Zwei gegen Ragnarøk. Hans-Jürgen Hennig
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Die Mutter fing an zu grübeln und Hilda machte sich lieber davon.
Hilda war wieder guter Dinge und nahm sich vor, mit Lipurta zusammen Bogenschießen zu üben. Sie lenkte ihre Schritte in die Richtung Gunnars Gerberei. Den Weg zu Gunnars Hütte musste man nicht unbedingt sehen, man konnte ihn auch riechen, denn die Gerberei stank oft sehr übel. Gunnar hatte ihr mal erzählt, was er in seiner Gerberwerkstatt alles zum Gerben brauchte; Salz, Öle, Eichenrinde und sogar Pipi oder auch manchmal das Gehirn von Tieren – bääh und all diese Zeug stank gewaltig. Als Gerber war ja Gunnar der Beste hier in Björkendal, wenn es darum ging, aus Tierhäuten oder Fellen etwas Nützliches zu machen, aber meistens hielten sich die Leute ihre Nasen zu, wenn sie an seiner Hütte vorbei gingen. Der Gerbereigeruch war schon lange in Hildas Nase, da erreichte sie endlich die Hütte und klopfte an.
Rannveig steckte den Kopf zur Tür raus und begrüßte sie freundlich: „Guten Tag, Hilda, komm rein.“
Als sich Hildas Augen an das Licht in der Hütte gewöhnt hatten, sah sie, dass Lipurta zu Hause war. Sie saß in einer Ecke und bearbeitete Lederschnüre mit Fett. Ihr Gesicht hellte sich etwas auf, als sie Hilda sah.
Rannveig schaute Hilda freundlich an und fragte: „Komm, setz dich. Magst du etwas Heißes trinken? Ich hab hier noch eine schöne Brühe.“
„Hm, ja, aber eigentlich wollte ich Lipurta fragen, ob sie Lust hat, mit mir Bogenschießen zu üben,“ antwortete Hilda.
„Ich hätte auch gerne eine heiße Brühe“, meldete sich Gunnar aus seiner Werkstattecke, am Ende der Hütte. Er saß am Feuer und bearbeitete ein paar Lederteile.
Vor Neugier wurde Hildas Hals immer länger. Wenn irgendwo etwas gemacht wurde, was sie noch nicht kannte, war es für sie immer spannend, es zu beobachten und zu verstehen, was dort geschah. Ihr fiel ein, wie der alte Egill das mal nannte, als sie bei ihm zuschaute. Mit den Augen stehlen, hatte er das genannt.
Rannveig goss Brühe in zwei Holzbecher, und als sie sah, wie interessiert Hilda zu Gunnar schaute, schob sie ihr die beiden Becher hin und sagte: „Hier nimm und bring’ Gunnar auch eine Brühe.“
Hilda nahm die beiden Becher und ging mit vorsichtigen Schritten nach hinten, zu Gunnar.
Ihre Augen waren schneller, als ihre Füße und schon bei Gunnar angelangt, dass sie nicht die Lederteile sah, die vor ihr auf dem Boden lagen. Hilda stolperte, und schwupp lag sie vor Gunnar auf dem Boden. Sie hatte zwar die beiden Becher noch in der Hand, aber sie jetzt waren leer und die heiße Brühe tränkte die auf dem Boden liegenden Lederteile.
„Auweia, Gunnar, Rannveig, das tut mir leid. Das wollte ich nicht“, stieß Hilda hervor. Dann rappelte sie sich hoch und stellte die leeren Becher mit tief betrübtem Gesicht auf den Tisch.
Lipurta saß im Hintergrund und feixte schadenfroh.
Hilda stand geknickt vor Gunnar und fragte zaghaft: „Gunnar, wie kann ich das wieder gutmachen? Es tut mir so leid um die schönen Lederstücken.“
Gunnar runzelte etwas die Brauen und meinte dann: „Mir tut es leid um die gute, fette Brühe. Na ja, wenn du es wirklich wieder gutmachen willst, dann holst du jetzt neue Brühe und schaffst es auch, sie hierher zu stellen. Dann schaust du zu, was ich hier mache.
„Rannveig, bringe doch bitte noch eine Öllampe her“, rief er.
Diesmal schaffte es Hilda, ohne zu stolpern, zwei gefüllte Becher vor Gunnar abzustellen.
