Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 34/35. Группа авторов

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Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 34/35 - Группа авторов

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die Realität die Kunstwerke nachahmen«38. Dass es die Kunst gibt, deutet also gerade darauf, dass »etwas« erscheinen kann, »was es nicht gibt«39: auf »ein nicht gegenwärtiges Wesen, das der Möglichkeit«, das ohne die Kunst keine Chance hätte, hervorzutreten. Dem aber bleibt, setzt Adorno hinzu, »Schein gesellt«40: der scheinlose Schein, der auch der Wahrschein heißen könnte.

      Das Element des Scheins bleibt der Kunst essentiell – kein Werk, das nicht durch seinen Gehalt wäre, was es scheint, und durch seine Gestalt schiene, was es ist. Solche Paradoxie ist nicht dazu angetan, die raison d’être der Werke plausibler zu machen; sie macht sie erst recht rätselhaft. »A priori bringt Kunst die Menschen zum Staunen« – über die Kunst nicht weniger wie über das, was sie auf welche Weise immer zur Darstellung bringt; zum Staunen, »so wie vor Zeiten Platon von der Philosophie es verlangte, die« – aber – »fürs Gegenteil sich entschied«41. Der Rätselcharakter der Kunst steht für das Reagieren auf das, was ist, als auf das Subjekt-Andere, das Fremde, das, zu dem das Ich selbst werden kann: nicht erst in der späten Kunst des Dévoilement, seiner Sezierung, sondern schon früh, wie die Mythen vor Augen führen, in denen der Mensch das Rätsel ist. Jenem staunen machenden Andern und Fremden werden die Werke das Medium, in dem sie das bleiben oder aber erst zeigen, was sie sind: unassimiliert, gleichwie ein Exotisches in seinem Glanz der Ferne ›so nahe es sein mag‹, das gleichzeitig geheimes Grauen einflößt; Benjamin sprach von der Aura schon des Dinges selbst, nicht erst des Kunstwerks. Schließlich ist die Werkgestalt, die die Reaktion samt ihrem Movens festhält, selber das Fascinosum: das was zugleich verwundert und frappiert. Noch in den spätesten, vergeistigtsten Gebilden macht sich »das Grauen der Vorwelt« fühlbar, von dem Adorno sagt, dass »alle Kunst« sein »Seismogramm« bleibt – das Grauen, das »sich verwandelt«, doch »nicht verschwindet«42 und das das Genre des »Horrorfilms« und des »Monsterfilms« mit größtem Erfolg am Verschwinden hindert.

      Sowenig an Werken, die anrühren, der Schauder verschwindet, sowenig verschwindet ihr Rätselcharakter. Eine Abklärung des Grundcharakters der Kunst scheint nahzuliegen: dass Kunst nämlich ein herüberragendes Residuum alter und uralter Religiosität, ihr »Rätsel« also Mysterium sei. Adorno warnt vor dieser Gleichsetzung – trotz unzweifelhafter historischer Genesis der Kunst in der Religion.43 Denn wenn sie auch in Religion entsprang, so hat sie sich doch zu einem toto genere anderen entfaltet, als sie am Anfang war: magische und kultische Praxis. Die Reduktion darauf setzte sich über die Differenz beider hinweg. Die Manifestation »immanenter Transzendenz« in der Kunst, die sich vom Ritual emanzipierte, von der parasitären Teilhabe an ihm,44 ist nicht dasselbe wie die durch Beschwörung veranstaltete Epiphanie. »Kein daseiendes, erscheinendes Kunstwerk ist des Nichtseienden positiv mächtig«, jenes Anderen am Wirklichen, das es aufscheinen macht, ohne je es haben und halten zu können wie ein Wirkliches. »Das scheidet die Kunstwerke von den Symbolen der Religionen« – im strengen Sinne gibt es keine anderen –, »welche Transzendenz der unmittelbaren Gegenwart in der Erscheinung« – also etwa des Corpus Christi in der Hostie oder schon Gottes selbst im Corpus Christi – »zu haben beanspruchen. Das Nichtseiende in den Kunstwerken« ist nicht durch sie symbolisiert, das Werk überhaupt nicht Symbolform, sondern das Nichtseiende »ist eine Konstellation von Seiendem«45, die das Werk mimetisch zum Ausdruck gelangen lässt. – Die Emphase Adornos erinnert an die Benjamins, nach dem das, in einem bestimmten Sinn regressive, Ineinanderwirren der Sphären von Kunst und Religion vom klassisch-romantischen Denken verschuldet ist: durch die theologische Interpretation des Verhältnisses von Wesen und Erscheinung als Offenbarung des Wesens in der Erscheinung, so, dass dieser der Rang des Symbols zuwachse.46 Das aber läuft auf die alte Idolatrie hinaus, die Vergötzung des Endlichen, welches die Art sei, wie das Unendliche in der Welt ist. Die Kunst, die mimetisch ans Endliche, den sinnlichen Schein sich klammert, verklärt und rechtfertigt das Endliche; Gottesdienst fällt in den Bilderdienst zurück, dieser in die Vergoldung der Welt. Der Vergeistigungsprozess der Kunst, der mit ihrem Emanzipationsprozess zusammenfällt, ist hintertrieben; der dialektische Vorgang, der jedes Bild als Schrift »offenbart«47, ist auf lange sistiert. – In seinem Theorem von der »unsinnlichen Ähnlichkeit« hatte Benjamin vom Lesen gezeigt,48 dass es in jenem Prozess die eigentlich vermittelnde Instanz zwischen Anschauung und Geist, Bild und Logos ausmacht. Im Lesen werden die sinnlichen Züge in ihrer geistigen Bedeutung – die sie von ihrer Erschaffung her, durchs göttliche Pneuma, haben – aufgeschlossen.

