Der gefesselte Dionysos. Patrik Knothe
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Читать онлайн книгу Der gefesselte Dionysos - Patrik Knothe страница 6
„Sie? … uns helfen? Mmhh … wieso nicht!?“
„Alles okay bei dir?“, fragte sein Freund. „Du siehst irgendwie seltsam aus.“
„Ja, ja … war gerade nur … egal!“ Dionysos wurde rot. Er spürte, dass Sophia ihn eindringlich ansah und er versuchte ihrem Blick aus dem Weg zu gehen.
„Du bist Dionysos. Ich kenne dich“, sagte sie leise. „Ich hab dich schon ein paar Mal vor Apollon’s Haus gesehen. Unseres ist direkt daneben.“
„Ah … ok.“ Immer noch vermied er es sie anzusehen.
Apollon stand auf. „Also, dann lass uns nach unten gehen und weiter machen. Wenn du uns hilfst schaffen wir es vielleicht sogar noch heute fertig zu werden.“
„Au ja!“, rief sie freudig heraus und sprang galant von dem morschen Hochstand hinunter.
Dionysos sah den Bewegungen ihrer Glieder und dem Wehen ihrer Haare zu. Völlig hingerissen von ihrer neuen Begleiterin wäre er fast von der Leiter gefallen.
Doch mit Sophias Eintreffen schien sich der Bauprozess eher zu verlangsamen. Apollon begann ihr zuerst den kompletten Plan in all seinen Einzelheiten zu erklären und war danach mehr daran interessiert, ihr für jeden noch bevorstehenden Arbeitsschritt das nötige Know-How mitzugeben als selbst weiterzuarbeiten.
Dionysos verbrachte ebenfalls mehr Zeit damit Sophia zu beäugen. Er versuchte zwar den Rest des Dachs zu befestigen, doch irgendwie schien ihm nichts mehr zu gelingen. Seine Bewegungen kamen ihm ungelenk und tölpelhaft vor; ständig ließ er den Hammer fallen und sah zu ihr und Apollon, ob sie seine Dummheit bemerkt hatten.
Gegen vier Uhr begann es zu regnen und die drei packten ihre Sachen zusammen. Das Dach stand, doch klafften noch große Lücken in den Außenwänden. Sie würden noch mindestens einen weiteren Tag brauchen.
Dionysos stand nur ein paar Zentimeter hinter Sophia als sie von ihrer Hütte hinabstiegen. In seine Nase stieg ein angenehmer, noch nie zuvor wahrgenommener Duft. „Waren es frische Blumen, die sie in ihrem Haar versteckt hatte?“, fragte er sich später.
VI
Als Dionysos am Tag darauf erwachte, regnete es in Strömen. Am Baumhaus würden sie heute nicht weiterbauen können und so würde er auch Sophia wahrscheinlich nicht zu sehen bekommen. Den ganzen Morgen lag er im Bett und dachte an den süßen Blumenduft, der ihn noch ein paar Stunden zuvor umwitterte. Nie gesehene Bilder und nie gehörte Melodien machten sich in seiner Seele breit; begleitet von einem seltsamen Gefühl in der Magengegend, dass er nicht einordnen konnte. Er wusste nur, dass es auf seltsame Weise mit diesem Duft zusammenhing. Mit seiner Gitarre konnte er sich nicht ablenken. Nach ein paar müden Akkorden stellte er sie in den Ständer zurück, doch dabei sprang eine merkwürdige Begebenheit aus seinem Gedächtnis hervor, die sich einige Jahre früher ereignet hatte.
Es war ein grauer, nasser Morgen wie dieser. Xenia rief ihn zum Frühstück und offenbarte ihm, dass sie heute mit allen zusammen einkaufen gehen würde.
Dionysos stöhnte während er gleichzeitig versuchte, das Brüllen seiner beiden Schwestern zu ignorieren. Die Familie war damals gerade auf fünf Mitglieder angewachsen. Eirene, die jüngste, noch fast ein Säugling, schrie nach frischen Windeln und Thalia nach mehr Kakao.
Dionysos konnte es nicht ausstehen einkaufen zu gehen. Es hätte ihm nicht so viel ausgemacht, wenn alles in einem kleinen Laden um die Ecke innerhalb von 20 – 30 Minuten hätte erledigt werden können. Aber solch einen Laden gab es in Delphi nicht und sie mussten ins zwölf Kilometer entfernte Tartaros fahren.
