Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
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»Ich gehe jetzt zu Fräulein Schmock«, sagte Wichmann.
»Ja, wagen Sie sich hinüber in das Krähennest. Einmal muß es doch sein.«
Wichmann studierte die Schilder an den Türen nördlich der langgestreckten Bücherei.
»A. Schmock.
S. Sauberzweig.«
Das waren offenbar die schreibenden Freundinnen. Auf in den Kampf … nur Mut!
Die beiden Vöglein im Nest, Anneliese und Silvia, zeigten sich noch sehr jung und unerwartet liebenswürdig. Zu ihrem Bedauern, großen Bedauern jedoch, mußte Anneliese Schmock den ganzen Nachmittag für Ministerialrat Nischan schreiben, und Silvia Sauberzweig hatte heute ab drei Uhr Dienstbefreiung. Der Zeiger der Uhr rückte eben auf diese Stunde.
Wichmann zog sich ärgerlich zurück und wandelte langsam über den grauen Teppich in Richtung seines eigenen Zimmers. Was jetzt? Kapitulieren kam nicht in Frage.
Inspektor Baier kam über den Gang und lief in Wichmanns Fangarme.
»Lieber Herr Assessor! Ich habe es Ihnen ja gleich gesagt. Sehen Sie, ich kann doch der kleinen Sauberzweig nicht einen bewilligten Urlaub wieder wegnehmen – ist es denn gar so eilig?«
»Sie werden doch nicht erwarten, daß ich den Nachmittag zwecklos hier herumsitze? Dann muß ich eben Herrn Ministerialrat Grevenhagen mitteilen, daß ich zwar mit der Arbeit fertig bin, daß aber keine der Damen …«
»Ach um Gottes willen, hören Sie auf, tun Sie das nicht. Bloß das nicht!«
Wichmann atmete hörbar zum Ausdruck seines Unwillens.
»Was hat denn die reizende Silvia Sauberzweig heute nachmittag vor?«
Das Gesicht des Inspektors veränderte sich auf nicht ganz durchschaubare Weise, und er rückte sehr nervös an der Brille, als ob er Wichmann damit ein Zeichen geben wolle. Seine Augenbrauen zogen sich hoch und wieder herunter.
Wichmann schärfte in dem Bemühen, den Grund für Baiers Verhalten zu erkennen, Gehör und Gesicht und wurde sich bewußt, daß ein Schritt näher kam, den er erst ein einziges Mal gehört hatte und doch schon wiedererkannte. »Ja, bitte, Herr Inspektor Baier, was hat Fräulein Sauberzweig vor?«
Die Frage war jetzt in einem sehr ruhigen, aber ganz andern Ton gestellt, als Wichmann ihn hätte wagen dürfen. Baier riß sich zusammen. »Sie besucht eine kranke Tante, Herr Ministerialrat.«
»Und was ist zu schreiben, Herr Dr. Wichmann?«
»Die Zusammenstellung, die Sie mir heute morgen in Auftrag gaben, Herr Ministerialrat.«
»Ah, sie ist schon zum Diktieren fertig? Sehr gut. Kommen Sie bitte mit.«
Grevenhagen ging voran in das Krähennest. Als er eintrat, fuhren die beiden Damen mit hochroten Köpfen auf, und die kleine Sauberzweig ließ in der Verwirrung den Hut fallen, den sie schon hatte aufsetzen wollen.
Grevenhagen trat mit einem schnellen Schritt herbei, hob den Hut auf und überreichte ihn dem nach Luft schnappenden Mädchen mit einer sehr höflichen Bewegung.
»Fräulein Sauberzweig, Sie haben heute nachmittag zwei Stunden Urlaub?«
»Herr Inspektor Baier …« Die aufgeregte Stimme versagte.
»Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie den Besuch bei Ihrer Tante um einen Tag verschieben könnten – Herr Assessor Wichmann hat eine wichtige Arbeit für mich zu diktieren. Ja? Ist es möglich?«
»Selbstverständlich, Herr Ministerialrat.«
»Gut. Vielen Dank.«
Grevenhagen grüßte, sich verabschiedend. Wichmann und Baier machten ihre Verbeugung, und die kleine Sauberzweig war nahe daran zu knicksen. Wichmann spürte, daß er selbst ebenso heiße Wangen hatte wie das niedliche Mädel, das jetzt schnell den Hut wieder im Schrank verschwinden ließ.
»Ich komme gleich zu Ihnen hinüber, Herr Assessor.« Wichmann und Baier zogen zusammen ab. Der ängstliche Pedant war tief erschüttert, und Assessor Wichmann ahnte nicht, was das kleine Ereignis eines Tages für größere Folgen haben sollte.
»Das hat jetzt kommen müssen – ausgerechnet jetzt, wo der Pöschko – Sie ahnen ja nicht, Herr Assessor … das trägt mir der Ministerialrat wieder jahrelang nach …«
»Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten, Herr Inspektor?«
»Danke – nein – danke, keinesfalls. Und die Sauberzweig ist jetzt tückisch auf mich, weil sie denkt, ich hab’ dem Ministerialrat … Danke, aber nein, eine ist genug … danke sehr …«
Der sehr Geknickte entfernte sich.
Wichmann stellte fest, daß die kleine Sauberzweig etwas konnte, wenn sie wollte. Das Mädel war zu erziehen.
Als er kurz nach fünf Uhr sein fertiges Manuskript in Händen hielt, erschien ihm sein kleines Zimmer als ein Paradies des Siegers, und er saß noch eine Stunde nach Dienstschluß an dem Schreibtisch vor der gelblichen Wand und prüfte alle Seiten genauestens durch, ehe er sie bei Fräulein du Prel abgab. Der Ministerialrat war noch anwesend, er konferierte mit einem Herrn aus einer anderen Abteilung.
Wichmann verließ das Gebäude um halb sieben Uhr durch den Ausgang in der Ottostraße. Es dunkelte schon, und die Laternen blinkten auf. Auf dem Gehsteig flutete es hin und her; Menschen tauchten aus nebligem Dämmer in den Schein starker Bogenlampen und verschwanden wieder. Ihre Gestalten schienen alle dunkel, und auch die Frauen und Mädchen gaben dem Milieu wenig Farbe; es war ein graues Gewoge. Nur hin und wieder staute sich der Strom. So wie Wellen an Ufersteinen sich verirren und Buchten bilden, hingen kleine Knäuel Neugieriger vor grellen Schaufenstern, in denen sie exotische Blumen und schillernde Brillanten anstaunten. Ein Teil weckt die Vorstellung des Ganzen – was für Gedankenverbindungen mochte das Diadem, das schlichte Platindiadem mit dem großen Diamanten in der niedlichen Silvia Sauberzweig wecken, die traumverloren davor stand, am Arm eines schlaksigen Jünglings? Als Wichmann das Pärchen sah, fiel ihm ein, daß er andere Vermutungen gehabt hatte. Liebte Silvia nicht den schüchternen Baier mit der Stahlbrille?
Wichmann querte die Residenzstraße und suchte zum Abendessen die stille Weinstube auf, die er von seiner Studienzeit her noch kannte. Aber er fand nicht die Ruhe, lange am Tisch zu sitzen. Draußen war es immer noch lebhaft wie am Tag, ja lebhafter als bei Tag. Die großen Gefängnisse der Berufstätigen, die Ministerien, Geschäftshäuser, Fabriken, hatten sich geleert, und da schwärmte nun herum, was sich Mensch nannte … Mensch? Stenotypistin, Kontorist, Mechaniker, Beamter, Freundin, Ehefrau, Dirne – Mensch? Und einmal waren sie doch alle nackt geboren und mußten nackt sterben, und auf ihrem Grabstein stand ein großes Fragezeichen. Vielleicht waren dem barocken Heiligen mit seinem reichen Faltengewand daheim im geheimrätlichen Zimmer die Finger abgebrochen, als er in nächtlicher Stunde ein solches Fragezeichen in die Luft schrieb.
Oskar Wichmann tauchte in der nur matt beleuchteten