      Hier zeigt sich vor allem die der Kunst zuwachsende Bedeutung als einer Erkenntnisart: der des physiognomischen Auffassens und Begreifens dessen, was ist, anstelle von dessen bloßer Bekräftigung durch wiederholende Mimesis im Abbild. – Das Telos des Vergeistigungsprozesses der Kunst ist die »bilderlose« Erkenntnis der Sache im Gedanken. »Der Gedanke ist kein Abbild der Sache […] sondern geht auf die Sache selbst«, durchschlägt, was von ihr erscheint: ihr Bild durch das sie wesentlich präsent sein soll; doch »was ans Bild sich klammert, bleibt mythisch befangen, Götzendienst«49. Noch die säkulare, areligiöse Abbild- und Widerspiegelungstheorie und ihr ästhetisches Analogon, der Abbildrealismus, huldigen ungewollt dem Fetischismus, der Idolatrie, über die sie doch hinaus zu sein wähnen; sie verfehlen gleicherweise das Objekt als substantielles: die Sache hinter ihrem Abbild, wie das Subjekt, das sie zum passiv-registrierenden in der Erkenntnis, zum mimetisch-repetitiven in der Kunst degradieren, unter Verleugnung seiner Spontaneität, seines Ansich, das dem Ansich der Sache entgegendrängt, um ihm zum Ausdruck zu verhelfen.

      Retrospektiv aufgefasst ist der Bildcharakter, der, über das Schrift-Wesen der Kunst, in ihrem Erkenntnischarakter sich aufhebt, jedoch selbst bereits eine Errungenschaft, ein Fortschritt in der Naturgeschichte der Kunst. »Die Nachahmung«, wie sie im Abbildcharakter sich niederschlägt, ist »der Inbegriff von Verständnis diesseits des Rätselcharakters«50, den Mimesen – ob gestisch, ob figurativ – sogleich annehmen, wenn sie Kunstwerke werden. Die Mimesis diesseits der Kunst ist daseinspraktische, dem Überleben dienende Verhaltensweise, von welcher die unnützliche, spielerische später deriviert. Sie ist erzwungen, mimetischer Zwang, sie zeigt sich reaktiv – reaktiv auf das Übermächtige, dem das Subjekt etwa mit Mimikry, Sich-Totstellen durch Gleichmachen mit dem Anorganischen, durch Regression, respondieren muss. Oder es begegnet ihm, indem es dem Ängstigenden, Schrecklichen im Ausdruck des Erschreckens sich gleichmacht; dessen, den das Schreckliche, wie bei der Medusa, in ihm hervorruft. Durch Wiederholung des Furchtbaren wird das Furchtbare objektiviert: als Ausdruck, so wie ihn die Maske fixiert; als Laut, Schreckensruf, wie er im Wort instrumentalisiert, in Begriff und Bedeutung sublimiert ist; als Bild, wie es das Angeblickte präsent hält und bannt zugleich. Durch Wort und Maske, durch Bild und Begriff wird das Subjekt-Andere, Übermächtige, das was verfügt, selber verfügbar. In der reduplicatio ist der Zauber, die Essenz des Wesens, seine Macht versachlicht und durch die Versachlichung manipulierbar, gegen das Wesen selber dirigierbar geworden – ein Sieg des Subjekts über das Subjekt-Andere, der es, wie wahnhaft auch immer, nicht länger die Beute der unsinnigsten Schrecken sein lässt, wiewohl es andererseits in der projektiven Abwehr den Schrecken erst recht hervorbringt. Das Subjekt lernt seinen Zwang zur Mimesis bezwingen: ob in der Weise der List, mit der es durch Anschmiegen an die Natur dieser die Kenntnisse entlockt, die sie ihm ausliefern; ob in der Weise der Kontemplation – durch nicht-instrumentelle Theorie und durch Kunst, die im Ausdruck und Bild der Natur, in ihrem Begriff, einem »begriffsfeindlichen Begriff«, wie Adorno sagt;51 einem durch den ein Seiendes in seiner Komplexion und Tiefe aufgefasst, nicht durch »Oberflächenrationalität« identifiziert wird – mit der es die Natur nicht manipulieren, überlisten und verstümmeln sondern dem Blick, dem Ohr, dem erkennenden Geist darstellen will. Ihr eigenes Wesen soll sprechen, sei’s das unalterierte, sei’s das alterierte, nachdem es die Verstümmelung erfuhr – sprechen, ohne dass ihr das Wort abgeschnitten, ohne dass die Klage unterdrückt wird.

      Die Mimesis als Element im Vergeistigungsprozess wäre nicht ohne die primäre, den archaischen Imitationstrieb – Mimikry und mimétisme –, der zu ihr sich sublimierte. Im Sublimat hat die Mimesis ihre »archaische Rationalität«, den praktischen Sinn, eingebüßt. »Kunst bleibt übrig nach dem Verlust dessen an ihr, was einmal magische, dann kultische

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