Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 34/35. Группа авторов

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Sinn infiltrierte, was soll sie dann selbst sein?«52

      Die magische und kultische Gebrauchsfunktion macht die Kunst den Menschen vertrauter, geheurer als ihre emanzipierte Funktionslosigkeit, durch die sie zu etwas Unheimlichem, Nichtgeheurem wird, bloß deshalb, weil sie den abergläubischen Sinn – in Wahrheit also das Unsinnige – verlor. Angesichts dessen drohen die Werke schnell wieder »abzustürzen« in den Mythos, dem sie prekär sich entrangen«53. Ihre »Analogie zum astrologischen Aberglauben, der ebenso auf einem angeblichen Zusammenhang beruht, wie ihn undurchsichtig läßt«, drängt sich auf nicht bloß in jenem hermeneutischen Verhalten zu den Gebilden, das diese wie Orakel befragt und traktiert: sie kommt in ihrer Produktion selber zum Ausdruck, wenn diese als Verfertigung und Stiftung von Symbolen sich versteht, die, man weiß und durchschaut nicht wie, die Mächte und das Schicksal, das Sein und die Mitte oder welche Obskurität immer vertreten sollen und diese bedeutungsvoll winken lassen. Dergestalt ist »der Makel der Kunst […] ihre Querverbindung zur Superstition«54, zur Überantwortung des Bewusstseins an den Sinn-Ersatz. Um ihren Begriff zu erfüllen, darf sie daher auf den Stufen der Sinnsubstituierung weder verharren noch sich festhalten lassen. »Sinn gewinnt« die Kunst »durch die Gestaltung ihres emphatisch Sinnlosen«55: in der Negation der äußeren Zwecke, der zarten Statuierung der inneren, der Selbstzwecke, durch die sichtbar wird, was möglich wäre inmitten des Wirklichen, das das Mögliche despotisch niederhält.

      Eben dieses, dass Kunst etwas ist, auch wenn sie ohne Sinn, ohne Zweck ist, macht sie zu dem Unverständlichen in der Welt der äußeren Zwecke. Doch ohne dies Paradoxe, Zwecklosigkeit zum Zweck zu haben, kantisch »Zweckmäßigkeit ohne Zweck«56 zu sein, wäre sie nicht die Kunst. An ihrer »Funktion der Funktionslosigkeit« ist der »Überrest«, das Residuum ehemaliger magischer Praktik nicht zu verkennen: Sie ist »funktionslos gewordene Mimesis« und präludiert den Satz, »der Überbau wälze langsamer sich um als der Unterbau«; »alle Kunst« trägt »an einer verdächtigen Hypothek des nicht ganz Mitgekommenen, Regressiven«57. Aber gerade darin – in der Entbindung vom praktischen Zweck – ist ihr die Kraft zugewachsen, das Fortschreiten, die Rationalisierung und anwachsende Naturbeherrschung aus der spielerisch-kontemplativen Distanz als das zu erkennen und zu denunzieren, was im Progress die Natur verstümmelt. In der Kunst »versammelt sich, was seit undenkbaren Zeiten von Zivilisation gewalttätig weggeschnitten, unterdrückt wurde samt dem Leiden der Menschen unter dem ihnen Abgezwungenen, das wohl schon in den primären Gestalten von Mimesis sich äußert«58: In Zeiten, da der magische Zweck und die zwecklose ästhetische Verhaltensweise noch nicht voneinander geschieden sind, bekundet diese daher schon, was jenem konträr ist – nämlich den »Einspruch gegen Verdinglichung«, gegen mimetische reduplicatio des Seienden im Abbild um seiner Manipulation willen.

      Schon die ältesten Höhlenzeichnungen zeigen nämlich »äußerste Treue in der Darstellung« nicht des statischen ruhenden, leblos-unbewegten Seienden, sondern gerade »von Bewegtem«, so »als wollten sie […] das Unbestimmte, nicht Dingfeste an den Dingen minutiös nachahmen. Dann« aber »wäre ihr Impuls nicht der von Nachahmung, nicht naturalistisch gewesen, sondern von Anbeginn Einspruch gegen die Verdinglichung«59. Ohne Mimesis aber käme das nicht heraus: Der Ausdruck des Lebendigen, das gegen Fixierung, Stillstellung und Tod im Dinglichen sich sträubt, würde nicht sinnfällig.

      Hier befinden wir uns an einer der wichtigsten Stellen der Adorno’schen Kunsttheorie; an ihr ist die Entdeckung ausgesprochen, dass die beiden zentralen Kategorien der Kunst – Ausdruck und Bild; also ein Naturhaft-Subjektives, Lebendiges, und ein Dinglich-Objektives, Stillgestelltes und Fixiertes –, sosehr sie choris sind und generisch verschieden scheinen, zuinnerst miteinander vermittelt sind; sie sind in gewisser Weise Funktionen, Ausdrücke voneinander.

