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psychologisch zu verorten ist,36 bleibt ein Defizit der Moralforschung überhaupt. Unnötigerweise – Sartre beklagt dies ausführlich in Questions de méthode – mied der sowjetische Marxismus die Erkenntnisse der Psychoanalyse Freuds.

      Den hier dargestellten Versuch einer Vereinigung der Moral auf das Ziel der Veränderung des Ganzen hin, zum Wohle aller partizipierenden Individuen, bezeichnet Marcuse als »Politisierung der Ethik«. Zugleich macht er darauf aufmerksam, dass die »Politisierung der Ethik« sowohl am Anfang wie am Ende der abendländischen Philosophie stünde. Was ist gemeint? Von Platon bis Hegel existiere eine Tradition, nach welcher die Individual-Ethik sich jener der res publica unterwerfe. Wenn nämlich die »Idee des Guten« zu ihrer Verwirklichung oder zur Annäherung an diese der Polis bedürfe, dann sei das Gute nur im bios politikos erreichbar, und die Polis verkörpere die »absoluten sittlichen Maßstäbe«, so Marcuse:

      »Ethische Wahrheit ist somit politische Wahrheit, und politische Wahrheit ist absolute Wahrheit. Wesentlich dieselbe Auffassung lebt in der Marxschen Theorie weiter, insbesondere in der Behandlung der Ideologie. Wir haben bemerkt, daß sowjetische Darlegungen über die geistige Kultur bis in ihre Formulierungen hinein an Platons Staat und die Gesetze erinnern«37.

      Die Macht, welche das ›Verschwinden‹ der unabhängigen Moralphilosophie und die Auflösung der privaten sittlichen Werte bewirke, sei die Geschichte. Der Fortschritt der westlichen Zivilisation selbst habe die Überführung der inneren Werte in äußere Verhältnisse, der subjektiven Ideen in objektive Realität und der Ethik in Politik auf die Tagesordnung gesetzt. Wenn Hegel die Vernunft als Geschichte interpretierte, habe er in einer idealistischen Formulierung den Marx’schen Übergang von der Theorie zur Praxis vorweggenommen. Der historische Prozess habe die materiellen wie geistigen Vorbedingungen für die Verwirklichung der Vernunft (Hegel) in der Organisation der Gesellschaft (Marx) geschaffen, für das Konvergieren von Freiheit und Notwendigkeit.

      Es gilt also die Freiheit des Einzelnen als Notwendigkeit des Ganzen sowie die Notwendigkeit des Einzelnen als Freiheit des Ganzen zu erhalten und stets neu ins Werden zu setzen. In der Konsistenz demokratisch institutionalisierter Diskurse hat die dialektische Spannung zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft fruchtbar ausgetragen zu werden. So allein wird es möglich, die Teile und das Totum, aus der Sklerose ihrer Beziehung, vom Nihil zum Novum, von bloßer Differenz zu wahrer Identität zu führen.

      Resümee

      Gerade die Zergliederung des Ethos unter Beibehaltung der Entfremdungsbedingungen gereicht der Profitwirtschaft zum Vorteil. Aus diesem Grunde erkennt sie es als ihre tückische Pflicht, einer Änderung des Ganzen entgegenzuwirken. Erst die Vereinigung moralischer Prinzipien auf die Emanzipation des entfremdeten Subjekts und seiner Selbstvergesellschaftung hin könnte neue Möglichkeiten einer in toto stimmigen Ethik eröffnen. Grundlage und Leitidee vermag ihr jener (allein gültige) »kategorische Imperativ« zu sein, den Marx selbst formuliert: »[…] alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.«38

      Die nicht abgegoltene Wirkmacht marxistischer Moral besteht in ihrer anspruchsvollen, aus der geschichtlichen Materie und materiellen Geschichte deduzierten Reflexion. Sie ist als »Umschlagsmoment« mit Potenz zur »konkreten Utopie« (Bloch) zu begreifen und für einen verbesserten Fortgang gesellschaftlicher Praxis zu nutzen. Nicht nur demaskiert sie die Tartüfferien des Kapitals, sondern auch die seiner ›moralischen‹ Regulierungsversuche. Unbeschadet ihrer guten Absichten, permaniert als Fauxpas ihre Angst vor psychoanalytischer Vertiefung. Allein die Furcht vor einem Zuviel an subjektiven (Trieb-)Kräften und emanzipiertem Ich bietet als Deutung sich an. Marx’ Aktualität wie Rezeption entscheidet die Frage, ob Individuum und Gesellschaft sich bestimmen lassen oder sich selbst wollen.

