Tierkommunikation mit Gänsehaut. Amelia Kinkade
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Читать онлайн книгу Tierkommunikation mit Gänsehaut - Amelia Kinkade страница 14
Die Tatsache, dass dieser scheue Tiger - der auf die Menschheit wütend war - von seinem Rückzugsort hoch oben auf der Bergkuppe heruntergerannt kam, als ich ihn rief, und der mir nun zu Füßen lag, war schon verzaubert genug, doch als ich ihn nun betrachtete, wurde mir so schwindlig, dass mir die Knie weich wurden. Er schien mich auf eine nie gekannte Weise in sich hineinziehen zu können, und ich befürchtete, dass mein Körper ganz verschwinden würde, wenn ich der Versuchung nachgab. Ich versuchte, das Gleichgewicht zu behalten und mich aus diesem interdimensionalen Strudel herauszuziehen.
Wir unterhielten uns über alltägliche Dinge und dass er sich ein größeres Gehege wünschte und sich nach einer Gefährtin sehnte. Als ich John diese Bitte vortrug, befürchtete er, dass dieser Tiger - seine gefährlichste und unvorhersehbarste Wildkatze - eine Artgenossin zerreißen würde. Corbett versprach mir jedoch, einer Partnerin kein Haar zu krümmen.
Ich konnte mich für Corbetts Leben und seine Würde einsetzen und seine Bedürfnisse John übermitteln, was ehrlich gesagt das größte Wunder war - nicht meine Übersetzung von Corbetts Wünschen, sondern die Tatsache, dass John darauf hörte. Mein Besuch wurde später im selben Jahr davon gekrönt, dass John Corbett eine Freundin und ein größeres Gehege verschaffte. Während ich dies niederschreibe, ist Corbett ein überaus glücklicher Tiger.
Diese Meister der Illusion sind die Zaubergeister des Universums, wie ich noch herausfinden würde. Während ich vor der Tigerin stand und wie in Trance dieses Gespräch aus einer anderen Welt mit ihr führte, mich in einem Strudel aus unbeschreiblicher Liebe drehte und mich in einer Matrix aus gefrorenem Licht auflöste, zerstörte das schrille Geschrei einer Touristin plötzlich den heiligen Zauber.
„Wo ist denn jetzt der Tiger?!“, kreischte eine schreckliche weibliche Stimme.
„Ich seh keinen!“, polterte eine männliche Stimme.
„Aber ich will den Tiiiger sehen!“, beharrte die blecherne Gänsestimme.
Auch wenn ich direkt vor der Tigerin stand und ganz schön in die Breite gegangen war, da ich auf dieser Tour zu viel gegessen hatte, war ich mit Sicherheit nicht dick genug, um den Blick einer gaffenden Touristin, die über meine Schulter lehnte, auf die riesengroße sibirische Tigerin zu versperren. Daher schickte ich diesen Gedanken an die Wildkatze: „Kannst du die Leute verschwinden lassen?“
Und dann geschah das Wunder. Plötzlich flackerte ein orangerotes Feuer auf. Atemlos und in den Augen der anderen versunken, vertieften wir beide uns noch tiefer in unseren hypnotischen Tagtraum. Außerhalb von Zeit und Raum versanken wir in Liebe. Wir befanden uns für alle Ewigkeit an einem Ort, an dem nichts und niemand sonst existierte. Die Tigerin zog mich immer tiefer in diesen leeren Raum hinein. Die nervige Stimme plapperte immer weiter: „Wo sind denn jetzt die Tiger? Gibt’s in diesem Gehege denn keine Tiger?“
Die Stimme tönte in meinem Ohr. Die Frau blickte direkt auf die Tigerin. Die Stimme des Mannes dröhnte in meinem anderen Ohr: „Ich seh auch keinen!“ Er schaute über meine andere Schulter direkt auf die Wildkatze. Schließlich stellte er fest: „Die scheinen sich zu verstecken. Ich kann hier keine Tiger sehen.“
Irgendwann schlurften die beiden wieder den Hügel hinter mir herunter. Die ganze Zeit über hatte ich der Tigerin vor mir in die Augen gesehen. Wir hatten uns in einer Zeitfalte verloren. Ich spürte, wie sich etwas ganz leicht veränderte, und holte tief Luft. Wir waren wieder da.
„Wir sind die ultimative Realität“, sagte sie.
