Tierkommunikation mit Gänsehaut. Amelia Kinkade
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Plötzlich bewegte sie die rechte Hand und machte die Bewegung einer Katze nach, die ihre Krallen ausstreckt. Es funktionierte tatsächlich! Sie konnte mich hören! Ich beschloss, an ihrem Bein so weiterzumachen. Wie wild schrie ich sie an, krümmte den Rücken und beugte mich wie eine Tigerin, die sich gleich auf ihre Beute stürzt, über sie.
„Rue, das ist kein Bein! Das ist eine Pfote! Wir werden jetzt auf einen Baum klettern! Beuge die Knie und spring! Kletter auf den Baum, Rue! Los, spring schon! Geh in die Hocke, krümm den Rücken und spring! Stoß dich mit dem Bein ab, Tante Rue!“
Und dann kickte sie mit dem rechten Bein in die Luft! Es war nicht nur eine leichte Bewegung, sondern ein starkes, hohes Kicken! Es war das kräftige, hohe Kicken einer Cancan-Tänzerin, und es war ein Moment des Triumphes, den ich nie vergessen werde. Leider war sie noch bewusstlos, daher würde sie sich nie an diesen Augenblick erinnern können. Aber ich machte so weiter, denn jetzt wusste ich, dass sie mich trotzdem hören konnte!
Ich blieb die nächsten Stunden bei ihr und wiederholte immer wieder sehr bestimmt: „Rue, wenn sie dir den Schlauch aus dem Mund nehmen, wirst du perfekt reden! Du wirst perfekt sprechen! Deine Lippen werden sich perfekt bewegen! Deine rechte Seite wird perfekt funktionieren! Du wirst schreiben und Autogramme verteilen können, und du wirst so reden können, als sei nie was gewesen. Gott wird dich wieder vollkommen gesund machen!“
Ich verbrachte die ganze Nacht damit, ihr zu sagen, was sie erwartete, wenn sie am nächsten Morgen aufwachen würde, auch wenn sie mir kein weiteres Zeichen gab, dass sie mich hören konnte. Um sechs Uhr morgens schleppte ich mich zurück in meine deprimierende Wohnung in New Jersey und ließ mich mit meinem dunkelbraunen Perserkater Doc aufs Bett fallen. Dann brach ich zusammen und heulte in sein weiches Fell.
Als Rue am nächsten Morgen aufwachte, nahmen ihr die Ärzte den Schlauch aus dem Mund, und sie konnte sprechen. Sie hatte keinerlei Erinnerungen daran, dass ich in der Nacht davor in ihrem Zimmer gewesen war, doch sie konnte die rechte Hand und den rechten Fuß schon wieder ein wenig bewegen. Nun begann für uns beide eine unangenehme Zeit, in der sie dreiundachtzig Tage im Krankenhaus verbrachte, und ich bei Regen, Schnee und Graupelschauern zwischen dem eiskalten New Jersey und dem noblen Manhattan hin- und herpendelte, teure Taxifahrten nahm und um ein Licht am Ende des Tunnels betete. Doch sie lebte, und Gott hatte mein Gebet erhört.
Der Höhepunkt des Jahres war bittersüß. Eines Tages kam ich elend und erschöpft in ihrem Krankenzimmer an. Die Frau, die ihr ganzes Leben lang überzeugte Atheistin gewesen war, befahl mir, vor dem Jesusbild, das mittlerweile einen festen Platz in ihrem Zimmer hatte, hinzuknien und zu ihm zu beten. Als sie kurz vor Ostern in ihre wunderschöne Wohnung in Manhattan zurückkehren konnte, schmiss sie eine kleine Party für Freunde und Verwandte. Und obwohl sie noch zu schwach war, um mit mir an diesem Sonntag in die Kirche zu gehen, sprach sie vor dem Osteressen ein Tischgebet.
Ihre Tigerseele und ihr neu gefundener Glaube an Gott hatten ihr das Leben gerettet und ihre Gesundheit wiederhergestellt. Dennoch frage ich mich, ob sie in jener Nacht, in der ich sie im Koma vorgefunden hatte, womöglich gestorben wäre, wenn meine Engel mich nicht an ihr Krankenbett geführt hätten. Ein bisschen Liebe kann wahre Wunder bewirken. Und diese Geschichte eröffnet Ärzten, Krankenschwestern und Familienangehörigen einen ganzen Diskurs über Heilung. Wieder einmal geht es um meine Arbeit mit nonverbaler Kommunikation, wenn auch diesmal mit einem Menschen und nicht mit einem Tier, da ich die Sprache der Patientin sprach. Hätte im Krankenbett mein Vater, der Flugzeuge entwirft, gelegen, dann hätte ich ihm einen Modellflugzeugkasten mitgebracht und ihn gebeten, den Flieger zu basteln. Wäre es meine talentierte Mutter gewesen, die unter anderem Klavierspielerin auf Konzertniveau ist, hätte ich ein Keyboard mitgebracht und sie aufgefordert, das Menuett in G-Dur von Bach zu spielen. Wenn der Mensch, der Ihnen nahesteht, Golfspieler ist, könnten Sie ihn bitten, seinen besten Schlag zu zeigen, oder wenn die Person gerne tanzt, könnten Sie ihre Lieblingsmusik spielen und sie zu einem Walzer auffordern. Einem gelähmten kleinen Jungen, der Basketball spielt, würde ich einen Basketball mitbringen, ihm den Ball zuwerfen und ihn dazu bringen, mir den Ball zurückzuwerfen. Es geht darum, die Leidenschaft des Patienten in die Physiotherapie einzubinden, um einen Wendepunkt im Heilungsprozess zu bewirken. Wenn der Patient tierlieb ist, könnte der Ersatz für sein Haustier das Hineinschlüpfen in das Tier („Shapeshifting“) sein, indem wir uns die Kraft und den Geist des geliebten Tiers in einer Krise „ausleihen“. Wir können Erstaunliches erreichen, wenn wir so tun, als wären wir ein Hund oder ein Frosch, ein Elefant oder ein Tiger.
