Anjuli Aishani. Janina Gerlach
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Читать онлайн книгу Anjuli Aishani - Janina Gerlach страница 6
»Zeig mal deinen Stundenplan, dann kann ich dir sagen, wo du jetzt hin musst.«
Nach kurzem Kramen fischte ich ihn irgendwo aus meiner Tasche, warf einen Blick darauf und verkündete erfreut, dass ich jetzt eine Doppelstunde Kunst haben würde.
»Welcher Lehrer?«, fragte Daniel sofort und klang so, als würde er sich an meiner Stelle nicht so freuen.
»Ehm, Carrol.«
Die Züge meines Gegenübers entspannten sich. »Da hast du aber Glück gehabt«, meinte Daniel und grinste, während er fortfuhr: »Wir haben hier fünf Kunstlehrer an unserer Schule. Vier davon sind verhasst – Ms. Carrol wird von allen angehimmelt. Du Glückspilz.«
Er stand auf und zog mich durch die schon fast leere Cafeteria hinter sich her, während er sich im Slalom an den leeren Stühlen vorbei kämpfte.
»Sie ist zwar eine der beliebtesten Lehrerinnen hier, aber sie kennt keine Gnade für Zuspätkommer.« Er zwinkerte mir zu. »Du solltest also besser einen Zahn zulegen. Siehst du die bunte Tür da unten? Da musst du hin. Viel Erfolg!«
Verblüfft blieb ich stehen. »Du kommst nicht mit?«
Das hatte wohl doch ein bisschen zu traurig geklungen, denn Daniel grinste schon wieder. »Sorry, Anjuli. Aber das schaffst du bestimmt auch ohne mich.«
Er lächelte mich noch einmal ermutigend an, drehte sich dann um und verschwand im nächsten Gang. Ich schaute ihm noch eine Sekunde hinterher, biss mir leicht auf die Lippe und machte mich auf den Weg zum Kunst-Raum. Zum Glück war ich noch rechtzeitig, denn die Tür stand offen und Ms Carrol war mit einigen Unterlagen beschäftigt. Nach einem kurzen Blick durch den Raum fand ich einen leeren Tisch und setzte mich, jedoch nicht ohne die neugierigen Blicke der anderen Schüler auf mir zu spüren. Ashley, meine frühere beste Freundin, hätte sich bestimmt wohl und bestätigt gefühlt, wenn so viele Blicke auf sie gerichtet waren. Mir war das Ganze jedoch eher unangenehm. Vor allem, weil meine kastanienbraunen Haare nicht wie sonst leicht gelockt auf meine Schultern fielen, sondern eher wie Stroh fad herunterhingen. Leise verfluchte ich mich dafür, verschlafen zu haben.
Endlich schob Ms. Carrol ihre Unterlagen beiseite und hieß uns alle in ihrem Unterricht willkommen. Ich war gespannt, denn Kunst lag mir eigentlich ziemlich gut und zeichnen war meine Leidenschaft, obwohl ich zuvor nicht allzu viel Glück mit den Lehrern gehabt hatte. Ms. Carrol jedoch schien anders zu sein. Sie war noch ziemlich jung, ich schätzte sie auf etwa achtundzwanzig, trug eine weiße Bluse, hatte ihre blonden Haare zu einem Zopf gebunden und machte einen ziemlich selbstbewussten und zielstrebigen Eindruck. Als sie aufstand, um den Overheadprojektor zu betätigen, bemerkte ich erst, wie groß und schlank sie war – man konnte schon fast von Modelmaßen sprechen. Mit einem Lächeln auf den Lippen verkündete sie: »Neues Schuljahr, neues Glück. Ich habe eben mal auf die Klassenliste geschaut, aber bis auf Andrew und Mary hatte ich vorher noch keinen von euch im Unterricht. Deshalb werde ich jetzt erst mal euer Können überprüfen, um die Leistung des Kurses besser einschätzen zu können.«
Als ein leises Raunen durch den Raum ging, fügte sie noch schnell hinzu: »Keine Angst, nichts Schwieriges.«
Sie holte einen Stapel Folien vom Lehrerpult. »Wie ihr hier seht«, sagte sie, während sie die erste Folie auflegte, »wird unser erstes Thema, mit dem wir uns dieses Halbjahr beschäftigen werden, Zeichnen sein.«
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Juhu, Zeichnen! Genau wie ich gehofft habe.