„Was ist die Realität? Meinst du das Wesen des Tigers? Seid ihr das stärkste Wesen im ewigen Kosmos?“
„Wir sind die Stärke an sich. Kein Mensch kann Stärke zerstören. Er kann nur versuchen, uns zu überwältigen. Aber wir existieren. Wir werden immer existieren.“
„Hör zu! Ich versuche, ein Buch darüber zu schreiben, wie wir euch retten können, und muss gegen Wissenschaftler ankämpfen, die das hier alles für Quatsch halten! Was soll ich schreiben? Und alle meine Leser wollen euch retten, und ich weiß nicht, was ich ihnen sagen soll! Ich komme mir schon blöd genug vor, und jetzt lässt du mich auch noch wie einen Idioten aussehen? Ich kann ihnen doch nicht sagen, ihr würdet herumphilosophieren und interdimensionales Verstecken spielen! Ich möchte ein ernstzunehmendes Buch über Tierkommunikation schreiben und nicht die nächste Episode von Star Wars!“
„Du musst das große Ganze betrachten“, sagte sie. Plötzlich hatte ich eine Vision, wie Jesus aus dem Grab aufsteigt. Die Menschen töteten zwar seinen Körper, doch niemand konnte seinen Geist töten. Das Bewusstsein Jesu lässt sich nicht töten. Und offensichtlich lässt sich das Bewusstsein der Tiger auch nicht zerstören.
„Das kann ich den Menschen, die euch lieben, doch nicht erzählen! Wir alle wissen, dass ihr bald aussterben werdet. Und die wenigen Tiger, die noch übrig sind, leben schon in Käfigen!“
„Wenn ich es dir erklären würde, würdest du es trotzdem nicht verstehen. Ich bin nicht die Einzige, die in einem Käfig steckt, Amelia.“ Sie zeigte mir eine Szene aus meinem Leben in Los Angeles, wie ich mich durch den Betondschungel kämpfte, mich im Käfig eines kleinen metallenen Autos durch die Straßen quälte, während alle Fahrer in ihre Burgen - ihre überteuerten Häuser - zurückfuhren, die sie vor anderen Menschen schützten und die die Wildtiere völlig ausschlossen.
„Die Menschen sitzen in Käfigen“, sagte sie. „Sie bauen sich und anderen gerne Käfige.“
Wieder kam mir die Vision von Smog, Stahl, Luftverschmutzung, abgeholzten Wäldern. Sie führte zu einer zweiten, virtuellen Realität, in der die Menschen in ihren Smartphones und Fernsehern leben, statt draußen im Freien zusammen mit den Tieren, die sie brauchen.
„Wir sterben nicht aus, aber ihr“, sagte sie.
Daraufhin hatte ich die Vision, in der die Menschheit, wie wir sie kennen, ausstirbt, während sich ein paar hart arbeitende Menschen in etwas Schöneres, Höherentwickeltes verwandelten. Nicht alle Menschen werden die Verwandlung von der Raupe in den Schmetterling schaffen, doch viele von ihnen sind schon dabei. Auf der anderen Seite sind Tiger eine absolute Wahrheit der Schöpfung. Sie sind schon in jeder Hinsicht vollkommen. Daher müssen sie sich spirituell nicht mehr weiterentwickeln. Wir sind die kleinen Raupen, die die Verwandlung anstreben, die zu Schmetterlingen werden müssen.
Über diese Mysterien wollte ich auf meinem langen Rückweg zur Frühstückspension nachdenken. Also dankte ich der Tigerin, sang ihr noch ein letztes Liebeslied und blinzelte ihr zum Abschied zu. Doch als ich mich umdrehen wollte, sagte sie: „Geh auf die andere Seite des Geheges und schau durchs Fenster. Er wartet dort auf dich und will dir auf Wiedersehen sagen.“ Ich befolgte ihren Rat und ging den Hügel hinunter auf die andere Seite des Geheges. Bei seinem Anblick geriet ich vor Begeisterung ins Stolpern und wäre fast hingefallen. Am Fenster wartete ein riesiger sibirischer Tiger auf mich, der fast schon die Schnauze an die Glasscheibe drückte. Sein massiver Kopf füllte das ganze Fenster aus.
Dieser Tiger hatte eine ganz andere Persönlichkeit als die Tigerin, die mich fast bedrohlich angestarrt hatte. Er war ein unwiderstehliches,