Zwei gegen Ragnarøk. Hans-Jürgen Hennig

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Zwei gegen Ragnarøk - Hans-Jürgen Hennig

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Zeit, bis er sie sanft zurücklegte, weil Einurds Hand nach ihm griff.

      „Was ist mit Mutter, ist sie tot?“

      Djarfur umarmte Einurd und brauchte dabei all seine Kraft, um seine Trauer nicht in einem Schrei herauszulassen. Leif hatte wohl mitbekommen, was geschehen war und hockte sich neben die beiden. Mit belegter Stimme fragte er: „Ist sie gegangen?“

      Djarfur nickte, stand auf und ging nach draußen. Unendliche Leere breitete sich in ihm aus, unendliche, schwarze, abgrundtiefe Leere, die ihn über den steinigen Strand taumeln ließ.

      Ohne dass es ihm bewusst wurde, ging er zum Boot und suchte dort in der Ladung herum, bis er ein kleines Fass mit Bier fand. Ihn beherrschte jetzt nur noch ein Wunsch: Nichts mehr zu empfinden, nichts mehr zu denken. Mit diesen Gedanken im Kopf, ließ er sich in einer Ecke der Hütte nieder, öffnete das Fass und trank. Vom vielen Bier benebelt, schlief er endlich über seine Trauer ein.

      Djarfur erwachte, als ob irgendwer ihn geweckt hätte. Er stand jedoch mutterseelenallein auf dem Strand dieser verfluchten Insel; kein Leif war mehr da und Einurd war auch nicht zu sehen. Nur diese elende Hütte war noch da.

      So stand er verlassen in dieser Ödnis und hörte nicht einmal mehr das Meeresrauschen; kein Möwenschrei, kein Wind – nichts – Totenstille.

      Djarfur dachte nach: „Irgendetwas stimmte hier nicht, er war doch nicht alleine hier. Wo waren Einurd und Leif?“

      Weiter kam er mit seinen Gedanken nicht, denn plötzlich, wie aus dem Nichts, standen drei Frauen vor der Hütte, drei Frauen ohne bestimmbares Alter, ohne ein wirkliches Gesicht und eingehüllt in dunkle Tücher.

      Ihm wurde es so unheimlich, wie noch nie in seinem Leben. Dabei war er doch nie ein Angsthase gewesen.

      Unvermittelt begannen die drei Weiber zu wispern und er lauschte sie zu verstehen. Es war unheimlich, weil sie sprachen, ohne den Mund aufzumachen.

      Djarfur schluckte. Er spürte, wie sich die Haare im Nacken aufstellten und schlagartig wusste er, wer diese Frauen waren. Es waren die drei Nornen5, die Schicksalsfrauen.

      Diese Frauen mit ihren Fischglotzaugen, die er bisher nur aus den Geschichten seines Volkes kannte, begannen einen monotonen Singsang und er begriff: „Es gab sie wirklich, diese Nornen.“

      Ihr Singsang, dessen Worte er nicht wirklich hören konnte, ging irgendwie direkt in seinen Kopf.

      Ihre Melodie war monoton und einschläfernd.

      Jetzt begannen sie ihre Worte zu wiederholen, Worte in so merkwürdiger Aussprache, dass er Mühe hatte, ihren Sinn zu begreifen. Dazu malten sie mit den Händen Figuren in die Luft, dann wieder hielten sie ihre dicken Stricke, die sie gemeinsam verknüpften. Aus all ihrem Geraune prägten sich Worte in Djarfurs Gedächtnis:

       „Djarfur, Djarfur, sei Alvitur6,

       zeig den Zweien einen Weg,

       unendlich Zeit, ihr Privileg.

       Für die Götter tausend Jahre,

       begleiten sie drei Augenpaare.

       Der Erste ihnen Zeit bemisst,

       damit ihn Fenriswolf nicht frisst.

       Kraft schöpfen aus dem eigen Blut.

       Es stürbe viel ohn’ der zwei Mut.

       Mit gleichem Namen sei ein Kind,

       das sie zu ihrem Ende find’.“

      Djarfur begann sich auf seinem Lager herum zu werfen und im Aufwachen hörte er noch die Nornen immer wieder ein Wort flüstern: „Ragnarök7!“

      Stoßweise atmend erwachte er endlich ganz und wusste im ersten Augenblick nicht mehr wo er war, bis Leif ihn an den Schultern rüttelte und sich Einurd neben ihn setzte.

      „He Djarfur, werde endlich wach und mache deiner Tochter etwas zum Essen!“, rief Leif.

      Trotz der wirren Gedanken im Kopf nahm Djarfur Einurd in die Arme und wusste plötzlich wieder, dass er lebte, leben wollte, und dass sie ihn brauchte.

      Leifs Hand lag auf Djarfurs Unterarm. „Djarfur, ich glaube, du hast böse geträumt. Ich hatte auch einen sehr merkwürdigen Traum, aber lass uns erst essen und dann darüber reden. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob ich das hier nicht alles ein Traum ist“, und Leif stand auf, um Proviant aus ihren Gepäck zu nehmen.

      Einurds Worte: „Vater, ich habe Hunger“, holten Djarfur schlagartig zurück in die Gegenwarte und er spürte die Liebe zu ihr und plötzlich durchströmte ihn wieder Lebenskraft, dass er erschauerte.

      Leif stellte Essen vor ihm ab und ging zum Feuer, dass er neu entfacht hatte, als Djarfur noch schlief. Er gab ein paar Kräuter in die Becher, etwas Honig und goss mit heißem Wasser auf.

      Nachdem er die Becher abgestellt hatte, griff er mit fester Hand nach Djarfurs Schulter, schaute ihm ins Gesicht und sprach in eindringlichem Ton: „Djarfur, mein Freund, du hast uns so weit gebracht und ich bin dir immer gefolgt, nun hast du sehr viel verloren und deine tiefe Trauer kann ich gut verstehen, aber dein größter Schatz sitzt neben dir. Hüte ihn und bringe ihn sicher nach Hause.“

      Djarfur fühlte sich erleichtert; sein treuer Freund hatte Recht.

      Im Schein des Feuers aßen sie schweigend von ihren Vorräten und tranken den Honigtee. Djarfur kaute langsam, so als ob er damit die Zeit überbrücken könnte. Beide Männer starrten schweigend in die Flammen und dachten an ihren verwirrenden Traum aus der letzte Nacht. Plötzlich wurde Leif unruhig und sein Gesicht verzog sich zu einer ängstlichen Grimasse, wie sie Djarfur an seinem Gefährten nicht kannte. Leif schaute ihn an, als ob er ein Gespenst sähe und Djarfur fragte: „Was ist mit dir? Warum schaust du so merkwürdig drein?“

      Leif antwortete zögernd: „Ich muss dir endlich von meinem Traum erzählen. Der war so seltsam, so erschreckend“, und dann schilderte er seinen Traum von den Nornen, der dem von Djarfur fast aufs Haar glich.

      Als Djarfur ihm dann seinen, fast gleichen, Traum geschildert hatte, schaute Leif noch entsetzter drein und flüsterte: „Wo sind wir hier gelandet, dass uns die Nornen erscheinen? Ist das hier Hel8? Sind wir tot, oder verflucht?“

      Djarfur beruhigte Leif: „Noch leben wir und du hast mir gerade mit deiner Zuversicht meinen Lebenswillen zurück gegeben. Ich danke dir dafür.“

      Nach einem kurzen Zögern fuhr er fort: „Was haben diese Weiber dir denn gesagt?“

      Leif antwortete stockend und meinte, dass er die Nornen schlecht verstehen konnte und starrte wieder gedankenverloren in die Flammen. Nach einigem Grübeln redete er aber weiter.

      „Ich glaube, dennoch etwas vom Sinn ihrer Worte verstanden zu haben. Ihre Gedanken waren in meinem Kopf. Sie wollten, dass wir von hier wegfahren, nach Hause, und ich hätte die Pflicht jemanden zurück zu bringen, oder so ähnlich.“

      Djarfur nickte verstehend.

      „Leif,

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