      José M. Romero

       Ontologie und Geschichtlichkeit beim jungen Marcuse *

      I. Mit Heidegger gegen Heidegger?

      Nachdem Heideggers Sein und Zeit 1927 einen nachhaltigen Eindruck bei Herbert Marcuse hinterlassen hatte, entschied sich der Berliner Denker für einen Aufenthalt in Freiburg, um sich bei Heidegger zu habilitieren.1 Aber schon im Jahr 1928, vor seiner Zeit in Freiburg, veröffentlichte er den stark von Sein und Zeit beeinflussten philosophischen Aufsatz Beiträge zu einer Phänomenologie des Historischen Materialismus. In diesem Text lässt sich eine kritische Auseinandersetzung mit Heideggers Ontologie der Geschichtlichkeit ausmachen, die für uns noch wichtig werden wird. Ausgangspunkt dieser Auseinandersetzung ist Marcuses Anerkennung der zentralen Bedeutung der in Sein und Zeit dargestellten Phänomenologie des Daseins. Das Buch scheint Marcuse deshalb »einen Wendepunkt in der Geschichte der Philosophie zu bezeichnen […], einen Punkt, wo die bürgerliche Philosophie sich von innen her selbst auflöst und den Weg frei macht zu einer neuen ›konkreten‹ Wissenschaft.«2

      In dieser Bewertung spielt die Einsicht eine große Rolle, dass »die Analysen Heideggers […] das Phänomen der Geschichtlichkeit am ursprünglichsten aufgedeckt haben.«3 Das Besondere an Heideggers Buch ist die Auffassung der Geschichtlichkeit des Daseins als ontologisches: »Die Frage nach der Geschichtlichkeit ist eine ontologische Frage nach der Seinsverfassung des geschichtlich Seienden«.4 Die Geschichtlichkeit verweist dabei nicht etwa auf die Tatsache, dass jedes Individuum in einer konkreten geschichtlichen Situation lebt und durch die Umstände dieser Situation bestimmt ist. Die Geschichtlichkeit ist bei Heidegger vielmehr die ontologische Bedingungsmöglichkeit der Geschichte und ihrer Erkenntnis:

      »Der Satz: das Dasein ist geschichtlich, bewährt sich als existenzial-ontologische Fundamentalaussage. Sie ist weit entfernt von einer bloß ontischen Feststellung der Tatsache, daß das Dasein in einer ›Weltgeschichte‹ vorkommt. Die Geschichtlichkeit des Daseins aber ist der Grund eines möglichen historischen Verstehens, das seinerseits wiederum die Möglichkeit zu einer eigens ergriffenen Ausbildung der Historie als Wissenschaft bei sich trägt.«5

      Die so verstandene Geschichtlichkeit sei nun die ontologische Grundlage des Daseins überhaupt als die Seinsweise seines Geschehens:

      »Die Bestimmung der Geschichtlichkeit liegt vor dem, was man Geschichte (weltgeschichtliches Geschehen) nennt. Geschichtlichkeit meint die Seinsverfassung des ›Geschehens‹ des Daseins als solchen, auf dessen Grunde allererst so etwas möglich ist wie ›Weltgeschichte‹ und geschichtlich zur Weltgeschichte gehören.«6

      Das »eigentliche Sein zum Tode«, die »vorlaufende Entschlossenheit«, das »Wiederholen des Erbes« von durch die Tradition überlieferten Möglichkeiten, das »Schicksal« und das »Geschick« bestimmen demnach die »eigentliche Geschichtlichkeit« und umschreiben die Grundbestimmungen der Geschichtlichkeit des Daseins überhaupt.7

      Heideggers Analysen ebnen nun zwar einerseits den Weg für einen konkreten Zugang zum Dasein, sie sind andererseits aber dennoch für Marcuse nicht konkret genug. Das hat für ihn erstens seinen Grund darin, dass solche Analysen das Dasein als Dasein überhaupt betrachteten, und das bedeutet die Abstrahierung des Daseins von seiner konkreten historisch-sozialen Welt. Das Dasein überhaupt sei eine Abstraktion und die Herausstellung seiner Geschichtlichkeit verweile auf eben derselben Ebene der Abstraktion. Zweitens ergreife Heideggers Phänomenologie der Geschichtlichkeit das Dasein nach dem Muster des Individuums.8 Diese Analyse der Geschichtlichkeit in Bezug auf das Individuum zeigt Marcuse zufolge Heideggers Mangel an Konkretion, denn er verliert sowohl kollektive Grundphänomene und -strukturen aus dem Blick als auch die materielle Konstitution der Geschichtlichkeit. Marcuse spricht Heideggers Begriffen der Umwelt und Mitwelt ihren

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