»Ihr werdet vier Monate Zeit bekommen, da wir uns ja leider nur jede zweite Woche sehen und noch ein paar Stunden ausfallen, um eine Ganzkörperzeichnung eures Banknachbarn anzufertigen.«
Kaum hatte sie den Satz zu Ende gesprochen, wurde der Geräuschpegel deutlich höher, da alle schon wild mit ihren Nachbarn diskutierten. Die meisten schienen sichtlich erleichtert und glücklich. Nur ein paar wenige verzogen den Mund beim Anblick ihres Gegenübers und wollten gerade schon anfangen zu tauschen, als Ms Carrol sich wieder zu Wort meldete und verkündete, dass alle an ihren Plätzen bleiben müssten.
»Wenn ihr euren Nachbarn noch nicht kennt, dann habt ihr ja genug Zeit ihn kennenzulernen«, sagte sie schließlich und zwinkerte zwei Jungen in der ersten Reihe zu. Während sich alle wie wild unterhielten, schaute ich immer wieder von Ms Carrol zu dem leeren Platz neben mir und fühlte mich seltsam alleine und unwohl.
»Ich möchte, dass ihr mehr über denjenigen neben euch in Erfahrung bringt und ihn so darstellt, dass jeder direkt sieht, was ihn auszeichnet«, fuhr unsere Lehrerin fort und legte nacheinander ein paar Folien auf, die Beispielbilder von einer anderen Klasse zeigten. »Ihr könnt also den Ort selbst aussuchen und auch frei bestimmen, welche Gegenstände die Person auf der Zeichnung gegeben falls bei sich trägt.«
Etwas unsicher blickte ich immer wieder von einigen Schülern um mich herum zur Tafel, dann wieder zu dem leeren Platz neben mir und schließlich zu Ms Carrol. Als sich unsere Blicke zufällig trafen, machte sie ein überraschtes Gesicht, warf einen Blick auf die Klassenliste und kam schließlich lächelnd auf mich zu.
»Hi, ähm…wie war dein Name nochmal?«
»Anjuli Aishani. Ich bin neu an der Schule«, antwortete ich, während ich in ihre großen blauen Augen blickte.
»Also gut, Anjuli. Darf ich mich kurz zu dir setzen?«
Ich nickte und rückte ein Stück zur Seite, um ihr Platz zu machen.
»Wie du wohl auch schon bemerkt hast, ist der Platz neben dir heute leer. Ich habe aber gerade in der Klassenliste nachgezählt und ihr seid 20 Schüler. Dein Banknachbar ist heute also wahrscheinlich nur verhindert und wird in der nächsten Stunde wohl hoffentlich hier sein und dann könnt ihr auch mit dem Ideensammeln anfangen.«
Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder doch eher enttäuscht sein sollte. Was ich aber auf jeden Fall spürte, waren Aufregung und Neugier, die mein Herz schneller schlagen ließen, ohne überhaupt zu wissen, wer mein Nachbar sein würde. Ich hoffte nur, dass wir einigermaßen miteinander auskommen würden und konnte gar nicht erwarten, es in zwei Wochen endlich herauszufinden. Während ich mir bereits ausmalte, wie er oder sie aussehen könnte, hatte ich Ms Carrol neben mir schon fast vergessen und erschrak leicht, als sie plötzlich wieder mit mir sprach.
»Sonst hast du die Aufgabenstellung aber verstanden oder ist dir noch was unklar?«
»Ich denke, ich habe alles verstanden. Danke.«
»Schön, das freut mich. Wann bist du denn hierher gezogen, wenn ich fragen darf?«
Es verunsicherte mich etwas, dass sie so viel Interesse an mir zeigte, ließ sie jedoch auch sehr freundlich und menschlich wirken. »Wir sind erst letzte Woche aus Portland hergezogen.«
»Wirklich, Portland?«, fragte sie sichtlich überrascht. Ich nickte kurz und war gespannt, was daran so interessant sein sollte. »Dort ganz in der Nähe habe ich früher als Kind auch gewohnt. Wunderschöne Gegend.« Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen