Der gefesselte Dionysos. Patrik Knothe
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Читать онлайн книгу Der gefesselte Dionysos - Patrik Knothe страница 8
„WIE HEIßT DU?“, schrie der Alte nun völlig außer Kontrolle und Dionysos wurde an seinen Haaren hin und her geschüttelt. Wieder antwortete er nicht. Das dicke Gesicht vor ihm bekam nun endgültig psychopathische Züge: ein leerer Ausdruck fern aller Menschlichkeit lag in Orthos’ weit aufgerissenen, kalten Augen während seine Gesichtsfarbe mit jeder Sekunde dunkler wurde.
Mit seiner freien Hand holte er weit aus. Er ließ sie auf Dionysos’ linke Gesichtshälfte knallen und schmiss ihn zurück in das Gebüsch aus dem er ihn gezogen hatte.
Schwer schnaufend hob er zuerst den mit Schweiß- und Ölflecken beschmutzten grünen Anglerhut und dann die Türe für das Baumhaus auf. Er sah sich um und hielt dann inne, als würde er erst jetzt begreifen was er gerade getan hatte. Orthos war es nicht gewohnt, dass Kinder solchen Widerstand leisteten. Normalerweise rannten sie weg wenn sie ihn sahen. Spätestens wenn er einen von ihnen in die Hände bekam ging das Betteln und Flehen der kleinen Angsthasen los. Aber dieser hier war anders. Direkt in die Augen hatte er ihm gesehen ohne die leiseste Spur der Verängstigung.
Doch Orthos beschäftigte sich nur kurz mit diesem seltsamen Gedanken. Er hatte erreicht was er wollte und seine Miene wurde wieder steinern.
„So, das wird mein Feuerholz für heute Abend“, sagte er mit einem Blick auf die Tür. „Jeden Tag komm ich jetzt her und nehm’ ein bisschen was von der Hütte mit. Wenn ich noch einmal einen von euch hier seh’, geh ich sofort zur Polizei. Lasst euch das eine Lehre s…“, ein Hustenanfall unterbrach ihn. Nach einigen Sekunden zog er den Rotz aus den Tiefen seiner Kehle und spuckte ihn genüsslich auf den Boden. Mit einem verächtlichen, drohenden Blick auf Sophia und den immer noch am Boden liegenden Apollon verabschiedete er sich und ging hustend aber gemächlich zurück Richtung Delphi.
Langsam begann Sophia ihre Glieder wieder zu spüren. Die Zeit schien still zu stehen. Der ganze Moment hatte etwas surreales, als wäre das eben geschehene lediglich die Ausgeburt einer dunklen Phantasie. Sie blickte um sich, noch immer mit der Säge in der Hand. Apollon drehte sich mit einem gequälten Gesichtsausdruck auf den Bauch.
„Ist es schlimm?“, fragte sie ihn, ging jedoch schon Richtung Dionysos der noch immer im Gebüsch verborgen war.
„Es geht. Vielleicht eine Rippe gebrochen.“ Hier muss ich anmerken, dass seine Rippen alle in bestem Zustand waren. Der Leser kann sich denken warum Apollon so geantwortet hat.
„Der will zur Polizei gehen? Was für ein Monster! Unsere schöne Türe. Und jetzt will er unser ganzes Baumhaus verbrennen. Wir gehen sofort zur Polizei. Und zu unseren Eltern.“
„Nein, das werden wir nicht!“, kam eine Stimme aus dem Gebüsch. Ein Blätterrauschen und Stöhnen war zu hören und Dionysos stand wieder vor ihnen. Seine linke Gesichtshälfte war blutüberströmt und begann bereits dick anzuschwellen. Er hinkte zu Apollon und ließ sich neben ihm ins Gras fallen.
