Zwei gegen Ragnarøk. Hans-Jürgen Hennig
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Читать онлайн книгу Zwei gegen Ragnarøk - Hans-Jürgen Hennig страница 3
Djarfur schob diese Gedanken beiseite und richtete seinen Blick wieder auf den Horizont. Ganz unvermittelt begann sein Herz vor Freude heftig zu schlagen; bald würde er sein Björkendal wiedersehen und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Doch als, wenig später, sein Blick auf das große Bündel aus Fellen und Decken, am Boden des Bootes fiel, wich seine Freude einem beklemmenden Gefühl. Neben diesem Bündel saß seine dreizehnjährige Tochter Einurd. Sie hielt mit einer Hand ihren Umhang am Hals geschlossen und mit der anderen, die Hand ihrer Mutter, die dort reglos in den Fellen lag.
Djarfur presste die Lippen zusammen. Seine geliebte Saida lag dort in Felle gewickelt, am Boden und kämpfte mit dem Tode. Bitternis stieg in ihm auf; die Liebe seines Lebens lag todkrank im Boot und er, Djarfur, der große Heiler, konnte ihr nicht helfen. So vielen Menschen hatte er mit seiner Heilkunst, helfen können, aber bei seiner geliebten Frau versagte all sein Können. Alle bisherigen Mittel, die er versucht hatte, blieben wirkungslos. Die Trauer darüber schnürte ihm das Herz zusammen. Der Schmerz um ihre Krankheit ließ ihn unaufmerksam werden, so dass er nicht merkte, wie der Wind immer heftiger wurde und langsam zu einem Sturm heranwuchs.
Erst als Leif, sein alter Weggefährte, rief: „Djarfur, halte Kurs!“, schreckte er aus seinen Gedanken auf und korrigiert mit dem Steuer die Richtung.
Er blickt hinüber zu Leif, seinem treuesten Gefährten. Beide hatten zusammen so viel durchgestanden, dass sie schon nicht mehr zählen konnten, wie oft der Eine dem Anderen das Leben gerettet hatte.
Plötzlich stutzte Djarfur und schaute sich suchend um. Die Küste war seinem Blick völlig entschwunden. Hatte er, so in seine Gedanken vertieft, den Kurs ganz verlassen? Als der böige Wind Sturmstärke erreicht hatte, rief er Leif zu: „Hol das Segel ein und nimm die Ruder!“
Dichter Regen nahm ihm nun auch noch die Sicht und so angestrengt er auch schaute, die Küste war nicht mehr zu sehen. Er musste den Kurs neu bestimmen. Djarfur nestelte ein Lederbändchen aus dem Halsausschnitt, an dem ein orangefarbener Stein hing; sein Sonnenstein3. Er hielt sich den Stein vor sein Auge und versuchte die Sonne zu finden, so wie er es bei bedecktem Himmel schon hundertmal getan hatte. Nach mehreren vergeblichen Versuchen fluchte er kurz und steckte den Stein wieder weg. Er schüttelte den Kopf.
„Wieso versagt der Stein? Der hatte doch immer funktioniert, egal, wie trübe der Himmel war.“
Ein ungutes Gefühl und merkwürdige Ahnungen beschlichen ihn.
Seine Tochter wandte sich ihm zu und er sah, dass Tränen über ihr schönes Gesicht liefen. Einurd hatte sicher begriffen, wie es um ihre Mutter stand, aber keine Klage kam über ihre Lippen. Djarfur schluckte die aufkommende Bitterkeit hinunter; er musste den Kurs wiederfinden.
Da brüllte Leif in den Sturm: „Djarfur, wo fahren wir hin? Ich sehe kaum noch etwas. Dieser verdammte Nebel! Wo kommt der denn so plötzlich her?“
Erst jetzt bemerkte auch Djarfur den Nebel, der immer dichter wurde und als er das Wasser beobachtete, stellte er fest, dass sie kaum vorwärts kamen, obwohl Leif aus Leibeskräften ruderte.
„Ist hier eine Strömung? Hier war doch nie eine Strömung“, ging es ihm durch den Kopf. „Die Sonne ist nicht zu finden. Wir haben den Kurs verloren und nun auch noch dieser Nebel …“
Dieses merkwürdig, beklemmende Gefühl kam wieder hoch und ihm fielen plötzlich uralte Geschichten ein, die etwa so, oder ähnlich anfingen.
