Zwei gegen Ragnarøk. Hans-Jürgen Hennig

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Zwei gegen Ragnarøk - Hans-Jürgen Hennig

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die dicht mit zahllosen Holunderbüschen bewachsen war und dahinter das Dorf. Seine Gedanken flogen, wie eine Möwe, über Björkendal dahin und er sah die etwa zwanzig kleinen Hütten, die um das große Langhaus herum standen.

      „Ob das alles noch so ist? So viele Jahre waren wir fort. Ob uns die Leute noch erkennen? Gibt es Björkendal überhaupt noch? So viele haben damals die Heimat verlassen, als Erik der Rote9 neues Land entdeckt hatte.“

      Djarfur hielt das Ruder fest, nein, er hielt sich am Ruder fest, so sehr, dass die Knöchel an den Händen weiß hervortraten. Die Sehnsucht nach seinem Fjord ließ ihn stoßweise atmen und sein Herz hämmerte so stark, dass er den Puls im Hals spürte.

      Das Glitzern der vielen tausend Wellen, wenn die Sonne in den Fjord schien, die mit Nebel verhangenen Berge im Norden des Dorfes und die blühenden Wiesen um ihre Häuser, all diese Bilder schossen durch seinen Kopf und lösten einen richtigen Orkan an Gefühlen aus. Dann tauchten die Birken vor seinem Auge auf, zahllose Birken. Er liebte den hellen, lichten Birkenwald, die schlanken, weißen Stämme, seine Heimat, Björkendal.

      Er war nie ein wirklicher Tierliebhaber, aber jetzt sehnte er sich nach dem Brummen der kleinen, zottigen Kühe und nach den blökenden Schafen. Alles stürzte jetzt, wie aus einem Eimer gegossen, über seinen Kopf und er wusste nicht, welches Bild er zuerst festhalten sollte.

      Ein Gesicht tauchte auf, wie aus grauem Nebel, dem sie grade entronnen waren; Kylikki, das wunderschöne Mädchen Kylikki, das damals mit ihnen Eltern und ihrem Bruder Teemu von jenseits der Berge zu ihnen kam. Sie kamen vom Volk der Sami. Ach, was war er nur für ein Hitzkopf gewesen, er hatte mit ihr gespielt und sie im Wald genommen, ohne dass er sie wirklich liebte. Oder hatte er sie doch geliebt? Es hatte ihm damals nichts ausgemacht, ihre Hingabe zu genießen und zu wissen, dass sie ihn liebte. „Arme Kylikki“, dachte er. „Ich hoffe, dass du einen guten Mann gefunden hast. Ich werde mich bei dir entschuldigen, weil ich einfach so verschwunden bin. Wir verließen Björkendal zu dritt, Leif und dein kleiner Bruder Teemu gingen mit mir.“

      Seine Gedanken schweiften weiter ab: „Teemu, der sich als Knabe auf ihr Boot schlich und sich erst zeigte, als sie schon auf hoher See waren. Er war eigentlich zu jung gewesen, aber er wurde dennoch ein guter Gefährte und auch ein guter Kämpfer …“

      Vor Jahren schon verschwand Teemu aus seinem Blickkreis, ohne dass sie wussten, wohin.

      Eine große Welle brachte ihn schlagartig in die Realität zurück und er ließ seinen Blick über das Boot und seine Ladung schweifen. In die Trauer, die er über Saidas Tod empfand, mischte sich jetzt Freude darüber, dass er wohl noch heute durch Björkendal gehen würde und sein Blick fiel auf die hundert kleinen Bäumchen, die in Säcken verpackt, ordentlich an der Bordwand aufgestellt und festgemacht waren.

      Ein kleines Lächeln flog über sein Gesicht. Diese Bäumchen waren das Geschenk eines Frankenfürsten, das er für seine Heilkünste erhalten hatte. Er erinnerte sich an den Frühling vor zwei Jahren. Mit Saida hatte er, im Land der Franken, einen blühenden Apfelhain erlebt und mit ihr zusammen trank er das wunderbare Getränk, das die Leute dort aus den Äpfeln herstellten. Damals entstand ein kühner Traum in seinem Kopf; Apfelwein aus Björkendal.

      Er hatte die Kinder des Fürsten geheilt und bekam dafür, auf seinen Wunsch, die einhundert Apfelbäumchen geschenkt. Der Fürst schüttelte zwar den Kopf über diesen sonderbaren Wunsch, aber er respektierte auch den klugen Heiler aus dem hohen Norden.

