Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 34/35. Группа авторов

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kommt es dann, dass die Vernunft ihre abstrahierenden, erklärenden Kräfte verwirkt und selbst vermittelt sein will. Die Vermittlung der Vermittlung: regressus ad infinitum. Früh entstand die Frage, ob Allgemeines überhaupt ist. Engels verneint dies im Anti-Dühring. Selbst Materie existiere nur als Begriff, sei ›Gedankensschöpfung‹. Man greife nach ihr ebenso vergeblich wie man statt Kirschen, Birnen, Äpfel das Obst als solches zu sehen verlange. Abstraktion erscheint in ihrer Notwendigkeit als kategoriales Produkt, welches die Einheit des Mannigfaltigen herstellt. Kategorien = ›reine synthetische Verstandesbegriffe‹ (Kant). Auch die exakte Analyse der Ware sowie ihrer und des Geldes Zirkulation im Kapitalismus machen die Fähigkeit abstrakten Denkens unverzichtbar.

      Nicht die Abschaffung der Warenproduktion per se postuliert Marx, sondern die für den Tausch und dessen Markt bestimmte. Um die Änderung der sie bedingenden kapitalistischen Produktionsverhältnisse geht es ihm, um die Übergabe der Produktionsmittel an die Produktivkräfte: Ex- und Transpropriation. In der sozialistischen Weise zu produzieren, soll der Gegensatz, welcher die Ware bewohnt, Gebrauchs- und Tauschwert nämlich, aufgelöst werden. Der Widerspruch, welcher zwischen privater (für den Gebrauch) und gesellschaftlicher (für den Tausch) Herstellung dominiert, soll im Rahmen vergesellschafteter Arbeit bezwungen sein. Dies bedeutet, dass der gesellschaftliche Reichtum nicht mehr an einer ›ungeheuren Warensammlung‹, sondern an seinem gesellschaftlichen Nutzen, an der Produktion nützlicher Gegenstände, welche ausschließlich der Existenzsicherung dienen, zu messen ist. Was dem Kriterium der utilité existentielle nicht entspricht, wird als ›Vergeudung‹ der Kräfte und Mittel bekämpft.

      »Ihre Befreiung aus diesen Banden ist die einzige Vorbedingung einer ununterbrochenen, stets rascher fortschreitenden Entwicklung der Produktivkräfte und damit einer praktisch schrankenlosen Steigerung der Produktion selbst. […] Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßige bewußte Organisation. Der Kampf ums Einzeldasein hört auf. Damit erst scheidet der Mensch, in gewissem Sinn, endgültig aus dem Tierreich, tritt aus tierischen Daseinsbedingungen in wirklich menschliche.«22

      Engels’ Wunsch nach uneingeschränkter Steigerung der produzierenden Kräfte sowie nach einem ›hohen Grad ihrer Entwicklung‹, um der Besserung der Verhältnisse willen, legitimiert die Ausrichtung der Sowjetgesellschaft auf totale Produktivität. »Der Kapitalismus kann endgültig besiegt werden und wird dadurch endgültig besiegt werden, daß der Sozialismus eine neue, weit höhere Arbeitsproduktivität schafft.«23 Diese wird als der höhere Zweck gesetzt, welcher absolute Explikabilität und langfristige Harmonie garantiert: »Sowjetmacht plus Elektrifizierung«24. Mit ihm resurgiert die Forderung nach Abstraktion. An obigen Überlegungen lässt sich nun anknüpfen.

      ›Vergesellschaftete‹ Arbeit koinzidiert mit ›gesellschaftlicher‹ insofern, als beide ein nicht geringes Maß an Abstraktionsvermögen, an Bewusstsein und Aufgeklärtheit um der Identifikation willen bedürfen. Was ist gemeint? Wie der Wert einer Ware enthält auch die Arbeit eine Doppelform. Die Wertabstraktion reicht uns den Schlüssel, das duplizierte Innere der Ware zu dechiffrieren: ihren Gebrauchs- und Tauschwert. Sie vollzieht sich bewusstlos, nicht unbewusst. Die Bewusstlosigkeit entspringt der allgemein gültigen Äquivalentform zwischen Ware A und B, das heißt dem gesamtgesellschaftlichen Produktionsprozess. Sohn-Rethel differenziert deshalb Real- und Denkabstraktion: bewusstloses und bewusstes Abstrahieren vom Gegenstand Ware.25 Abstraktion bezeichnet den Gang vom Gebrauchswert zum (Tausch-)Wert; Reduktion die umgekehrte Bewegung. Ebenso ergeht es der Arbeit, aus welcher Marx den Wert der Ware deriviert:

      »Da die Tauschwerte der Waren nur gesellschaftliche Funktionen dieser Dinge sind und gar nichts zu tun haben mit ihren natürlichen Qualitäten, so fragt es sich zunächst: Was ist die gemeinsame gesellschaftliche Substanz aller Waren? Es ist die Arbeit. Um eine Ware zu produzieren, muß eine bestimmte Menge Arbeit auf sie verwendet oder in ihr aufgearbeitet werden. Dabei sage ich nicht bloß Arbeit, sondern gesellschaftliche Arbeit. Wer einen Artikel für seinen eignen unmittelbaren Gebrauch produziert, um ihn selbst zu konsumieren, schafft zwar ein Produkt, aber keine Ware. Als selbstwirtschaftender Produzent hat er nichts mit der Gesellschaft zu tun. Aber um eine Ware zu produzieren, muß der von ihm produzierte Artikel nicht nur irgendein gesellschaftliches Bedürfnis befriedigen, sondern seine Arbeit selbst muß Bestandteil und Bruchteil der von der Gesellschaft verausgabten Gesamtarbeitssumme bilden. […] Wie aber mißt man Arbeitsquanta? Nach der Dauer der Arbeitszeit, indem man die Arbeit nach Stunde, Tag etc. mißt. Um dieses Maß anzuwenden, reduziert man natürlich alle Arbeitsarten auf durchschnittliche oder einfache Arbeit als ihre Einheit26«.

      Das Quantum an Arbeit, welches zur Herstellung einer Ware aufgewendet werden muss, heißt gesellschaftliche oder abstrakte Arbeit. Es ist die gesellschaftliche Formbestimmung der Arbeit. Sowohl der kapitalistische ›Reichtum der Nationen‹, als auch der sozialistische, ›vergesellschaftete Reichtum‹ führen eine in erster Linie abstrahierte Existenz. Es gilt hier das gleiche wie für Engels’ Obst, welches gleichermaßen existiert und nicht existiert: dilemmatische Ontologie. Auch ›vergesellschaftete Arbeit‹, ausschließlich zur Produktion von Gebrauchsgütern bestimmt, ist abstrakte Arbeit, sofern sie gemein ist und vom Besonderen sich distanziert. Mag sie inhaltlich konvertiert, gar revolutioniert sein, ist sie doch nur im Begriffe wirklich, da sie vom Ganzen her und auf es hin gedacht wird.

      Hier schließt sich der Kreis und führt uns zurück zur Moral. Um den ersehnten Zustand gelingender Planwirtschaft und kommunistischer Gesellschaft zu erreichen, kam es zu ›Problemen des Übergangs‹. Unerreichtes wurde als Nichtidentisches in Kauf genommen, der Einzelne dem Ganzen subordiniert. Das Totum versprach ihn bald zu erlösen, wofern er nur den Glauben an es, dessen Sinn ja er selbst sei, nicht verliere. Von Beginn an drohte der realexistierende Sozialismus zugrunde zu gehen, weil jene Abstraktionsleistung, die jedes Ideal für sich beansprucht, vom Subjekt der Arbeit nicht genügend erbracht wurde. Dessen gewahr, suchte man in den jungen Volksrepubliken das nötige Bewusstsein mit Hilfe von Erziehung wie Bildung der Massen herbeizuführen. Ungebrochen blieb der Glaube an ein »richtiges Leben im falschen« (Adorno), an die Kongruenz von privatem und gesellschaftlichem Interesse. Schaff:

      »Das, was also in dieser Hinsicht postuliert wird, ist auf den ersten Blick bescheiden und einfach, wenn auch weittragend in den Folgen: aus der Psyche der Menschen die Folgen der Warenwirtschaft zu beseitigen, insbesondere die Folgen der kapitalistischen Warenwirtschaft. Anders gesagt: Die Sache beruht darauf, daß der Mensch in der Überzeugung handle, daß sein richtig verstandenes Interesse ihm immer gebietet, das Interesse anderer Menschen zu respektieren, also das gesellschaftliche Interesse, und daß die so geformte Mentalität entsprechende Gebote und Verbote des Verhaltens im Rahmen der Normen enthalte, die für einen anständigen Menschen im alltäglichen Sinne des Wortes bezeichnend sind«27.

      Das Einwirken auf das Bewusstsein des neu zu kreierenden sozialistischen Menschen bedürfe Zeit, ja ›Ausdauer‹. Was immer am Ende dabei herauskommt, ist mit Glück nicht gleichzusetzen. Marxistische Ethik ist kein Pendant aristotelischer Tugendlehre, welche durch das bürgerliche Gelöbnis auf die am Nicht-Bürger sich schuldig macht.

      »Die Marxisten versprechen nur die Beseitigung – aber nicht einmal eine dauernde Beseitigung – der Ursachen des Massenunglücks, das heißt sie versprechen, die gesellschaftlichen Möglichkeiten eines glücklichen Lebens für den Einzelmenschen zu schaffen. Nicht mehr versprechen sie, aber damit versprechen sie sehr viel.«28

      Die Moral des Marxismus definiert sich in ihrem Kern als Selbstvergesellschaftung, nicht als Unterpfand von Glückseligkeit: Einsichten der Chruschtschow-Ära.

      Sowenig wie mit stoischer Askese und Illusion, ist

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