Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich страница 3

Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich

Скачать книгу

Wichmann sah die »Frankfurter Zeitung« und die »Deutsche Allgemeine Zeitung«, die er sich selbst bestellt hatte, zerstreut durch und warf einen Blick auf den »Lokalanzeiger«, den die Geheimrätin ihm hatte dazulegen lassen. Die allgemeinen Verhältnisse interessierten ihn heute wenig. Sein Inneres war angefüllt mit persönlichen Erwartungen wie eine Flasche mit Wein; er mußte sich selbst kalt stellen, um für sich und seine Umgebung genießbar zu bleiben. Mit vorgetäuschter Gelassenheit ordnete er nochmals an seiner Kleidung und den wenigen persönlichen Gegenständen in dem großen Renaissance-Herrenzimmer des verstorbenen Herrn Geheimrats.

      Es blieb nichts mehr zu tun. Draußen verflog schon der Nebel in der Sonne.

      Noch einmal rückte die Hand an dem Hut – eine Aktenmappe war heute noch nicht nötig –, und der Doktor der Rechte ging auf die Tür zu. Die barocke Holzfigur des alten Heiligen in der Zimmerecke streckte ihm aus dem faltenreichen Gewand mahnend die drei übriggebliebenen Finger entgegen.

      Das Zimmer war verlassen, und die Schritte des Anwärters einer steilen Laufbahn hallten über das Pflaster.

      Vor dem in maßvollem Schritt Gehenden verließ ein dunkles Kabriolett die Straße in gleicher Richtung. Er hatte nicht darauf geachtet, woher es gekommen war. Glücklicherweise wurden weder hierüber noch über seine Wege durch den Park eidliche Zeugenaussagen von dem Assessor verlangt. Er hatte nichts wahrgenommen als lockererdige Reitwege, grüngelbes Licht und moorige Teiche, auf denen die Enten quakten.

      Der Park entließ ihn in die breite Residenzstraße, noch immer ein Bereich feudaler Vornehmheit, überdacht von alten Bäumen, geschändet von hupenden Autos. Wichmann bog zur Seite ab, und seine Nerven spannten sich schärfer. Der Platz tat sich auf, an dem neben dem alten Palais das mächtige Eckgebäude des Ministeriums stand.

      Die Masse des Sandsteins war von den Urgroßvätern mit Simsen und Friesen in zierlich-schlichte Gliederungen gezwungen worden. Verschobene Steine teilten die großen Wände. Zwischen Greifen und attischen Kriegern glänzten die Fensterscheiben. Das Schwebendverschleierte des Herbstlichts band jedoch alles wieder zu einer verschwimmenden, scheinbar schwerelosen Einheit, die in stiller Helle vor dem Beschauer stand, mehr eine Vision als Wirklichkeit.

      Über die gestrafften Nerven des Näherkommenden lief ein leichtes Prickeln und Zittern. Er wußte von den Entscheidungen, die bei ersten Begegnungen unwiderruflich fallen konnten, und seine Phantasie schuf sich Bilder unsichtbarer Mächte, die, dauernd und doch nicht ewig, schwer zerreißbare Garne um den einzelnen werfen. Es mochte sein, daß sich Hürden, die er im Sprunge nehmen wollte, auf einmal wie lebend erhoben und daß irgendein Schritt endgültig würde, ehe er es ahnte.

      Mit einer durch festen Entschluß verneinten Beklemmung trat Oskar Wichmann in das große Portal ein.

      Von den mehrfarbigen Steinfliesen hob sich die breite Freitreppe mit dem Purpurteppich vor seinen Augen ab, und wenn nicht die Gestalt des Pförtners Halt gebietend an seiner Seite aufgetaucht wäre, er hätte vielleicht selbst einen Augenblick gezögert, diese Stufen zu betreten.

      Der blaue Dienstrock und die weißen Schläfen verlangten Rechenschaft.

      Regierungsassessor Dr. Wichmann war für heute einberufen. Ministerialrat Dr. Grevenhagen erwartete ihn um neun Uhr.

      Die Augenbrauen, die auffallend dunkel in dem alten Pförtnergesicht standen, verzogen sich in einer Mischung von Achtung und Kritik. Herr Ministerialrat Dr. Grevenhagen war schon im Dienst, jawohl. Die jüngeren Herren seiner Abteilung pflegten aber den Nebeneingang in der Ottostraße zu benutzen. Wenn Herr Assessor Dr. Wichmann durchaus wünschte, so stand ihm der Fahrstuhl zur Verfügung. Links bitte zweiter Stock, Westflügel Abteilung III, Meldezimmer Nr. 436.

      Die Kräfte waren ausgeglichen. Der Mann im blauen Tuchrock hatte sein Heiligtum, die Marmortreppe, mit Würde verteidigt. Oskar Wichmann aber benutzte nicht den empfohlenen Eingang in der Ottostraße, sondern jene elektrifizierte Einrichtung, die sich neben den prunkenden Stufen bescheiden in die linke Ecke drückte.

