Der Actinidische Götze. Matthias Falke

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Der Actinidische Götze - Matthias Falke

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zurückzudrängen.

      »Er schien mir«, sagte Jennifer mit einer Stimme, die bis an die unterste Grenze der Hörbarkeit gesenkt war, »er schien mir verändert.«

      »Was sagst du da, mein Kind?«, fragte Tsen, dem es nicht gelang, alle Anzeichen der Beunruhigung aus seinen Worten zu verbannen.

      Ich ahnte, was für eine Bedeutung dieser Gegenstand in der Wertschätzung dieses Ordens haben musste, wenn allein ihn im Tonfall des Verdachtes anzusprechen, eine solche Erschütterung bewirkte.

      »Er schien mir«, Jennifer suchte nach dem rechten Ausdruck, »so getrübt. Irgendwie glanzlos.«

      Mir wäre beinahe herausgerutscht, dass ich den Götzen über alle Maßen strahlend und farbenprächtig wahrgenommen hatte, und dass der Eindruck des Fahlen von der Sonnenfinsternis herrührte. Aber das Gu Tsechu-Fest würde immer auf ein solches Ereignis gelegt werden.

      Wie beiläufig hatte sie sich in Bewegung gesetzt, um zu dem schwarzen Schrein hinüberzugehen. Keine zehn Schritte trennten uns von dem goldbeschlagenen Kasten auf seinem Postament aus gelber Seide.

      Die vier Mönche, die die Tür bewachten, standen stramm. Zwei von ihnen präsentierten die silbergeschmückten Hellebarden, deren Spitzen bedrohlich aufleuchteten. Tsen gab ihnen ein Zeichen ihre Position beizubehalten. Dann beeilte er sich, Jennifer zu überholen und sich zwischen ihr und dem Schrein aufzubauen.

      »Was haben Sie vor, mein Kind?«, fragte er schnarrend. »Ihnen ist klar, dass der Götze nicht vor dem nächsten turnusgemäßen Anlass wieder enthüllt werden wird.«

      Er stand jetzt unmittelbar vor dem Kultgegenstand und stieß mit dem Rücken an den mit gelber Seide verkleideten Unterbau. Aus zusammengekniffenen Augen funkelte er Jennifer herausfordernd an.

      »Keine Macht des bekannten Universums wird das Behältnis des Actinidischen Götzen vor dem kommenden Gu Tsechu-Fest öffnen«, zischte er. »Es sei denn, über meine Leiche.«

      Jennifer begriff, dass sie sich zu weit vorgewagt hatte. Sie trat wieder einen Schritt zurück und hob begütigend die Hände.

      »Das weiß ich, Ehrwürdiger Lama«, sagte sie und legte ihren ganzen Charme in ein gewinnendes Lächeln.

      Tsen hatte abwehrend die Hände vorgestreckt. Jetzt ließ er sie langsam sinken, nicht ohne ein leises Schulterzucken anzudeuten. Anhaltendes Misstrauen und Irritation kämpften in ihm. Da er einen Kopf kleiner war als Jennifer, konnte sie über ihn hinweg den Schrein mustern. Ich sah, wie ihr konzentrierter Blick die Schatulle scannte, und es war jetzt auch wieder der gefasste, scharfe und präzise Blick der Wissenschaftlerin, den sie auf den schwarzen Gegenstand heftete, nicht der verschwommene Brei, den sie während der gestrigen Zeremonie anstelle des Gesichts getragen hatte.

      »Zum Beispiel die Beschläge ...«, dachte sie laut nach. »Findet Ihr nicht, dass sie ein wenig angelaufen wirken?«

      Tsen hielt sie mit der rechten Hand auf eifersüchtiger Distanz, während er sich behutsam umwandte und die goldenen Beschläge des Schreins zu betrachten vorgab.

      »Sie wurden vor dem Fest poliert«, stieß er hervor.

