Bis ich dich endlich lieben darf. Denise Hunter
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Bei dem Umsteigemanöver fiel dann auch noch seine Reisetasche auf den Boden – ein passendes Bild für seine Würde. Aber während Riley die Tasche wieder aufheben konnte, gestaltete sich das mit seiner Würde schwieriger.
„Sitzen Sie bequem, Sir?“
„Ja, danke.“
Er hatte in der vergangenen Nacht nur zwei Stunden geschlafen, sein Bein tat höllisch weh, er wurde wie ein Krüppel einfach in einen Rollstuhl verfrachtet, und das dann auch noch ausgerechnet von einer Frau wie dieser.
Das alles kam ihm völlig verrückt und falsch vor.
Die Betreuerin löste jetzt die Bremsen seines Rollstuhls und schob ihn die Fluggastbrücke hinauf.
Wenigstens war er endlich aus dem Flieger heraus. Der Weg in dem Bordrollstuhl zur Toilette war so demütigend gewesen. Zwischendurch hatten sich immer wieder Mitpassagiere für seinen Dienst fürs Vaterland bei ihm bedankt und für das Opfer, das er dafür gebracht hatte, aber er wäre jedes Mal am liebsten unter seinen Sitz gekrochen.
Als sie beim Gate ankamen, strich ihm die kühle Zugluft der Klimaanlage über die Haut. Er war wieder daheim – zurück in Maine –, und nur wenige Meter entfernt wartete seine Familie auf ihn. Seine Brüder, seine Tante und Paige. Schon seit Monaten hatte er Sehnsucht nach ihnen, ganz besonders nach Paige.
Aber nicht so.
Ihm war eng um die Brust, und er atmete so schwer, als hätte er gerade einen Marathon absolviert, auch wenn das in nächster Zeit eher unwahrscheinlich war. Er konnte froh sein, wenn er irgendwann wieder humpeln konnte, und selbst das war höchstwahrscheinlich erst nach monatelanger schmerzhafter Physiotherapie möglich. Sein Blick ging hinunter auf seine Beine.
Auf sein Bein.
Das rechte Hosenbein lag schlaff an der Stelle, wo eigentlich sein Knie hätte sein müssen, und das Bein endete in einem grotesken Stumpf, der abwechselnd wehtat und juckte. Die vergangenen drei Wochen waren ein einziger Albtraum gewesen. Erst die Operation und dann die schmerzhafte Genesung. Nicht zu vergessen die Albträume. Psychisch war er ständig am Ende, und düstere Gedanken zogen ihn immer weiter in den Schatten.
Schon das Heimkommen war für ihn eine echte Herausforderung. Er wollte nicht, dass sie ihn so sahen. Wer hätte denn bei seiner Abreise gedacht, dass er nur als halber Mann wieder zurückkehren würde?
Er hielt sich jetzt an den metallenen Armlehnen des Rollstuhls fest, schluckte gegen den Kloß in seinem Hals an, und im Nacken und auf der Stirn brach ihm der Schweiß aus. Seine düsteren Gedanken drohten ihn zu überwältigen, und er kämpfte mit allem, was er hatte, dagegen an.
Improvisieren. Anpassen. Überwinden.
Fünfzehn Monate lang waren ihm diese Worte eingebläut worden und hatten ihm auch tatsächlich geholfen, wirklich schlimme Situationen zu überstehen, doch in diesem Moment halfen sie ihm kaum.
Komm schon, Mann, Kopf hoch. So kannst du ihnen nicht gegenübertreten.
Seine Brüder hatten sich so lange Sorgen um ihn gemacht, und das nur, weil er so blöd gewesen war, sich gleich nach dem Tod ihres Vaters freiwillig zur Army zu melden. Gleich nachdem …
Nein. Daran durfte er jetzt nicht denken. Es genügte zu sagen, dass er aus den falschen Motiven gegangen war, aber das ging niemanden außer ihn etwas an. Seine Familie hatte seinetwegen schon genug durchgemacht.
