Die Weisheit der Götter. Rupert Schöttle

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Die Weisheit der Götter - Rupert Schöttle

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den Intentionen des Komponisten mit Demut und Respekt zu begegnen. Natürlich ist es letztlich die Deutung, die den Werken Leben einhaucht und es für die heutige Zeit interessant macht. Ich begegne diesen Ideen stets mit großem Interesse und genieße es, mit verschiedenen Regisseuren zu arbeiten und ihre Gedanken zu teilen.

       Seit dem 20. Jahrhundert besteht das Konzertprogramm zu 90 Prozent aus Musik schon längst verstorbener Komponisten. Worin liegt Ihrer Meinung nach die Begründung dafür?

      Genau aus diesem Grund tun wir in Los Angeles alles dafür, um das zu ändern. Während meiner ersten sechs Jahre als Musikdirektor haben wir mehr Werke in Auftrag gegeben und aufgeführt als jemals zuvor in der 98-jährigen Geschichte des Orchesters. Im Mai 2016 etwa haben wir Arvo Pärts neues Werk „Greater Antiphones“ zur Uraufführung gebracht, sodass ich nun insgesamt 21 Kompositionen zur amerikanischen Erstaufführung oder Welturaufführung gebracht habe, ganz zu schweigen von den anderen Dirigenten meines Orchesters. Wir feiern die neue Musik – und auch wenn es schwer zu glauben ist, unsere Konzerte mit neuer Musik sind restlos ausverkauft!

       Es gibt immer mehr sehr gute Orchester und immer weniger herausragende Dirigenten. Woran liegt das?

      Ob ein Orchester außergewöhnlich oder nur mittelmäßig spielt, hängt davon ab, inwieweit sich der Dirigent in das Kollektiv einbringt. Taktschlagen ist die einfachste Übung – eine viel größere Rolle spielt die Psychologie, die weit über die Ausübung der Musik hinausgeht. Deshalb ist es so wichtig, dass junge Dirigenten nicht alleine die technische Seite des Handwerks lernen, sondern sich auch die Zeit dafür nehmen, in Ruhe ihre eigenen Gedanken zu entwickeln.

       Welche gesellschaftliche Aufgabe hat die Musik in der heutigen Zeit?

      Die klassische Musik ist heutzutage nicht mehr länger an ein bestimmtes Land oder an eine bestimmte Kultur gebunden. Sie ist global und universell zugleich. Genau das versuchen wir mit El Sistema in Venezuela zu zeigen, ungeachtet der Tatsache, dass wir dort den Zugang zur Musik für jeden ermöglicht haben. Dabei wollen wir keine Musiker heranzüchten. Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln und sich selbst zu verwirklichen. Unser Ziel ist es, etwas Gutes für jeden Einzelnen zu erreichen. Einen gemeinsamen Fortschritt also, mit dem Ziel, dass Kinder und Jugendliche den Großteil ihrer Zeit sinnvoll verbringen können. Dadurch werden ihre Emotionen in die richtige Richtung kanalisiert, nämlich auf die Suche nach der Schönheit. Die Kunst ist der wichtigste Teil unserer Erziehung, sie gibt uns die Möglichkeit, etwas Schönes zu schaffen. Die Zeit ist unser größtes Kapital und wir müssen sie nutzen, um unsere natürliche Sensibilität zu nutzen und uns zu besseren Menschen zu entwickeln.

       Wären Sie kein Dirigent geworden, welchen Beruf hätten Sie ergriffen?

      Da bin ich mir ganz sicher: Ich wäre Koch geworden! Ein ganz dicker Koch – denn meine zweite Leidenschaft ist kochen und essen. Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Vergnügen mir gutes Essen bereitet!

       Welcher Dirigent ist Ihr Vorbild und warum?

      Das ist eine schwierige Frage: Karajan, Harnoncourt, Bernstein, Giulini und natürlich Claudio! Abbado war wie ein Vater zu mir und ich vermisse ihn schrecklich!

       Was war Ihr bewegendstes Musikerlebnis?

      Meine Inspiration, Motivation und Energie bekomme ich durch die Begeisterungsfähigkeit der Kinder in meinen musikalischen Projekten überall in der Welt. Manchmal fühle ich mich wie deren geistiger Vater.

      Es erfüllt mich mit großem Stolz, wenn die jungen Menschen gemeinsam so viel Freude in der Musik erleben, und ich fühle mich davon so erfüllt, wenn ich in Caracas war.

      Ich erinnere mich genau daran, als ich das erste Mal in einem Orchester spielte, an einem der letzten Pulte der zweiten Geigen in einem riesigen Orchester von ungefähr 300 Musikern und Maestro Abreu zu mir sagte: „Setz dich hin, erlebe die Erfahrung, höre zu und spiele.“ Und ich tat, wie mir geheißen. Glauben Sie mir, ich hatte keine Ahnung von den Noten, aber in diesem Klangmeer zu sitzen und zu spielen, als gäbe es kein Morgen … Ich spielte wie besessen. Dieser unbeschreibliche Moment von gemeinsamer Anstrengung, das war unglaublich inspirierend für mich.

       Womit verbringen Sie am liebsten Ihre Freizeit?

      Freizeit habe ich nicht viel, aber die verbringe ich am liebsten mit meiner Familie.

       Was hören Sie in Ihrer Freizeit?

      Alles. Ich bin mir nicht sicher, ob es irgendeine Musikrichtung gibt, die ich nicht in meiner Sammlung habe. Und wenn nicht, dann habe ich sie wahrscheinlich im Internet gefunden.

       Sind Interpretationsschemata dem Zeitgeist unterworfen?

      Absolut!

       Welche Art von wissenschaftlicher Forschung würden Sie unterstützen?

      Ich bin vom menschlichen Gehirn fasziniert: Es ist so komplex, wunderbar und geheimnisvoll.

       Würden Sie noch einmal geboren, was würden Sie anders machen?

      Nichts.

       Welche drei Dinge würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?

      Ich benötige nichts außer der Liebe meines Lebens.

       Welches Motto steht über Ihrem Leben?

      „Keine Wirkung ist ohne Ursache. Und wir leben in der besten aller Welten.“

      (Nach Voltaires „Candide“.)

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