Natürlich gehöre ich zu den stärksten Befürwortern der von Tieren unterstützten Therapie, und ich weiß aus Erfahrung, dass lebendige Tiere im Krankenhaus Patienten trösten können und manchmal sogar Leben retten. Medizinische Querdenker, wie beispielsweise meine Freunde Dr. Bernie Siegel und Dr. Larry Dossey, haben schon anhand von zahlreichen Studien belegt, dass der Patient weniger Blut verliert, sich schneller wieder erholt und weniger Gefahr läuft, einen Schock zu erleiden, wenn sich ein Tier im Krankenzimmer befindet. Menschen mit Haustieren verbringen weniger Zeit im Krankenhaus, weil sie so schnell wie möglich zurück zu ihren Tieren wollen. Dürften sie ihre Haustiere mit ins Krankenzimmer nehmen, würde sich ihre Genesungszeit mit Sicherheit noch mehr verkürzen. Ihr Herz würde sich öffnen und der Körper würde heilen. Tiere können unseren Blutdruck, Herzschlag und unsere Gehirnwellen regulieren. Die wahren Meister dieser mysteriösen Prozesse sind Katzen. Doch da ich meinen Kater Doc nicht mit auf die Intensivstation bringen durfte, nahm ich stattdessen die Fotos der großen Katzen mit. Die Tiger schenkten Tante Rue noch weitere neun Monate mit mir und anderen geliebten Menschen. Aber die Menschen, die ihr nahestanden, konnten sie nicht retten. Es bedurfte der Tiger, sie zurück ins Leben zu holen.
Rue und ich verlebten einen verzauberten Frühling voller herzlicher Momente und intimer Gespräche. Das Laufen fiel ihr noch schwer, und deshalb setzten wir uns aufs Sofa, sahen uns Dokus des Senders National Geographic über Tiere, Wissenschaft, Natur und Außerirdische an und lachten natürlich auch über viele Comedyserien, bis sie einen zweiten Schlaganfall erlitt. In diesen letzten Monaten ihres Lebens bekam sie Panikanfälle, wenn sie sich hinlegte. Das Einzige, was sie dann zum Lachen brachte, war, wenn ich einen Frosch imitierte. Dafür hockte ich mich vor ihr auf einen Schemel, machte Glubschaugen und blies die Backen auf. Sie meinte: „Mimi, so sieht doch kein Frosch aus!“ Dann gab sie ihre eigene witzige Frosch-Imitation zum Besten, bei der ich mich vor Lachen bog. Ich streckte die Zunge heraus und tat so, als würde ich Fliegen fangen. Woraufhin sie in Gelächter ausbrach. Das ist es, an was ich mich erinnere - an unser schallendes Gelächter, als wir uns wieder einmal aus Spaß in Tiere verwandelten. Die Tiger hatten ihr den rettenden Anker hingeworfen, aber die Frösche brachten sie zum Lachen. Wenn ich meine Frosch-Imitationen ausgeschöpft hatte, tanzte ich ums Sofa herum, auf dem sie den ganzen Tag über saß und sich langweilte, weil sie kaum stehen oder gehen konnte. Dabei tat ich so, als wäre ich ein exotischer Fisch. Ich schlug mit den Flossen, sauste durchs Wasser und klappte den Mund so langsam wie ein Karpfen auf und zu. Ich glaube, der Frosch gefiel ihr besser.
Als sie den zweiten Schlaganfall hatte, war ich noch in Amerika und stand kurz vor meiner jährlichen Europareise. Meine Mutter und Rues beste Freundin Sue Vacarro waren nach New York geflogen. Zum Glück hatte meine Mutter eine Patientenvollmacht, doch dafür musste sie - gemeinsam mit Rues Sohn - entscheiden, wann feststand, dass sich Rue von dem Schlaganfall nie mehr erholen würde. Wir drei Frauen - meine Mutter, Sue und ich - hielten uns an den Händen, die wir über Rues Körper hielten. Wir weinten, beteten und nahmen von ihr Abschied. Ich rief die Erzengel herbei und entließ ihren Geist in das Licht und die Arme ihres Herrn Jesus Christus. Ob er mich wohl gehört hat? Ob sie mich wohl gehört hat? Ich glaube, sie beide haben mich gehört.
Bis zum heutigen Tag - selbst auf meinen jährlichen Afrika-Safaris - begleiten mich Froschwitze, Stofffrösche und sogar lebendige Frösche auf all meinen Wegen. Sie überraschen mich, bringen mich zum Lachen und erinnern mich daran, dass meine Lieblingstante mir von oben aus zusieht und meine Bemühungen,