Der Rollstuhl holperte über eine kleine Erhöhung, sodass sein Bein angestoßen wurde und er vor Schmerz zusammenzuckte. Seine eine Hand lag auf der Hosentasche, in der das Foto von ihr steckte, und sein Herz pochte heftig, als er sich bewusst machte, dass er sie jetzt gleich sehen würde – und nicht nur ein Foto oder ihr Bild über Skype. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, dass er ihr in die meerblauen Augen geschaut, dem femininen Singsang ihrer Stimme gelauscht und ihren süßen, blumigen Duft gerochen hatte.
Unter anderen Umständen hätte er das Wiedersehen mit ihr kaum erwarten können. Er wäre auf seinen zwei Beinen auf sie zumarschiert und hätte ihr wie geplant die Wahrheit gesagt. Aber dann hatte eine Bombe alles verändert. Alles, was er jetzt noch plante, drehte sich darum, zu überlegen, wie er Abstand zu seiner Familie halten konnte, ohne ihre Gefühle zu verletzen.
KAPITEL 2
„Ist das Ihre Familie?“, fragte die Frau, die Rileys Rollstuhl schob.
Sein Blick ging zum Eingang der Gepäckabholung, wo sie alle in einer Traube beieinanderstanden. Er straffte die Schultern, hob eine Hand, verzog den Mund zu einem breiten Lächeln und achtete darauf, dass seine Augen wenigstens so aussahen, als würden sie mitlachen.
Beau winkte zurück, während sein anderer Arm um Tante Trudys Schultern gelegt war. Zac, der wie ein langer Schatten hinter ihnen aufragte, grinste ebenfalls. Als Rileys Blick dann weiterging zu Paige, blieb ihm die Luft weg.
Sie war ja noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Ihr seidiges Haar war blonder und länger als damals, und er hatte ganz vergessen, wie die leichten Rundungen ihre sportliche Figur weicher machten. Der Anblick ihrer sonnengebräunten Beine löste Gedanken bei ihm aus, die er eigentlich nicht hätte haben sollen.
Sie hielt sich die Hände vor den Mund, und ihr kamen die Tränen, während er näher gerollt kam, und als er nur noch eine Armeslänge entfernt war, machte sie einen Satz auf ihn zu und ging auf die Knie. Dann schlang sie ihm die Arme um den Hals und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter.
Er hielt sie ganz fest, schloss die Augen, und einen Moment lang gab es nur sie beide – wie in alten Zeiten. Seelenverwandte. Callahan und Warren. Wie hatte er sie vermisst! Ganz tief atmete er einmal ihren Duft ein, den Duft von Blumen, Sonnenschein und Zuhause. Er vergrub seine Nase in ihrem Haar und erinnerte sich an jede Nacht, die er auf seiner Pritsche gelegen, ihr Bild betrachtet und diesen Augenblick herbeigesehnt hatte.
Ein erstickter Laut kam aus seiner Kehle, den er aber überspielte, indem er herzhaft lachte. Dann legte er noch etwas mehr Kraft in seine Stimme und sagte: „Hey, ist ja alles gut. Was soll denn das, Warren? Du weinst doch nicht etwa, oder?“
Daraufhin richtete sich Paige wieder auf, gab ihm einen festen Klaps auf die Schulter, wischte sich verstohlen die Augen und sagte: „Mann, ich habe dich vermisst. Hast du Schmerzen? Soll ich dir deine Medikamente herausholen?“
Na super … noch mehr Wirbel um ihn. „Nicht nötig. Ich habe schon im Flieger was bekommen. Alles in Ordnung. Absolut fantastisch.“
Jetzt mischte sich Beau ins Geschehen ein und drängte Paige ein bisschen beiseite. Er packte Rileys Hand mit dem Bruder-Griff und sagte: „Gut, dass du wieder da bist, Bruderherz. Wir haben uns schreckliche Sorgen um dich gemacht.“
„Ja, ich bin auch froh, wieder hier zu sein.“
Zac strich mit der einen Hand über Rileys Bürstenhaarschnitt und bemerkte: „Hey, man kann dir ja gar nicht mehr richtig durchs Haar zausen. Das macht gar keinen Spaß.“