Der neue König von Mallorca. Jörg Mehrwald
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Am Nebentisch nahm man die eilige Bestellung aufmerksam zur Kenntnis. Ein stämmiger Junge aus dem Kohlenpott versuchte sie mit lauter Stimme zu provozieren: »Die sind ja am Verdursten. Ihr kommt wohl direkt aus der Wüste, was? Aus welcher Karawane seid ihr denn ausgebrochen?«
»Welches Kamel will das denn wissen?« Stefest fragte das fast beiläufig, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte. Das Kamel hieß Georg und verstand Spaß. Als die beiden Neuen ihr Pils in einem Zug hinunterschütteten und Stefest nochmal das Gleiche und eine Runde für den Tisch der »Wüstenkamele« bestellte, gingen Markus’ sämtliche Berührungsängste im Gelächter unter. Er selbst wäre nie in der Lage gewesen, eine dermaßen schnoddrige Antwort einfach so einem unbekannten Angetrunkenen an den Kopf zu schmeißen. Das Risiko einer gewalttätigen Auseinandersetzung war ihm immer zu groß. Rhetorisch war Müller zwar fit, aber seine Muskelmasse hätte nie ausgereicht, um in einer Schlägerei Akzente zu setzen. An so etwas hatte er nur einmal in seinem Leben teilgenommen und dabei die Bekanntschaft mit einem mehrfach vorgetragenen klassischen Leberhaken gemacht. Danach mied er Volksfeste oder sonstige Feierlichkeiten, auf denen sich Zahnärzte bereits die Patienten der nächsten Woche ansehen konnten. Stefest nutzte eine Atempause, um festzustellen: »Du hast hoffentlich deine erste Lektion gelernt?«
Markus nickte: »Nimm nie Werbezettel entgegen, bestelle jedes Bier doppelt und bleibe keinem eine Antwort schuldig.«
Stefest hob sein Glas: »Junge, mit diesem Motto kommt hier unten jeder Vertreter durch.« Die »Wüstensöhne«, wie Stefest nach dem fünften Bier nun versöhnlich die fröhliche Runde aus Bottrop nannte, stimmten zwischendurch mal einen kleinen Gesang an. Dabei schwangen sie ihre Mützen, die mit phantasiereichen Sprüchen zum Thema Alkohol bestickt waren. Stefest und Müller staunten nicht schlecht, als aus den Trinkerkehlen in sauberem Ton »Veronika, der Lenz ist da …« in der Version der Comedian Harmonists erklang. Nachdem Stefest die ganze Runde nach Lieblingsgetränken, Lieblingskneipen und Lieblingsfrauen abgefragt hatte, verließen die beiden Dienstreisenden die Stehtische inmitten der Bierstraße.
»Eins kapiere ich nicht: Was haben die Lieblingsfrauen mit den Lieblingskneipen zu tun?«, wollte Markus auf dem Heimweg wissen.
»Niemand wird gern ausgefragt. Damit wiege ich sie alle in Sicherheit. Frage immer mehr, als du wissen willst, damit weckst du kein Misstrauen«, antwortete Stefest.
»Aha.« Markus beließ es dabei und wehrte stattdessen den mittlerweile dritten Handzettelverteiler erfolgreich ab.
Sie kamen auch an dem alkoholisierten Papierkorb vom Hinweg vorbei. Markus ging vorsichtshalber etwas schneller. Gefahr war aber nicht im Verzuge, denn der gehorsame Trinker schlief im Sitzen vor einem Baum. Er hatte tatsächlich keinen einzigen Handzettel fallen lassen. Stefest schüttelte den Kopf und dachte: »Das arme Schwein ist bestimmt im öffentlichen Dienst.«
*
Zur gleichen Zeit sah sich Bertram Mollenhauer, von Statur klein und hager und irgendwie einem Windhund nicht ganz unähnlich, in seinem Lokal um. Er tat das nicht ganz freiwillig, denn für morgen früh hatte sich wieder ein Beamter von der Baupolizei angekündigt. Ein geplatztes Wasserrohr war vor drei Wochen zum Albtraum geworden. Seine Kneipe »Volles Rohr« – nomen est omen – war fast in jedem Raum schwer von den Wasserschäden gezeichnet. In den Räumen roch es nach Moder. Selbst nach einer Abfüllung mit billigstem Sangria waren die Touris nicht davon zu überzeugen, dass es sich um den edlen Duft andalusischen Weines handelte, der bereits seit 86 Jahren im Hause lagerte und auf den seit Jahren Sotheby’s spekulierte. Was Mollenhauer gerettet hätte, denn eigentlich stand er vor dem Ruin. Er nahm seine dicke Hornbrille ab und putzte die Fettschlieren weg. Nächste Woche würde er doch zum Friseur gehen müssen, um seine geliebte und lang gezüchtete Haartolle etwas kürzen zu lassen.
