Dörte!«, reiße ich gedanklich an und komme nicht umhin, mit der Nase hastig umherzuschnüffeln.
Komisch! Hier riecht’s so merkwürdig neutral? Hat Tacko etwa gelüftet? Nee, das wäre zu abwegig. Hausfrauenarbeit lehnt er kategorisch ab, irgendeine im Internet gefundene Religion würde ihm das streng verbieten. Bestimmt die gleiche, nach der sich gebrauchte Kondome auch in der Wohnung des besten Freundes als Innenraumdeko drapieren lassen. Als Gegenleistung, als ob man sich für die Vernichtung von Zimmerbegrünung noch erkenntlich zeigen müsste, kann er während meiner Abwesenheit hier tun und lassen, was er will. In seiner Welt heißt das, bei Dates, die später nerven könnten, ist das die ideale Alibi-Absteige. Reinkommen, flachlegen und abschieben. Na ja, bisher hat er seinen …
Ich zucke zusammen, als hätte ich einen Geist gesehen. Der Schreck fährt mir in die Tennisschuhe, prallt in den schweißgefluteten Einlagen zurück, schnellt mir unter mein straßenköterblondes Haupthaar und hinterlässt ein geschocktes Stechen in der Brust. Für einen Moment glaube ich, freien Blick auf die total weiß gehaltene Flurwand zu haben, als ich meinen Blick von der Ladung Post in meiner Hand abwende. Nein, ich glaub das nicht! Muss ich auch nicht, denn ich sehe es. Ich meine, ich sehe da nichts, gar nichts, nicht mal die Ahnung von einem Etwas. Nichts, was steht, hängt oder liegt. Alles leer!
»Wo ist mein Schuhschrank?«, entfährt es mir. Ja, ich atme es aus, als trete eine neue Eiszeit mit ganzer Macht aus meinen Hirnwindungen hinab in meine Glieder, die sich allesamt zusammenziehen, als müssten sie in der Stunde der nackten Not zusammenhalten. Meine Stimmbänder möchten versagen, aber das Herz gibt sich kämpferisch. »Wo ist das ganze Zeug hin?« Mein Bauhaus-Kunstdruck-Triple, der Wandteppich aus Pamukale und der original Star-Wars-Film-Schnipsel von 1977?
Und die sauer erstandenen Monster-Movie-Filmplakate, auf denen elegante Sci-Fi-Türme, Panzerkreuzer und ganze Luftwaffenverbände unter gigantischem Geschrei geschlachtet werden? Was habe ich bei Ebay ausgeharrt für jene Frankensteins meiner Kindheit, heimlich aufgesaugt durch das Schlüsselloch zum fernsehgefüllten Wohnzimmer. Poster samt Original-Autogramm aller bereits sicher abgelebten Hauptdarsteller, wenn ich auch zugeben muss, bei Frankenstein selbst immer einen gewissen Zweifel gespürt zu haben, dass so etwas je real existierte. Egal, das waren Erinnerungsstücke. Meine, meine, meine! Allein die Rahmen haben so viel gekostet wie ein halbes Jahr genussvolle Zigarettensucht, der ich als Finanzierungskompromiss danach gänzlich entsagte. Und wo ist meine Vitrine mit der Jahrzehnte aufgebauten und gehüteten Sammlung originaler Ford-Modelle, die Matchbox je rausgebracht hat.
»Mann, wo sind meine Matchis?«, stammele ich völlig perplex gegen die Raufasertapete und suche weiter nach einem Hauch von eingerichtetem Ich.
Die Gästehausschuhe, das abgenutzte Schlüsselbrett, die Willkommen-Matte – alles Geschichte. Ich stürze durch den kahlen Flur. Der Schall meiner Schritte bis zur Wohnzimmertür ist das Einzige, was neben mir hier zu finden ist. Ich reiße die abgerundete Klinke nach unten und starre in die gleiche Leere, als hätte ich heute hier den Besichtigungstermin zur Unterzeichnung des Mietvertrages. Vier Wände und kein Halleluja! Ich komme mir vor wie beim Ausverkauf. Selbst die abgrundtief hässlichste Sammeltasse, die ich nur aus falscher Sentimentalität meiner Uroma zuliebe geduldet habe, ist wie vom Erdboden verschluckt. Letzterer auch. Besser gesagt das von mir in mühevoller Kleinstarbeit gesetzte Parkett. War nicht perfekt gelegt, aber meins. Und nun? Ich bin allein, allein … allein … im Zwiegespräch mit dem nackten Estrich, der sich devot vor mir ausbreitet. Fassungslos sacke ich zusammen und der Stress des Rückfluges scheint dagegen so harmlos wie ein Schulwandertag in der ersten Klasse auf den Gipfel des Spitzbergs mit gekochtem Ei und einem fröhlichen Pionierlied auf den Lippen. »SCHEEEIIIISSSEEE!!!«
»Mensch, Herr Thomas, sinn ja noch da! Dachte schon, Sie sinn schon wech«, brummt eine tiefe Altherrenstimme in die Stille meines ausgeweideten