Sophia rannte an seine Seite und Dionysos sah ihr in die Augen. Es war das erste Mal, dass er sie anblickte und nicht nervös wurde. Ihre Schönheit und die Wärme ihrer Augen ließen ihn seine Wunden sofort vergessen. Er lächelte. „Alles ok. Ich bin nur umgeknickt.“
„Und was ist mit deinem Gesicht? Du musst zum Arzt.“
„Sieht schlimmer aus als es ist. Tut fast gar nicht weh. Ich wasch nachher alles aus und lege ein bisschen Eis darauf.“
Apollon sah seinen Freund entgeistert an. „Hallo? Wieso sollen wir nicht zur Polizei oder unseren Eltern gehen? Das ist Körperverletzung was der macht. Wie kann man nur so mies sein!? Wir müssen was gegen ihn unternehmen.“
Dionysos schaute in den Himmel. „Richtig. Wir müssen etwas gegen den unternehmen aber nicht unsere Eltern oder die Polizei. Und ich glaube ich weiß auch schon was …“
VIII
Dionysos machte ein Geheimnis aus seinem ‚was‘. Weder mit Apollon noch mit Sophia oder sonst wem sprach er darüber, nachdem er all seine Überzeugungskünste aufbringen musste seine Freunde davon zu überzeugen, die Geschichte, die sich an ihrem Baumhaus zugetragen hatte, vorerst niemandem zu erzählen. Er wolle warten „bis zur Zusammenkunft“.
Zusammenkunft ist vielleicht eine übertriebene Bezeichnung für ein Treffen von ein paar Kindern und Jugendlichen in Delphi, doch mir erschien es hier wichtig Dionysos eigenen Wortlaut wiederzugeben. Denn wir nähern uns einem wichtigen Punkt in seiner Geschichte, den manche auch als die Wende vom „Sonderling“, zum „Wahnsinnigen“ bezeichnen.
Meine Absichten sind nichts dergleichen aber dennoch kann nicht abgestritten werden, dass nun ein Teil seines Wesens zum Vorschein kam der zuvor für den weniger aufmerksamen Betrachter gewiss im Verborgenen lag.
Dionysos ließ seine vor Neugier und, in Apollons Fall, Missmut brennenden Freunde wissen, dass sie sich am Freitag Nachmittag um 15 Uhr im Stadion von Delphi einzufinden hatten. Es würden noch mehr Leute kommen und jeder solle ein Spielzeug mitbringen das nicht mehr gebraucht wurde.
Xenia glaubte ihrem Sohn nicht als er ihr erzählte, er sei vom Baumhaus gefallen und hätte deswegen ein so zerstörtes Gesicht. Nicht aufgrund der Verletzungen sondern an der Art wie er die Geschichte erzählte. Sie versuchte ihren Sohn im Auge zu behalten, doch der schien nur noch mehr Zeit außerhalb seines Zuhauses zu verbringen. Völlig beunruhigt rief sie bei Apollon’s Mutter Leto an die ihr dieselbe Version des Unfallhergangs berichtete. Xenias Misstrauen wuchs jedoch nur noch weiter denn Apollon war zu Hause und lernte. Wo war dann ihr Sohn? Was tat er? Und mit wem verkehrte er?
„Wo bist du gewesen?“, überfiel sie ihn, kaum dass die Tür ihres Hauses ins Schoss gefallen war.
„Unterwegs, Mama.“ Er sagte dies jedoch nicht in gestresstem Ton und abgewandten Blick, wie es häufig in solchen Situationen vorkommt, sondern sanft und seiner Mutter direkt in die Augen schauend. Sie konnte nicht hart bleiben, lief auf ihn zu und nahm ihn in dem Arm.
„Ist wirklich alles gut bei dir, mein Kind?“ Sie wollte ihn nicht mit dem Vorwurf der Lüge konfrontieren; ihn nicht bloßstellen. Manchmal, das wusste sie, war es notwendig zu lügen um nicht zu verletzen.
„Ich hab bei Leto angerufen. Da warst du nicht. Was hast du gemacht?“
„Ich war allein spazieren und dann ein paar Klassenkameraden besuchen. Es ist alles ok bei mir.“
„Wieso gehst du allein spazieren?“
„Ich mag die Natur … bin gerne alleine mit ihr …“
Xenia konnte es sich nicht verkneifen bei einigen seiner Schulkameraden anzurufen. Tatsächlich erzählte so mancher, Dionysos sei da gewesen. Hatte er vielleicht wirklich die Wahrheit gesagt?
Einen Teil davon bestimmt.
An besagtem Freitag um zwanzig Minuten vor drei – der Vorfall am Baumhaus war schon fast eine Woche her – läutete die Klingel in Petros’ und Xenias Haus.
Dionysos hörte die Stimme seines Vaters. „Junge, komm runter. Besuch für dich.“
Wer konnte das sein? Jetzt durfte nichts mehr dazwischen kommen. Es war alles perfekt ausgearbeitet. Sein Herz machte einen Hüpfer als er sah wer in der Tür stand.
Sophia mit einer