      Adornos Ausdruckstheorem besagt, dass expressio keine Elementarbestimmung, kein Ursprüngliches ist. Der Ausdruck bildet sich, so nimmt er an, im Animismus: da, wo Totemtiere, Gottheiten, Dämonen imitiert werden, genauer, wo diese Gestalten bereits die Resultate von objektivierenden Schreckens- und anderen Reaktionen darstellen. Der Ausdruck ist nichts anderes als dieser angehaltene, in Gestus60 und Mimik fixierte Schrecken – verwandt jenem Warburg’schen »Engramm« im Innersten der kulturellen Ausdrucksgeste,61 die kraft seiner den objektiven »Prägewert« der stets wieder durchschlagenden Pathosformeln in Kunst und in deren Abhub erlangt.62 Dem anscheinend Subjektivsten, dem Subjekt-Eigensten wohnt das Ich-Andere ein. Der Ausdruck ist nicht sowohl subjektive Regung als Bezeugung von objektiv Seiendem und seiner Gewalt, seinem Druck auf das Ich, im Ich. Die physiognomische Prägung aber ist Bild, Lineatur, mimetisches Abbild des Ich-Andern. Der Ausdruck zeigt sich als »Zeugnis eines Risses«63 – dessen zwischen Subjekt und Objekt, Subjekt und Kollektiv, welche sich im Subjekt malen, ein- und ausprägen. Solche Prägung, solches Mal, solches Bild kann als Verdinglichung des Ausdrucks gedeutet werden, »feind […] der Regung, welche der […] Ausdruck ist«64.

      Das Theorem ist ingeniös; es lässt begreifen, dass ohne den (konstitutiven) Bildcharakter – die Objektivation in der Kunst – kein (ebenso konstitutiver) Ausdruckscharakter – die Irritation, Erregung und Regung in der Kunst – ist; dass ohne Ausdrucksbewegung keine Bildgestalt, und keine Ausdrucksprägung ohne eingreifend bildende Kraft ist. – Haben wir die kategoriale Physiognomik des Kunstwerks genauer entziffern gelernt, werden wir stets auf polare Bestimmungen stoßen, die von jenen duplexen, reflexiv vermittelten Grundbestimmungen deriviert sind oder sie variieren – Zeugnis dessen, dass die Kunst geschichtsphilosophisch jenen Riss zwischen Wesen und Schein manifestiert, auf dessen Heilung im wahren Sein sie hindeutet.

      Die duplexen Bestimmungen Ausdruck und Bild erlauben den Grundtypus des Kunstwerks – etwas wie das Urphänomen des künstlerischen Gebildes – zu umreißen. Adorno definiert es in anthropologisch-naturgeschichtlichen Begriffen. Was ist das ästhetische Verhalten, das Verhalten, das ästhetische Gebilde hervorbringt? »Die Fähigkeit, irgend zu erschauern – so als wäre die Gänsehaut das erste ästhetische Bild«65. Das erste; proton eidolon: der Prototyp, der allen wirklichen Werken einbeschrieben ist. Das Erschauern vor dem, was schaudern macht, findet den Ausdruck, der dieses erschauern Machende sinnfällig nachmacht: an der sich zusammenziehenden Haut, dem gesträubten Fell; in der Abwehrhaltung, die dem Angreifenden, standhaltend, sich gleichmacht. – Das Werk ist die Erschütterung des Subjekts, in der das Erschütternde Gestalt annahm, so wie das Anpackende im Bilde der kontrahierten Haut. Es an ihm abzulesen, illustriert die Weise der Kunst, Erkenntnis und Erfahrung zu erlangen. Dass sie die Weise der Theorie, Erkenntnis zu erlangen, intensiviert; durch Mimesis und Regung den Begriff und das Urteil stärkt – das heißt das Gegenteil davon, dass Kunst die Erkenntniskompetenz usurpiere und die Rationalität verabschiede.

      Matthias Mayer

       Aktualität und Kritik marxistischer Ethik

      Philosophie, die einmal überholt schien, erhält sich am Leben, weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward.

       Theodor W. Adorno

      Zusammenbruch und Krise der internationalen Kapitalmärkte in den Jahren 2008 und 2009 reanimierten weltweit eine Kritik der politischen Ökonomie. Marx war gefragt – wieder. Zugleich stieg das Verlangen nach Regulation und Normierung. Künftige Entgleisungen galt es zu verhindern. Es erging der alte Ruf nach Moral. Neben der Unkenntnis über den wahren Inhalt der Marx’schen Lehre verbarg sich dahinter die Absicht, den Schaden nur in seinen Teilen zu beheben, das Ganze jedoch als System unverändert zu lassen.

      Keine Philosophie ist dem Gehalt ihrer Bestimmung nach so eng mit praktischer Intention verwoben wie jene, welche die Veränderung der wirklichen Verhältnisse sich zum erklärten Ziele setzt. Dennoch ist die von Marx so entworfene und gemeinte keineswegs eine Moralwissenschaft oder in irgendeiner Weise als solche zu bezeichnen.

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