»Dein Geiz bringt uns nochmal um!«, rief seine Frau Margarita aus der Herrentoilette, wohin sie zuvor schimpfend mit einer Malerleiter verschwunden war. Dieser Vorwurf traf auf noch viel schlimmere Art und Weise zu, als sie es sich hätte vorstellen können. Mollenhauer war Händler aus Berufung. Feilschen konnte er wie kein Zweiter, was aber über die Jahre dazu führte, dass er schon fast krankhaft knickrig wurde, weil er eigentlich jede Ausgabe scheute. Freunde konnte er nicht verlieren, denn er hatte aus Kostengründen keine. Nun klebte ihm auch noch das Pech an den Hacken. Schlimm war der Rückzug seiner Gäste, die sich selbst im volltrunkenen Zustand in seinem »Vollen Rohr« nicht wohlfühlten. Zumal Mollenhauers Programm als Alleinunterhalter hauptsächlich aus mühsam gekrähten Schlagern bestand, die er als Kellner zum Besten gab. Techno und Pop-Schlager waren ihm komplett entgangen, und um so etwas wie Nostalgie zu vermitteln, fehlte ihm einfach die besondere Note, wie er gern seine Verspieler bezeichnete, wenn er auf der Pianotastatur danebengriff. Dadurch hielten sich Ausgaben und Einnahmen die Waage. Es blieb nichts übrig. Ein Zustand, den Mollenhauer hasste, insbesondere, weil er ihn selbst betraf. Noch viel schlimmer fielen allerdings zwei Tatsachen ins Gewicht, von denen Mollenhauers Frau überhaupt nichts ahnte. In seinem Geiz hatte er, obwohl er es seiner Margarita gegenüber behauptet hatte, für sein Lokal keine Versicherung abgeschlossen, die Schäden wässriger Art abdeckte. Und als wäre das nicht genug, kämpfte er auch noch mit den Folgen eines verhängnisvollen Abends.
Mollenhauer war beim Zocken in schlechte Gesellschaft geraten. Bis zu diesem Zeitpunkt verdiente er sich beim Pokern regelmäßig ein paar hundert Euro dazu. Sein Pokerface funktionierte beim Spielen so lange erfolgreich, wie er keine größeren Summen setzen musste. Bis vor zwei Wochen – jenem unheimlichen Abend, an dem drei Figuren das Hinterzimmer betraten und viel Geld auf den Tisch legten. Mollenhauer wurde das Opfer seiner Geldgier und seiner Angst, Geld zu verlieren. Er hätte natürlich nie mit diesen Typen spielen dürfen. Die Angst, womöglich seinen Einsatz zu verlieren, hatte ihn mental blockiert und zu verräterischen körperlichen Signalen geführt: Sein Deo hatte versagt, und er hatte geschwitzt bei einem schlechten Blatt. Das war sein Untergang. Nun stand er in der Schuld des »Kleinen Paten«, dessen Einfluss auf der Insel aber gar nicht klein war. Dieser ausgesprochene Verehrer italienischer Vorbilder sprach stets mit italienischem Akzent. Mollenhauer wusste, dass er diesem Mann nicht entkam. Morgen sollte er ihm 50 000 Euro zurückzahlen, die er nicht hatte und von denen er auch nicht wusste, woher er sie außer durch einen Banküberfall – bei dem ihn der Kassierer kurz vor der Geldübergabe garantiert nach seinem Namen gefragt hätte – bekommen sollte. Aus der Geschäftskasse bezahlte seine Frau den laufenden Betrieb, die vorhandenen Ersparnisse waren für die Rente fest angelegt und unerreichbar. Die Versicherung würde nie zahlen, weil es sie nicht gab, und der Spanier mit italienischem Akzent hörte sich zwar spaßig an, war aber auch schuld an einem schmerzhaften blauen kleinen Finger. Er hatte es »Warmklopfen, bevor es richtig losgeht« genannt.
Davon wusste seine resolute Gattin natürlich nichts. Margarita versuchte seit Stunden schon, mit Unmengen von Farbe und Geschick wenigstens einige ganz schlimme Ecken optisch herzurichten. Gerade als Mollenhauer auf die Toilette gehen wollte, kam ihm Margarita mit Farbtopf und Pinsel entgegen.
»Pinkel ja nicht die frische Farbe an, das gibt Blasen«, zeterte sie.
»Danke, mir ist es soeben vergangen.«
»Prostata, auch das noch«, dachte Margarita.
»Deine Pinselkünste werden nichts nützen«, gab Mollenhauer trotzig zurück. Mit seiner hageren Statur und den dicken Brillengläsern machte er nicht gerade eine respektable Figur neben seiner kräftig gebauten Gattin.
»Das Beste wäre immer noch ein schneller, guter Verkauf«, versuchte Mollenhauer die ihm bisher einzig denkbare Alternative ins Gespräch zu bringen, die ihn vor einem grausamen Tod oder einer Seebestattung in Zementschuhen retten konnte.
»Untersteh dich«, zischte Margarita, »dann steck’ ich dir diesen Pinsel abwechselnd zweitausendmal