Die Hektik der Stadt machte ihm am meisten zu schaffen. Alles war voll mit Menschen, von denen ein jeder den Anschein machte, er würde gerade etwas verpassen. Man lief, rannte und eilte wild durcheinander während man andere anstieß und wieder andere einen anrempelten. Es musste alles schnell gehen: Beim Parken, Bezahlen, Preise vergleichen usw., usf.
Für Dionysos war dieses ganze Schauspiel ein großes, apokalyptisches Rennen ohne Ziel. Etwas, dem man sich eben anpassen musste wenn man in den Straßen sein Glück finden wollte. Oder etwa nicht?
Er nahm nicht einmal die neuen Hosen und die Schuhe wahr, die Xenia für ihn kaufte. „Ist gut“, war seine Antwort auf alle Kleidungsstücke die sie ihm zeigte. Bis zum späten Nachmittag stand er teilnahmslos neben seiner Mutter und Thalia, die scheinbar gar nicht genug Klamotten anprobieren konnten.
Nachdem die drei – Eirene blieb derweil bei ihrer Großmutter in Delphi – jedoch vor einem Musikgeschäft Halt gemacht hatten in dem gerade ein erfahrener Schlagzeuger sein Können zum Besten gab, änderte sich Dionysos’ Laune schlagartig.
Eine kleine Menschenmenge von vielleicht 15 Leuten hatte sich um das Schaufenster des Geschäfts versammelt und alle lauschten den schnellen Samba-Rhythmen.
Es war ein älterer Mann, vielleicht Anfang 60, der hinter den Trommeln saß und aussah, als hätte er nie im Leben etwas anderes getan als Schlagzeug gespielt. Seine Augen waren geschlossen. Der Mund zu einer seltsamen Grimasse verzogen die so gar nicht in den hektischen Stadtbetrieb passte. Sein Spiel schien ohne Überlegung direkt aus ihm heraus zu fließen.
Dionysos war perplex vor Ehrfurcht und Faszination. Er sah die anderen Menschen um ihn herum an. Alle hatten ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht, schienen aber seltsam peinlich berührt von den Grimassen des Schlagzeugers, die im Sekundentakt wechselten. Der Rhythmus ging auf Dionysos Beine über. Er hatte das Gefühl nur er verstünde wirklich, was im Moment in diesem Musiker vor sich ging. Alle anderen waren nur unbeteiligte Zuschauer, die niemals das Geheimnis entschlüsseln, niemals das Band verstehen würden, dass zwischen ihm und dem Mann geknüpft war. Ganz intuitiv begann er mit Kopf und rechtem Fuß mit zu wippen.
Xenia lächelte ihn an. „Wir wollen noch schnell rüber auf die andere Straßenseite in den Supermarkt und Milch holen. Wenn du magst, darfst du hier bleiben und zuhören bis wir wieder da sind.“
„… will ich!“
„Also gut. Aber sei brav lauf nicht weg.“
Sie gab ihrem Sohn noch einen Kuss auf die Wange den Dionysos jedoch gar nicht mehr wirklich spürte. Er hielt sich noch im Zaum bis seine Mutter außer Sichtweite war, dann begannen seine Bewegungen heftiger zu werden und sein ganzer Körper folgte den Trommeln.
Wie der Schlagzeuger schloss er die Augen. Er bewegte sich schnell nach vorne und nach hinten, nach rechts und links. Langsam entwickelte sich eine Art Tanz. Die anderen Zuschauer, die nun schon mehr auf Dionysos als auf den Schlagzeuger starrten, hatte er verdrängt und vergessen. Er nahm nicht einmal war, dass man ihn bereits auslachte. Wild sprang er im Takt umher, vergessend dass er in Tartaros war, dass seine Mutter ihn gleich sehen würde, dass es „sich nicht gehörte“, was er gerade tat, ja überhaupt, dass es einen Dionysos gab.
„Wo sind denn seine Eltern?“, fragte einer der Passanten.
„So wie der ausrastet liegen sie wahrscheinlich aufm Sofa und saufen. Hehe … trinken einen auf ihren Geldgeber … den Steuerzahler … hehe …“, antwortete ein anderer.
Eine füllige