Die Hanf-Medizin. Tanja Bagar
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Viele andere Forschungsgruppen begannen, die Endocannabinoide und das Endocannabinoid-System (ECS) zu untersuchen. Heute finden wir über 100.000 Publikationen über Hanf, Cannabis, Cannabinoide und das ECS. Die Faszination und intensive Erforschung der Inhaltsstoffe dieser Pflanze half uns, mehr über uns selbst und die Funktionsweise unseres Körpers zu erfahren. Interessanterweise hat auch die Pharmaindustrie die Potenziale der Cannabinoide erkannt, und einige Unternehmen haben Medikamente entwickelt, die bereits auf dem Markt sind:
1981 wurde das synthetische Analog von Δ9-THC Nabilone (Cesamet; Valeant Pharmaceuticals North America) als Medikament gegen Übelkeit und Erbrechen im Zusammenhang mit Chemotherapie zugelassen.
1985 wurde das synthetische Δ9-THC Dronabinol (Marinol; Solvay Pharmaceuticals, Inc.) als Vorbeugung und Behandlung von Übelkeit und Erbrechen unterschiedlicher Ursache und 1992 als Appetitstimulans zugelassen.
2005 wurde Sativex (Naviximole; GWPharma) zugelassen, das sowohl Δ9-THC als auch CBD enthält; es wurde erstmals in Kanada zur Schmerzlinderung bei Patienten mit Multipler Sklerose und fortgeschrittenem Krebs zugelassen und anschließend als Medikament zur Linderung der durch Multiple Sklerose verursachten Spastik.
2018 pflanzliches Cannabidiol (Epidiolex, GW Pharmaceuticals) zur Behandlung von Anfällen im Zusammenhang mit dem Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS) oder dem Dravet-Syndrom bei Patienten ab zwei Jahren.
Doch es gibt auch Negatives zu melden. So ein Beispiel war Rimonabant, ein synthetisches Cannabinoid, das sich fix an den Cannabinoid-Rezeptor1 (CB1) bindet, den Rezeptor aber blockiert. Man dachte, da THC ein Aktivator von CB1 ist und Heißhunger verursacht, sollte ein CB1-Blocker den Appetit mindern. 2006 war das Medikament verschreibungspflichtig zum Abnehmen genehmigt. Die Patienten nahmen zwar ab, aber schon nach ein paar Jahren hatten viele starke Nebenwirkungen wie Depressionen und Psychosen, die auch zu Selbstmord führten. Deswegen wurde es bereits 2008 wieder vom Markt genommen.
Ein weiteres Beispiel: Es ging um eine Studie betreffend die Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH), die für den Abbau von Anandamid, dem körpereigenen Cannabinoid, zuständig ist. Die Hemmung des Enzyms könnte psychischen Erkrankungen entgegenwirken. Nach Tests an Tieren wurde mit Studien am Menschen begonnen. Einer der ersten Probanden, der im Januar 2016 behandelt wurde, erlitt ein tödliches Hirnödem. Weitere vier Teilnehmer der Studie mussten wegen neurologischer Symptome im Krankenhaus behandelt werden.
Daraus ist zu sehen, dass wir bei einem derart vitalen System wie dem Endocannabinod-System nicht einfach Teile chemisch blockieren dürfen, ohne mit Nebenwirkungen rechnen zu müssen.
2.
Warum unser Körper Cannabinoide selbst herstellt
Eine funktionierende Einheit: Der menschliche Organismus besteht aus 36 Milliarden Zellen, aber auch aus zehn Mal so vielen Mikroben. Wie geht das? Ein Erklärungsversuch.
Die Bausteine des Lebens
Der menschliche Körper ist aus biochemischer Sicht kompliziert aufgebaut. Wenn wir die Zelle als grundlegende Einheit des Lebens genauer betrachten, so erkennen wir, dass die Biochemie bereits auf dieser Ebene ziemlich komplex ist. Wir können uns eine Zelle als einen ganz kleinen Ball vorstellen, aber sie ist nicht nur ein einfacher Baustein – statisch wie Ziegel in einer Mauer. Denn in jeder einzelnen Zelle finden zu gewissen Zeiten 10.000 bis 15.000 biochemische Reaktionen statt, die koordiniert und streng geregelt ablaufen. Jede Zelle speichert in ihrem Kern auch alle Gene und Informationen, die zur Bildung des ganzen Körpers notwendig sind. Und dann sind da noch die verschiedenen Zelltypen, die ganz spezifische Funktionen haben. So hat eine Leberzelle andere Funktionen als eine Nervenzelle, weshalb sie unter einem Mikroskop auch vollkommen unterschiedlich aussehen.
