Ungelöste Rätsel. Reinhard Habeck
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Ein kleines „Schlupfloch“ führt eine Etage tiefer. Manche Bereiche sind noch unerforscht.
Ausflug zum „geschützten Baujuwel“
Bei meinen Mystery-Pyramiden-Exkursionen wie immer mit dabei: meine Lebensgefährtin Elvira. Wir steuern in Nizza das nächste Tourismusbüro an und machen uns über den besten Reiseweg kundig. Was wir ernten sind ein müdes Lächeln und ungläubiges Kopfschütteln: „Eine Pyramide? Hier in der Umgebung von Nizza? Noch nie gehört!“
Eine passende Straßenkarte von Nizza und Umgebung hilft weiter. Wir starten bei der Station Carnuschi im Norden von Nizza. Mit der öffentlichen Buslinie 25 geht es weiter Richtung Falicon. Wir machen einige Stationen vorher halt zwischen Aire Saint-Michel und La Bastide. Laut Plan kann es nicht mehr allzu weit zum ersehnten Zielort sein. Doch selbst hier, nicht unweit des markanten Bauwunders, scheinen Einheimische das „historische Denkmal“ nicht zu kennen. Seltsam, nirgendwo eine Information, die auf das geschützte Monument hinweisen würde. Erst nach mehrmaligem Nachfragen erinnert sich ein Anrainer daran, dass er vor Jahrzehnten im Gelände eine Ruine besichtigt habe, die die gesuchte Pyramide sein müsste. Er weist uns den Weg, der über schmale Gassen an Villen und Gartenhäuschen vorbeiführt. Es geht steil bergauf bis zum Eingang des Naturparks La Vallière. Wir Stadtmenschen kommen ins Schwitzen.
Vor uns jede Menge Trampelpfade, aber kein Wegweiser direkt zur Pyramide. Wir wandern allein. Nach einer knappen halben Stunde erblicken wir alte Mauerreste eines Steinhäuschens. Dahinter führt ein schmaler Trampelpfad hinaus ins freie Gelände. Wir marschieren über Privatbesitz (der öffentlich genutzt werden darf) weiter. Nach etwa zehn Minuten Spazierengehen durch wilde Naturlandschaft taucht vor uns ein großes Buschwerk auf und dahinter versteckt endlich die Silhouette der legendären Pyramide! Spätestens hier würde jeder Wandervogel einen Hinweis erwarten, der über das „geschützte Denkmal“ nähere Auskunft gibt. Nichts dergleichen. Das Bauwerk steht völlig isoliert am steilen Hang auf 430 Metern Seehöhe und ist nur mit Mühe zu finden. Selbst der Eingang in die Höhle präsentiert sich uns ungeschützt. Es gibt weder ein Sicherheitsgitter noch warnt ein Schild vor der Gefahr, dass es hier senkrecht in den Kraterschlund geht. Würden Elvira und ich einen Abstieg wagen, Hals- und Beinbruch wären uns garantiert. Langsam dämmert uns, dass die Behörden und Grundstücksbesitzer offenbar kein wirkliches Interesse daran haben, Touristen und Wanderer zum historischen Denkmal zu lotsen. Wer es dennoch bis zum begehrten Ziel geschafft hat, wird nicht enttäuscht. Schon der Panoramablick in die umliegenden Täler und Hügel, bis hin nach Nizza und der Mittelmeerküste, ist atemberaubend und entschädigt für jede Strapaze.
Denkmalgeschützt, aber wenig geehrt: versteckte Pyramidenruine bei Nizza
Blick von der Pyramidenplattform hinunter zum Grottenschlund
Und natürlich die Pyramide! Besser gesagt das, was von ihr übrig geblieben ist. Ihre Hauptkanten und Grundlinien mit Längen zwischen 5 und 6,50 Metern sind noch gut erhalten. Dennoch haben natürliche Erosion und Vandalismus Spuren hinterlassen. An den kleinen abgerundeten Steinplatten, die vielleicht ursprünglich mit einer geglätteten Kalkschicht überzogen waren, wird das im Detail sichtbar. Der obere Abschnitt fehlt. Ob mutwillig zerstört, von Souvenirjägern abgetragen oder als Baumaterial anderweitig verwendet, bleibt ungeklärt. Setzt man voraus, dass die Pyramide oben spitz zulief, muss sie einst neun Meter hoch gewesen sein.