      Der vornehme Fahrstuhlführer war für die Zigarette, die seine Bekanntschaft mit dem neuen Mitglied des Ministeriums enger gestaltete, durchaus dankbar. Er verließ im zweiten Stock sein erleuchtetes Gehäuse und geleitete den Novizen über graue Läufer an den Treppen vorbei in den Flügel des Hauses, der sich zur Ottostraße hin erstreckte. An jeder der Türen, die man passierte, standen Namen und Rang des Zimmerinsassen verzeichnet:

      Nr. 411, rechter Hand, mit der Front noch gegen den Königsplatz: eine Tür ohne Schild; Nr. 412, das folgende Zimmer: Dr. Grevenhagen, Ministerialrat.

      Der Führer ging noch einige Schritte weiter bis zu dem Meldezimmer Nr. 436. Im Hintergrund ordneten zwei Amtsgehilfen Briefe und Aktenlaufmappen. Der Fahrstuhlführer erklärte das Anliegen seines Schützlings.

      Die beiden Amtsgehilfen unterstrichen durch Fortsetzung ihrer ordnenden Tätigkeit zunächst deren Bedeutung. Als diesem Erfordernis Genüge getan war, begab sich der jüngere über den grauen Läufer zu jener hohen, hell gestrichenen Tür, an der Wichmann den Namen seines künftigen Vorgesetzten gelesen hatte. Wichmann beobachtete, wie der Bote nach kurzem Klopfen öffnete und in der halbgeöffneten Tür, die Klinke in der Hand, stehenblieb, um in das Zimmer hineinzusprechen. Dieses Verhalten ließ untrüglich darauf schließen, daß die mit dem Namen »Grevenhagen« versehene Tür Nr. 412 nur in das Vorzimmer leitete, während der Gewaltige selbst hinter der Tür ohne Namen für unerbetene Besucher unerreichbar blieb. Die Worte des Boten konnte der Wartende im Meldezimmer nicht verstehen, die Antwort, die er erhielt, nicht hören. Er geduldete sich, bis der Mann zurückkehrte.

      Ministerialrat Grevenhagen war zu einer Besprechung bei Boschhofer gerufen worden und ließ Herrn Assessor Dr. Wichmann bitten zu warten. Vielleicht zog der Herr Assessor es vor, in dem Zimmer Nr. 412 bei Fräulein du Prel Platz zu nehmen.

      Das Vorzimmer, in das Dr. Wichmann sich begab, war hell möbliert. Am Fenster stand ein Strauß bunter Zinnien in einer weißen Porzellanvase. Vor der Sekretärin Grevenhagens, Fräulein du Prel, machte Oskar Wichmann unwillkürlich eine tiefere Verbeugung, als er beabsichtigt hatte. Durch das Dunkel ihres schlichten Kleides und des glatt gescheitelten Haares schied sie sich auffallend von der lichten Umgebung. Der Unbeschäftigte sah ihren Händen zu, die über die Tasten der Schreibmaschine gingen. Das Klappern der Tasten unter dem leichten Anschlag und das Ticken der Wanduhr waren die einzigen Geräusche. Durch das halbgeöffnete Fenster kamen von draußen nur Licht und Stille; der große Platz vor dem amtlichen Gebäude lag leer.

      Die weißen Blätter raschelten kaum beim Auswechseln. Der Uhrzeiger rückte auf fünf Minuten nach neun.

      Am Kleiderständer hing nichts als der Hut des Regierungsassessors. Da Wichmann keine Aktenmappe bei sich trug, fiel es ihm schwer, seine Hände zweckmäßig zu gruppieren. Das schweigende Warten entnervte auch in kurzer Zeit.

      Der Assessor versuchte, seine Gedanken auf ein Ziel zu richten. Boschhofer … Ministerialrat Grevenhagen war »Zu Boschhofer gerufen« worden. Warum nicht zu Ministerialdirigent oder Ministerialdirektor oder Staatssekretär Boschhofer? Wenn der Mann dieses volltönenden Namens befugt war, Grevenhagen »rufen zu lassen«, so stand er höher im Rang als der Ministerialrat. Warum hatte der Amtsgehilfe, dem die Titel »Ministerialrat« und »Assessor Dr.« so flink von den Lippen schlüpften, den Titel des anderen nicht genannt? Einfache Leute machten sichere und begründete Unterscheidungen. Was war das für ein Mann, »Boschhofer?« Wirkte er sogar bei einem Amtsgehilfen durch seinen Namen schlechthin? Oder aberkannte ihm der Bote einen Rang, den er nicht berechtigt fand?

      Die Zinnien am Fenster waren mit viel Geschmack in einer Fülle der zarten Abschattierungen von dunklem Rot und Blau geordnet. Fräulein du Prel arbeitete, ohne aufzusehen. Wichmann hatte das Gefühl, daß ihre flinken,

Скачать книгу