Er wusste, dass sie vielleicht einen Vierteltag vom heimatlichen Fjord entfernt waren und wenn hier eine Strömung war, dann war sie ihm unbekannt, also neu?
Der Sturm hatte sich inzwischen fast zu einem Orkan entwickelt und die Böen rissen an Djarfurs Gewand, heulten in den Ohren und das Boot ächzte unter den Stößen der Wellen. Es tanzte wie ein Spielball auf den riesigen Wogen und vollführte wahre Sprünge durch das tosende Meer. Djarfur hatte inzwischen große Mühe, das Steuer überhaupt noch zu halten und rief Leif zu: „Halte dich genau in der Strömung, sonst kentern wir!“
Leif gab sein Bestes und ruderte aus Leibeskräften.
„Hier war doch früher keine Strömung!“, rief Leif durch den tosenden Wind zurück.
Er schaute, mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht, zu Djarfur und schrie: „Soll das unsere letzte Fahrt werden, nachdem wir so viel durchgestanden haben?“
Leif keuchte vor Anstrengung; er musste aufpassen, dass seine Ruder nicht ins Leere gingen, so sehr sprang das Boot über die Wellen.
„Odin!“, rief er in den Sturm, „lass uns nach Hause kommen! Odin, Thor, Freya, spielt nicht mit uns, lasst uns das letzte Stück auch noch schaffen!“
Djarfur sah kaum noch Etwas und der Nebel hatte bereits seine Kleidung völlig durchnässt. Er spürte kaum noch seine Hände, aber er würde bis zum letzten Augenblick kämpfen, das wusste er. Bei einem Blick auf seinen Gefährten sah er, dass Leif völlig entkräftet war und die Ruder sicher gleich fahren lassen würde.
„Leif, komm und halte du das Steuer eine Weile, ich will für dich rudern!“, brüllte Djarfur gegen den heulenden Wind.
Leif hatte verstanden und zog die Ruder kurz ein. Als er aufstehen wollte, um zum Steuer zu wechseln, knirschte es gewaltig unter dem Kiel und es folgte ein so kräftiger Ruck, dass beide Männer über die Ruderbänke stolperten. Djarfur landete am Boden, neben der in Decken gehüllten Saida. Als er sich langsam wieder aufrichtete, schaute er in Leifs entsetztes Gesicht.
„Was war das denn? Wir sind gestrandet, aufgelaufen? Hier gibt es doch gar kein Land, oder sind wir …“ – und schon wieder drängte sich ihm der Gedanke an diese unheimliche, alte Geschichte auf.
Er konnte seinen Satz auch nicht vollenden, da unterbrach ihn auch schon Leif: „So weit sind wir nicht vom Kurs abgewichen. Hier gibt es doch eigentlich kein Land, das weiß ich genau!“
Djarfur richtete sich vollends auf und sah sich um: Nichts war zu erkennen, außer einem steinigen Strand und ringsherum wabernder Nebel. Er überlegte nicht lange und rief: „Leif komm, lass uns das Boot auf den Strand ziehen und den Sturm abwarten!“
„Wieso Sturm?“, brummte Djarfur jetzt überrascht, denn der Sturm hatte sich schlagartig gelegt. „Merkwürdig, so plötzlich, wie er gekommen war, war nun um sie herum Stille und nicht einmal das Auflaufen der Wellen am Ufer war zu hören.“
Djarfur schaute zu Leif. Der stand auch wie versteinert und schaute als ob er einen feuerspeienden Drachen gesehen hätte.
„Wo sind wir? Was ist das für ein Land?“, stöhnte Leif. „Djarfur, mir fallen da ganz plötzlich uralte Geschichten ein. Das hier gefällt mit überhaupt nicht, das ist ja unheimlich!“
„Mir auch nicht“, erwiderte Djarfur, „aber komm, lass uns erst das Boot sichern, dann werden wir die Gegend erkunden. Ich muss nach Saida und Einurd sehen. Sie müssen sich ja fürchterlich fühlen.“
Djarfur hob Saida aus dem Boot und Einurd sprang hinter ihm auf den Strand. Ihre großen, dunklen Augen, schauten ihn so voller Hoffnung an, dass er wieder einen dicken Kloß im Hals spürte,