Die unbeachtete „Zwillingsschwester“
Von der Markierung als Höhleneingang oder als Freimaurersymbol einmal abgesehen, haben Historiker noch eine andere nüchterne Erklärung für das Bauwerk parat: Die Falicon-Pyramide sei demnach einfach ein Werk, das an Napoleon Bonapartes Ägyptenfeldzug (1798 – 1801) erinnern soll. Sie wäre nichts weiter als eine Folge und Ausdrucksform der „Ägyptomanie“, die damals als gesamteuropäisches Phänomen populär war. Zeitlich würde das passen. Parks und Gärten des späten 18. Jahrhunderts und Friedhöfe des 19. Jahrhunderts sind übersät mit Denkmälern in Pyramidenform. Imposante Standbilder lassen sich unter anderem auf dem Marktplatz von Karlsruhe, im Barockgarten von Potsdam, im Schlossgarten Garzau oder im Branitzer Park bei Cottbus entdecken. Bleibt man in der Region Côte d’Azur, dann bietet sich ein Ausflug zum Schlosshügel von Nizza an. Hier liegen nebeneinander ein christlicher und ein jüdischer Friedhof (Cimetière du Château) mit sehenswerter Architektur im neoägyptischen Baustil.
Die Falicon-Pyramide hat eine „Zwillingsschwester“ in Marseille: die Pyramide „Roy d’Espagne“ (historisches Foto um 1900).
Was bei der „Ägyptomanie“-These dennoch irritiert: Die Verbindung zwischen Pyramidendenkmal und der Funktion als Höhleneingang. Das ist, wenn man die Bestimmung als Grabmal ausschließt, recht ungewöhnlich. Und ist es wirklich plausibel, dass ein napoleonisches Ehrenmal an einem wenig sichtbaren und schwer zugänglichen Ort errichtet wird? Wäre es nicht Sinn und Zweck eines solchen Gedenksteins, dass man ihn auch sieht und rühmt?
Eine bislang unbeachtete Spur führt 150 Kilometer westlich in die Hafenstadt Marseille. Hier steht versteckt in einer Parkanlage des 8. Stadtbezirks die Zwillingsschwester der Falicon-Pyramide! Sie trägt den Namen „Roy d’Espagne“ („König von Spanien“) und wurde um 1804 in der gleichen Bauweise und Größe wie die Falicon-Pyramide errichtet. Aus den spärlich vorhandenen Chroniken erfahren wir, dass damals ein gewisser Dominique Bastide Besitzer des inzwischen abgerissenen Schlosses Roy d’Espagne war. Er gilt als Architekt der Steinpyramide, die er als Mausoleum für seine Familie errichten ließ. Bastide? Der Name klingt mir im Zusammenhang mit der Falicon-Pyramide im Ohr. Der Ortsteil, wo das Bauwerk und die Ratapignata-Grotte liegen heißt La Bastide!
Die auffälligen Gemeinsamkeiten lassen auf eine vereinte Geschichte schließen. Wieso nahmen Historiker bislang keine Notiz davon? Auch die Frage, woher die Inspiration zum Bau der beiden Pyramiden kam, liegt im Dunkeln. Auswüchse der damals stark verbreiteten „Ägyptomanie“? Denkbar, aber keine zwingende Schlussfolgerung. Für beide Pyramiden charakteristisch ist der extrem schräge Neigungswinkel ihrer Seitenlängen.
Die Pyramidenreste von Autun
Neben den Zwillingsbauten von Falicon und Marseille existiert noch eine weitere außergewöhnliche Pyramide im Département Saône-et-Loire. Ihre Überreste liegen auf einem römischen „Urnenfeld“ nahe der Ortschaft Autun (das frühere Augustodunum) im Osten der Region Burgund. Der Monumentalbau mit steilem Neigungswinkel und elf Quadratmetern Bodenfläche hatte die Höhe von 33