Sie setzte sich zu ihm und nachdem sie von der Brühe getrunken hatte, schaute sie gespannt auf seine Hände.
„Eigentlich wollte ich Lipurta fragen, ob sie mit mir kommt, dass wir zusammen Bogenschießen üben. Es ist ja noch Zeit bis Alvitur seine Geschichten erzählt, aber ich möchte auch gerne sehen was du da machst, wenn ich schon mal hier in deinem Stinkehaus bin“, sagte Hilda, nun schon wieder etwas mutiger, zu Gunnar.
Lipurta mischte sich ein und meinte: „Mit dem Bogen schießen wird das wohl heute nichts mehr. Es dämmert ja gleich, oder wollen wir Sterne abschießen?“
„Schade“, erwiderte Hilda, aber es tat ihr nicht wirklich leid, denn sie schaute schon wieder ganz gespannt auf Gunnars Hände. „Was machst du da? Was wird das?“, fragte sie.
„Na, Hilda, wie sieht das hier aus?“
Hilda überlegte kurz. „Ich glaube, wenn du die Teile da zusammennähst, könnte es ein Köcher für Pfeile werden.“
„Stimmt, das soll es auch einer werden, ein neuer Köcher, für Ragnar“, erwiderte Gunnar. „Sieh mal, die Teile sind aber jetzt noch sehr weich, richtig wabbelig.
Wenn ich jetzt daraus einen Köcher machen würde, dann würde er doch am Gürtel immer herumschlabbern. Ich muss also das Leder steifer machen, damit es die Form behält, und genau das will ich jetzt machen.“
„Hm“, machte Hilda, fasste die weichen Lederteile an und fragte dann: „Und wie kriegst du das Leder fest?“
Gunnar deutete auf dem Topf, der über einem kleinen Feuer hing. „Hiermit, mit geschmolzenem Wachs. Wenn du dich dafür interessierst, komme doch einfach morgen vorbei. Ich zeige dir das dann in aller Ruhe. Vielleicht brauchst du ja auch eine Messerscheide, oder auch einen Köcher, dann können wir den zusammen herstellen.“
„Oh, ja, das wäre toll“, rief Hilda begeistert aus. „Ich glaube, ich würde gerne eine Messerscheide herstellen, die man an den Gürtel hängen kann und ein schönes Muster soll auch drauf sein. Ich kenne da jemanden, der nur so eine olle Hülle für sein Messer hat.“
„Na gut, versprochen“, sagte Gunnar, „komm also, wenn du nichts anderes zu tun hast, und merke dir auch, wie groß das Messer ist, damit die Scheide auch zum Messer passt.“
Nachdem Hilda noch eine ganze Weile interessiert zugeschaut hatte, stieß Gunnar sie an. „Nun geht aber ihr beiden, sonst verpasst ihr heute noch Alviturs Geschichten.“
Lipurta meldete sich: „Hier Vater, die Schnüre sind auch fertig. Es sind ganz viele. Ich geh dann mal mit Hilda.“ Sie legte vor Gunnar ein ganzes Knäuel frisch gefetteter Lederschnüre hin und griff sich ihren dicken Winterpelz.
„Kommt ihr auch mit?“, fragte Hilda.
„Nein, Hilda, heute nicht. Gunnar will den Köcher fertig machen und ich leiste ihm hier lieber Gesellschaft, als nutzlos dort herumzusitzen. Wir kennen doch all die Geschichten, die Alvitur dort erzählt. Aber geht nur, es ist schon spannend, wie er das immer macht.“
Rannveig hielt den beiden Mädchen noch zwei Äpfel und zwei Stücken Trockenfleisch hin, dann strich sie Lipurta kurz über den Kopf. „Nun lauft ihr zwei Hübschen, sonst bekommt ihr nur noch einen Platz in der hinteren Reihe.“
Die Mädchen zogen ihre Kapuzen weit über den Kopf, banden die Kragen fest zu und machten sich auf den Weg zum Langhaus.
Inzwischen war es draußen schon dunkel geworden und der von ihren Füßen aufgeworfene Schnee stob im Vollmondlicht hell auf. Der Weg war zwar nicht weit, aber trotzdem fassten sich die Mädchen an den Händen und liefen mit schnellen Schritten.
Nachdem sie die Tür hinter sich zugemacht hatten, brauchten