      Ein unwilliger Ruck ging durch ihn. Ich erwartete unwillkürlich, dass er wie ein trotziges Kind aufstampfen würde, als er quengelnd ausrief:

      »Liebste Jennifer, ich verstehe wirklich nicht, worauf Sie ...«

      »Umso merkwürdiger«, fiel sie ihm ins Wort, »dass sie schon wieder schwarz und trübe sind!«

      Wir erstarrten. In einem unbedachten Moment ließ ich mich von Neugierde hinreißen und ging jetzt meinerseits näher an den schwarzen Schrein heran. Die beiden Mönche, die mit übermannshohen Hellebarden bewaffnet waren, marschierten quer durch den Raum auf uns zu. Ihre Gesichter waren steinerne Abbilder der Entschlossenheit, Kriegerfratzen, wie sie bei den Maskentänzen Verwendung fanden. Sie ließen jedenfalls keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie nicht zögern würden, uns und sogar den Lama in der Luft zu zerfetzen, wenn wir Anstalten machen sollten, den Götzen aus dem Behältnis zu nehmen.

      Jennifer hob die Hände und verschränkte sie dann demonstrativ hinter dem Rücken.

      »Vertrauen Sie mir«, sagte sie. Dabei wandte sie sich ausschließlich an den alten Lama und würdigte die beiden Männer, die nun unmittelbar neben ihr standen, keines Blickes.

      Ich sah, dass Tsen am ganzen Körper zitterte und dass ihm der Schweiß auf die Stirne trat. Bei einem Großmeister des Prana Bindu hatte diese Beobachtung eine alarmierende Aussagekraft. Jennifer hatte sich sehr weit vorgewagt. Sie rührte hier an ein Tabu, bei dem alle Argumente und alles Zureden gegenstandslos wurden. Aber was beabsichtigte sie überhaupt?

      »Großer Vater«, wiederholte sie. »Ich garantiere Euch, dass ich den Götzen nicht anrühren und den Schrein nicht öffnen werde. Aber erlaubt mir, von den Beschlägen eine Probe zu nehmen.«

      Alle vier Mönche stießen ein dumpfes Murmeln aus, das nicht freundschaftlich klang. Tsen Resiq atmete hörbar durch. Ich wusste ja, auf was es hinauslaufen würde, aber auch er schien Jennifer gut genug zu kennen, obwohl er sie nur einige Monate lang unterrichtet hatte und obwohl das zwanzig Jahre zurücklag, um zu wissen, dass er sie anders nicht loswerden würde, als indem er ihr nachgab.

      »Liebe Jennifer«, sagte er. »Dieser Schrein birgt das Heiligste, das unsere Religion besitzt. Und bei allem Respekt vor Ihrer Wissenschaft hätte ich kein gutes Gefühl, wenn Sie mit Ihrem Instrumentarium auch nur an die äußere Hülle dieses Objektes der Verehrung herangehen würden. Proben nehmen, analysieren, auswerten ... - Sie sind tief genug in unseren Glauben eingedrungen, um zu wissen, dass schon ein solcher Gedanke, eine solche Absicht diesen Ort entweiht. Es wäre, als würden sie mich bei lebendigem Leib sezieren, mein schlagendes Herz in der Hand halten und mit ungeschütztem Blick betrachten.«

      Jennifer lächelte und schwieg.

      Der Alte breitete die Arme aus und trat einen Schritt nach vorne, um uns weiter von der Schatulle wegzudrängen.

      »Die Beschläge sind schwarz«, sagte Jennifer leise, als spreche sie mit sich selbst. »Der ganze Schrein ...«

      »Er besteht aus Obsidianholz«, fiel Tsen ihr ins Wort. »Dem härtesten und dunkelsten Holz von Musan. Es verschluckt alles Licht. Keine Politur kann es zu eitlem Glanz verleiten.«

      »Aber seht es Euch doch an«, insistierte Jennifer. »Die Fugen, die Ecken und Kanten.«

      Tsen dachte gar nicht daran, sich den Schrein näher zu besehen. Er hätte ihr dazu den Rücken kehren müssen. Stattdessen versuchte er uns weiter abzudrängen.

      Plötzlich wand sich Jennifer an ihm vorbei, schnellte vor und baute sich vor dem schwarzen Kasten auf.

      »Seht doch«, sagte sie, während sie mit dem Zeigefinger der rechten Hand prüfend über eine Kante und einen Eckbeschlag der Schatulle fuhr. »Hier! Und diese Nieten.«

      Die Mönche stürmten vor, die Hellebarden im Anschlag. Tsen konnte sie nur zurückhalten, indem er seinerseits herumwirbelte und Jennifers Hand wegschlug.

      Als habe sie sich zu einer unbesonnenen Handlung hinreißen lassen, kehrte sie an meine Seite zurück.

      »Entschuldigen Sie mich«, säuselte sie und setzte ihr unschuldigstes Lächeln auf. »Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.«

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