Die Zellstruktur
Die Zelle – eine Plaudertasche
Obwohl eine Blutzelle und eine Muskelzelle eine unterschiedliche Struktur und Form haben, sind sich alle Zellen in ihrer grundlegenden Biochemie sehr ähnlich und agieren stets als Teil eines größeren Ganzen. Deswegen ist es für eine einzige Zelle sehr wichtig, mit anderen Zellen ihrer Umgebung zu kommunizieren: Sie erkennt, was um sie herum vorgeht, was die Nachbarzelle tut und reagiert auf deren Signale. Biochemisch betrachtet, ist eine einzelne Zelle keine individuelle Lebenseinheit, sondern ein Teil eines Gewebes, eines Organs oder eines physiologischen Systems. Damit eine Zelle als Teil eines Gesamtsystems fungieren kann, muss sie unbedingt Botschaften senden und empfangen können. Vermenschlicht ausgedrückt: Sie muss eine Plaudertasche sein, die auch gut zuhören kann.
Eine Zelle wird durch eine Membran, eine Lipiddoppelschicht mit eingebetteten Proteinen, von ihrer Umgebung getrennt. Die Membrane ist nicht rigid, sondern fluid und flexibel, und obwohl sie die Zelle eigentlich von der Umgebung trennt, ermöglicht sie zugleich auch die Kommunikation. Und da gibt es viel zu erzählen. Die Zellen senden und empfangen hunderte von Nachrichten in Form von chemischen Signalmolekülen. Diese Moleküle dringen bis zur Membran vor, während die inliegenden Proteine als Empfänger (Rezeptoren) dienen.
Zellmembran mit Lipiddoppelschicht und Rezeptoren
Das innere Geplauder
Nicht alle Zellen können eine bestimmte chemische Nachricht »hören«. Um ein Signal zu erkennen, muss eine Zelle den richtigen Empfänger für dieses Signal haben. Wenn ein Signalmolekül sich an einen Rezeptor bindet, führt das zu Veränderungen im Inneren der Zelle. Das bedeutet, die Zelle hat die Nachricht gehört und wird sich ihr anpassen. Ähnlich der Entscheidung, einen Regenschirm mitzunehmen, wenn wir die Nachricht hören, dass es im Lauf des Tages regnen wird.
Ein Signalmolekül und ein Rezeptor erkennen einander anhand einer einzigartigen 3D-Molekülstruktur – ähnlich einer Schlüssel-Schloss-Funktionsweise. Falls alles passt, öffnen sich die Türen und eine Veränderung in der Zelle kann beginnen. Wenn nicht, geschieht gar nichts. Wenn ein Signalmolekül und ein Rezeptor übereinstimmen, findet eine Kaskade von Reaktionen in der Zelle statt, die letztendlich zu einer Modifikation führt z.B. zu Zellteilung, Apoptose (Form des programmierten Zelltods) oder Autophagie, einem Prozess, mit dem Zellen eigene Bestandteile abbauen und verwerten. Durch diese Kommunikation können die Zellen nicht nur auf Veränderungen in der extrazellulären Umgebung reagieren, sich an diese Veränderungen anpassen und gedeihen, sondern auch Signale zwischen Zellen, Geweben, Organen und dem ganzen Körper austauschen.
Die Empfänger der Nachricht
Verschiedene Zelltypen haben viele unterschiedliche Rezeptoren. Es hängt davon ab, was für das Gewebe oder das betreffende Organ wichtig ist, welche Nachricht wesentlich ist. Zum Beispiel haben die Zellen der Bauchspeicheldrüse viele Rezeptoren für Zucker (Glukose), da die Funktion dieses Organs von der Konzentration