      Der Bug hüpfte mit den Wellen auf und nieder und als das Boot einmal besonders laut auf die Wellen klatschte, schrak er wieder aus seinen Gedanken auf. Djarfur zwang sich in die Realität zurück. Er wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, blickte nach vorne, da begann sein Herz vor Freude wild zu hämmern und er atmete ganz tief ein. Glitzernd, in der Abendsonne lag der heimatliche Fjord vor ihnen. Ein heiserer Ruf drang aus seiner Kehle: „Leif, unser Fjord!“, dann lief eine Träne über sein bärtiges Gesicht.

      Leif legte die Ruder auf den Bootsrand, sprang auf und schaute in Fahrtrichtung. Als wäre er trunken, knickten ihm plötzlich die Knie ein, aber er fing sich wieder, sprang über die Sitzbänke auf Djarfur zu und umarmte ihn stürmisch.

      Einurds Stimme drängte sich zwischen die Männer: „Vater, sind wir jetzt in deinem Björkendal?“

      Djarfur ließ Leif los, drückte ihm das Ruder in die Hand und hob Einurd so hoch er konnte. „Ja, mein Töchterchen, das ist unser Fjord und da ganz hinten siehst du das Ufer von Björkendal, unserem Björkendal.“

       BJÖRKENDAL

      Fünf Jahre waren seit seiner Heimkehr ins Land gegangen und Alvitur stand auf einer kleinen Erhebung, westlich der Häuser von Björkendal, neben ihm Kylikki und Leif, sein alter Weggefährte.

      Leif legte ihm die Hand auf die Schulter und folgte seinem Blick. „Alter Freund, schau, wie du Björkendal verändert hast. Es gibt wieder Hoffnung für unser Dorf.“

      Alvitur nickte und schaute auf die blühenden Apfelbäume. Seit er sie vor fünf Jahren, gemeinsam mit ein paar Freunden gepflanzt hatte, waren sie kräftig gewachsen und blühten nun zum ersten Mal in so einer Pracht, dass man sie wirklich als Apfelhain bezeichnen konnte.

      Kylikki schaute auch mit einem Lächeln auf die blühenden Bäume; sie war davon so beeindruckt, dass sie flüsterte: „Djarfur, du hast ein Wunder vollbracht. Weißt du, dass du ungefähr für jeden, der Björkendal damals verlassen hatte, ein Bäumchen mitgebracht hast? Es ist wunderschön geworden, unser Björkendal.“

      „Kylikki, ich bin Alvitur. Mit Saida ist damals auch Djarfur gestorben.“

      „Dann sage aber auch Fifilla zu mir, wie mich alle anderen hier nennen. Kylikki ist auch damals gestorben, als der Mann, den sie liebte, sie einfach verlassen hatte, um sich in der weiten Welt herumzutreiben.“

      Über Alviturs Gesicht flog ein leichtes Lächeln und er nahm ihre Hände in seine. „Fifilla, es ist so viel Zeit vergangen seit damals und ich habe für all das, was ich falsch gemacht habe, bitter bezahlt. Lass uns Freunde sein und sei zuversichtlich, dass hier bald wieder glückliche Menschen und fröhliche Kinder leben werden.“

      Fifilla schaute ihm mit einem schmerzlichen Lächeln ins Gesicht und berührte die Stelle wo einst sein zweites Auge gewesen war. „Ja, so soll es sein.“ Dann drehte sie sich rasch um und lief zurück ins Dorf.

      Leif fragte: „Was hat sie? Gibt es ein Problem zwischen euch beiden?“

      „Nein, mein Freund, jetzt nicht mehr, aber ich habe ihr einmal sehr wehgetan, und es tut mir heute so unendlich leid, aber wäre ich bei ihr geblieben, dann wären wir nicht die, die wir jetzt sind und diese Apfelbäume gäbe es dann auch nicht.

      Kylikki, oder Fifilla, sie ist in jedem Fall eine wunderbare Frau und auch überaus klug. Aber ich weiß jetzt, dass ich mit ihr immer rechnen und auf sie zählen kann.“

      Alviturs Blick wurde nachdenklich und er schaute Leif ins Gesicht. „Ich glaube aber, dass sie im Moment auch etwas traurig ist, weil ihr Teemu wieder verschwunden ist. Damals, als er noch ein Kind war, verließ er seine Familie heimlich, um uns zu folgen. Irgendwann verließ er auch uns und verschwand. Nun kam er zwei Jahre nach uns zurück und verschwindet nach kurzer Zeit gleich wieder.“

      Leif wackelte leicht mit dem Kopf. „Ich glaube Teemu ist den Verlockungen dieser neuen Welt, hinter dem Dänenwall10, erlegen. Dass ihn so ein Mädchen wie Einurd hier nicht binden konnte, ist

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