Der Lucas ist los!. Jeff Lucas
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Ich legte beiden meine Hände auf, und dann begannen die Schwierigkeiten. Eigentlich wollte ich mit vollmächtigem Ernst beten und darauf bestehen, dass jede Spur der Krebserkrankung augenblicklich aus diesem Körper verschwinden möge. Ich wünschte mir sehnlichst, James von jeder mutierten Zelle freizusprechen, damit er erleben könnte, wie seine Enkelkinder groß wurden. Aber das konnte ich nicht. Über die Jahre habe ich Amen zu so manchem Gebet gesagt, das vergeblich darauf bestanden hatte, der Krebs möge ausgetrieben werden. Ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass Gott imstande ist, Menschen zu heilen, und dass er es auch heute noch manchmal an manchen Orten tut. Ein Arzt, mit dem ich befreundet bin, betete einmal für einen Mann mit unheilbarem Krebs – es hatten sich schon einige Metastasen gebildet. Weniger als fünf Prozent der Erkrankten überleben diese Krebsart für länger als zwei Jahre. Das ist jetzt etwa sechs Jahre her, und der Patient ist immer noch sehr lebendig und erfreut sich bester Gesundheit. Doch meine eigene Zuversicht im Blick auf Heilungsgebete hat Beulen bekommen. Mir fällt es schwer, zu erkennen, wofür ich beten soll, und ich habe schon zu oft Prediger gehört, die Heilungsgebete mit dem Vorbehalt „wenn es dein Wille ist“ als weichlichen Kleinglauben verhöhnten (obwohl Jesus selbst uns gelehrt hat, genau diese Worte zu sprechen).
Also betete ich, Gottes Gnade möge James und seine Familie tragen und Gottes Eingreifen möge sichtbar werden, auf welche Art und Weise auch immer. Ein paar Minuten später verabschiedete ich mich von James in der Hoffnung, dass es kein endgültiger Abschied war. Draußen auf dem Parkplatz bedankte sich sein Sohn überschwänglich bei mir, weil ich ihnen ein paar Sekunden geschenkt hatte. Dabei musste eigentlich ich mich bei ihm bedanken. Menschlich gesehen habe ich viel mehr Zeit als sein Vater. Aber so war er nun einmal: dankbar und freundlich. Wie der Vater, so der Sohn.
Kurz darauf im Auto wurde mir klar, dass ich gerade eines der Wunder des Lebens zu sehen bekommen hatte: einen Mann in den Momenten seines eigenen Sonnenunterganges, der im Frieden war und mit Würde dem Sterben entgegenging. Ich wünschte sehr, James würde wieder gesund werden und Gott würde sich als größer erweisen als der Krebs. Doch selbst wenn der Krebs ihn schon bald dahinraffen sollte, wird er nicht gesiegt haben, denn dieser Sonnenuntergang wird nicht in völliger Dunkelheit enden. Das Licht der Hoffnung und des Glaubens, das Licht, das Jesus ist, die Auferstehung und das Leben, kann nicht überwunden werden, nicht einmal vom Tod selbst.
Sie sind ein wunderbarer Sonnenuntergang, James. Ich bin froh, dass ich Sie nicht verpasst habe.
BATMAN
Ich glaube, ich verwandle mich in eine Fledermaus. Die Metamorphose ist schon weit vorangeschritten. Es ist beunruhigend, dass ich jetzt täglich mit dem Kopf nach unten hänge, seit ich mir kürzlich ein neues Gymnastikgerät angeschafft habe. Mein letzter Geburtstag enthielt die Ziffer 5 (vorne), und ich bekomme schon Briefe von der Amerikanischen Ruheständlervereinigung, mit tollen Sonderangeboten für die dritten Zähne und Vorzugspreistickets für Busausflüge ans Meer. Meine Frau hat sich schon grinsend erboten, mir eine warme Decke für meine Knie zu stricken.
Deshalb habe ich mir im fieberhaften Bemühen, mir meine Jugend zu erhalten, einen sogenannten Inverter gekauft. Diese merkwürdige Maschine sieht aus wie ein Folterinstrument, und genau das ist sie auch. Wenn ich darin festgeschnallt bin, dreht mich die Maschine auf den Kopf, sodass meine Wirbelsäule gestreckt wird und jeder Milliliter Blut in meinen Kopf fließt. Ich sehe dann stundenlang aus, als ob ich vor Verlegenheit puterrot sei. Stark übergewichtige Leute sollten von diesem Kopfstand lieber die Finger lassen: Eine Gehirnerschütterung, nachdem einem der eigene Bauch mit voller Wucht an den Kopf gerammt ist, ist kein Vergnügen. Auch Kay invertiert sich täglich, getreu dem Motto: Eine Familie, die zusammen mit dem Kopf nach unten hängt, bleibt zusammen. Man kommt sich dabei wirklich vor wie eine Fledermaus. Angeblich tut es uns gut, uns täglich so hängen zu lassen, obwohl ich davon noch nicht völlig überzeugt bin. Bisher haben sich in meinem Leben noch keine der praktischen Nebenwirkungen des Fleder-mausdaseins gezeigt, wie zum Beispiel eingebauter Radarsinn, Nachtsicht oder die Fähigkeit, aus zweihundert Meter Entfernung eine leckere Maus auszumachen.
Doch der Hauptgrund, warum ich mir Sorgen mache, ich könnte mich in einen Eptesicus fuscus (so der vornehme lateinische Name der Fledermaus) verwandeln, ist meine Entdeckung, dass Fledermäuse ihr ganzes Leben lang schreien. Das gehört für sie einfach dazu. Es hat mit ihrem eingebauten Navigationssystem zu tun. Früher dachte ich immer, diese kleinen Tierchen wären blind wie, nun ja, eben Fledermäuse. Doch nach eingehenden Nachforschungen (also fünf Minuten im Internet) bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass das nur ein moderner Mythos ist, so wie die lächerlichen Vorstellungen, Elvis sei gar nicht tot, sondern lebe in Birmingham, oder ein Overhead-Projektor sei eine großartige Erfindung. In Wirklichkeit haben Fledermäuse ein ausgezeichnetes Sehvermögen – nur stützen sie sich zum Überleben nicht auf ihre Augen, sondern auf ihre sogenannte Echoortung. Mit der Echoortung ist die Fledermaus in der Lage, Schallwellen hoher Frequenz auszusenden, die von einem Objekt, etwa einer vorbeifliegenden Mücke, zurückgeworfen werden und ein bestimmtes Schall-„Echo“ erzeugen, das zu den Ohren der Fledermaus zurückkehrt. Kurz, Fledermäuse halten sich durch Schreien am Leben. So machen sich die kleinen Viecher einen Reim auf ihr Dasein – indem sie pausenlos schreien und dann registrieren, wie die Welt auf ihr Geschrei reagiert.
Fledermäuse verbringen also ihr Leben mit Schreien. Sie schreien sich gegenseitig an, sie schreien ihr Mittagessen an, sie schreien die Bäume an, sie schreien ihre Nachbarn an, und sie schreien ihre Babys an. Sie werden schreiend geboren und sterben schreiend, und wenn sie richtig in Fahrt sind, können sie bis zu zweihundert Schreie pro Sekunde ausstoßen. Die meisten davon sind für menschliche Ohren nicht hörbar, und dafür sollten wir dankbar sein.
Und damit wären wir bei mir.
Ich schreie eigentlich gar nicht so viel, zumindest nicht laut. Aber ich habe gemerkt, dass ich viel zu viel Zeit meines Lebens damit verbringe, innerlich zu schreien, außer Hörweite von anderen. Manchmal lebe ich mit einem köchelnden Ärger, einem stummen Schrei, dem emotionalen Äquivalent eines Wasserkessels, der ständig knapp unter dem Siedepunkt ist. Ich lasse mir den Abend versauen von jener britischsten aller Traditionen, der schlechten Bedienung im Restaurant, und statt über die ungeschickten Sitcom-Eskapaden in „Fawlty-Towers“ zu lachen, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Ich mosere über die Benzinpreise, brodele innerlich über den verstopften Parkplatz der Londoner Ringautobahn, der sich M25 nennt, und schüttele genervt den Kopf über die erbärmliche Banalität einer Kultur, die auch nur das geringste Interesse für das Big-Brother-Haus aufbringt. Ich ärgere mich über ein Lobpreislied, das von mir verlangt zu behaupten, ich wäre wegen Jesus in jeder wachen Sekunde in Ekstase, und hege gewalttätige Gedanken gegenüber dem komischen Typen im Zug, der auf seinem Handy einen Barry-Manilow-Klingelton hat. All diese Dinge haben sich verschworen, um mich beständig innerlich schreien zu lassen. So wird die Dankbarkeit in ein unaufhörliches inneres Geschimpfe verkehrt, das dicht unter meiner Haut vor sich hinköchelt.
Es gibt Leute, die das Geköchel noch einen Schritt weiter treiben und jeden wachen Moment ihres Lebens buchstäblich schreiend verbringen. Das Klagen ist ihre Stärke, und sie sind nicht zufrieden, wenn sie nicht unzufrieden sind. Unaufhörlich stellen sie andere auf die Probe, um herauszufinden, was für eine Reaktion sie mit ihrem Geschrei hervorrufen können. Wut ist das, was sie am besten können, und so besteht jeder Tag aus einer neuen Reihe von Begegnungen, bei denen sie anderen auf die Nerven gehen, sie auf die Palme bringen und sie heruntermachen.
Was für ein Leben – man sieht alles auf dem Kopf stehend, meistens im Dunkeln, schreit herum und hält sich meistens dicht neben einem Haufen Fledermausdung auf. Toll für den Eptesicus fuscus.
Schlecht für den Homo sapiens.
DAS SCHWERT DER
WAHRHEIT IN DER HAND
Heute